152 Runden am ersten Testtag: FIA-Präsident Jean Todt ist schockiert über die Zuverlässigkeit der Formel-1-Autos und sieht darin einen Kostentreiber
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Jean Todt findet, dass die Formel 1 zu perfekt geworden ist und es nicht mehr genug Ausfälle gibt: "Zu teuer, zu kompliziert, irgendwie auch zu zuverlässig" sei die Königsklasse geworden, sagt der FIA-Präsident. "Ich bin schockiert, wenn ich an den ersten Testtag in Barcelona denke. Ich erinnere mich an meine Zeit. Da sind wir fünf Runden gefahren und haben danach gesagt: 'Fantastisch, wir haben fünf Runden geschafft!' Heute drehen sie 70 oder 80 Runden am ersten Tag."
Genauer gesagt waren es am 27. Februar in Barcelona durchschnittlich 73 Runden pro Team. Mercedes schaffte sogar sagenhafte 152 Runden. Das entspricht mehr als zwei kompletten Renndistanzen. "Die Autos sind zu zuverlässig", unterstreicht Todt. "Nico Rosberg hatte vergangenes Jahr nicht einen einzigen technischen Defekt. Sein einziger Ausfall war die Kollision mit seinem Teamkollegen in Barcelona."
Umgekehrt sei jeder technische Defekt heutzutage ein Riesendrama: "Als Hamilton in Malaysia der Motor kaputt gegangen ist, war das eine Katastrophe. Aber in Wahrheit hast du 42 Starts - und dann verlierst du zwei Autos mit einer Kollision und eins mit einem technischen Defekt. Das ist für mich zu extrem. Ich bin mir sicher, dass das viel Geld kostet. Können Sie sich vorstellen, wie viel in der Fabrik gearbeitet werden muss, um so ein Zuverlässigkeitsniveau zu erreichen?"
Die Statistik, ausgearbeitet unter Zuhilfenahme unserer umfangreichen Formel-1-Datenbank, bestätigt Todt. Im aktuellen Jahrzehnt lag die Ausfallsquote im Saisondurchschnitt noch nie unter 80 Prozent (Höhepunkt: 87 Prozent im Jahr 2013). Noch 2002 sahen durchschnittlich nur 59 Prozent der gestarteten Teilnehmer die Zielflagge. Und am unzuverlässigsten war die Formel 1 im Jahr 1984 mit gerade mal 42 Prozent Ankunftsquote.
"Die Formel 1 ist die Königsklasse des Motorsports, eine tolle Show, aber sie kostet zu viel Geld", kritisiert der ehemalige Ferrari-Teamchef. "Im Moment haben wir nur zehn Teams, die an der WM teilnehmen, aber wir haben zwölf Startplätze. Wir sollten dazu in der Lage sein, die beiden freien Startplätze zu füllen." Dafür brauche es seiner Meinung nach eine veränderte Einnahmenverteilung - was nicht Zuständigkeit der FIA ist.
Und noch etwas bereitet Todt Kopfzerbrechen: "Ich bin besorgt, dass der Abstand zwischen dem Ersten und Siebten der Startaufstellung mehr als zwei Sekunden beträgt. Das ist zu viel. Ich träume davon, die ersten zehn Autos innerhalb von sieben oder acht Zehntelsekunden zu haben." Auch das sei aber nur in einem Umfeld erreichbar, in dem auch kleinere Teams mit weniger Geld dazu in der Lage sind, konkurrenzfähige Autos zu bauen.
Noch Ende der 1990er-Jahre hat ein mittelgroßes Team wie Jordan - heute am ehesten vergleichbar mit Force India - Rennen gewonnen und ist in einer besonders guten Saison sogar lange um den WM-Titel mitgefahren. Doch seither wurde der Technologiekrieg in der Formel 1 immer wichtiger. Heute ist es praktisch ausgeschlossen, dass ein anderes Team als Ferrari, Mercedes oder Red Bull (plus, rein von den Ressourcen her, McLaren) WM-Chancen hat.
Ein anderes Thema, das nach Melbourne von einigen durchaus kritisch bewertet wird, sieht Todt gelassen: "Das Überholen", sagt er, "war im Motorsport schon immer ein Problem. Ich erinnere mich an Rennen vor 20, 30 Jahren, in denen ein Auto mit frischen Reifen um drei oder vier Sekunden schneller war, aber nicht an einem Auto mit alten Reifen vorbeikam." Gleichzeitig räumt er ein, dass das Überholen durch die neuen Regeln schwieriger geworden ist als noch 2016.
"Wir haben versucht, das Überholen mit DRS und anderen Technologien einfacher zu machen. Mit den neuen Regeln wird es eher schwieriger, aber das war vielleicht der Preis, den wir für die breiteren Autos mit mehr Aerodynamik bezahlen mussten. Wir werden das Thema betrachten, wenn wir über die zukünftigen Regeln sprechen, ob der jetzt gefundene Kompromiss so richtig ist", erklärt der Franzose.