Der Motorrad-Champion teste schon für Mercedes und beeindruckte Sportchef Toto Wolff - Trotzdem scheint der Wechsel auf vier Räder erst in einigen Jahren denkbar
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Einen Motorrad-Weltmeister in einen Formel-1-Boliden zu setzen ist ein Experiment, das immer die Aufmerksamkeit der Szene auf sich zieht. Mick Doohan testete für Williams und Ferrari liebäugelte sogar damit, Valentino Rossi ein Renncockpit anzubieten - das Medienecho war überwältigend. Den ambitionierten - manche mögen formulieren vermessenen - Versuch, nach der Krone auf zwei auch die auf vier Rädern zu ergattern, unternahmen sie nicht. Jetzt spricht man über Jorge Lorenzo.
Nach dem Mercedes-Test des Spaniers in Silverstone im Sommer und dem Rücktritt Nico Rosbergs war es eine Option, den MotoGP-Champion zu holen. Keine wahrscheinliche Variante, aber eine, die bei den Silberpfeilen diskutiert wurde. Denn Lorenzo schlug sich trotz widriger Bedingungen im englischen Landregen achtbar. Sportchef Toto Wolff war sogar überzeugt, dass ein talentierter Formel-4-Pilot sich nicht in der Facon aus der Affäre gezogen hätte, wie es prominente Gast tat.
Zeiten, die einen Vergleich zulassen würden oder Jorge Lorenzos Leistung in Relation zum übrigen Formel-1-Fahrerfeld zuließen, gibt es nicht. "Der Mercedes hat mich beeindruckt. Er ist wirklich extrem, gerade auf einer flüssigen Strecke und er kommt sogar dahin, dass er mit dem Unterboden den Asphalt berührt", sagt er 'GPOne.com' über seinen Test. Klar ist: Lorenzo ließ es fliegen.
Für Wolff war das keine Überraschung: "Schlussendlich sprechen wir von den Besten ihres Faches", erklärt er. "Jemand, der Motorrad, Rallye oder Sportwagen auf diesem Niveau fährt, kann auch ein Formel-1-Auto konkurrenzfähig bewegen." Außerdem sind vier Räder für Lorenzo kein Novum. Er fährt seit 2010 auch Autorennen und holte zahlreiche Sportwagen-Klassensiege auf der Langstrecke - etwa bei den 12 Stunden von Dubai oder den 24 Stunden von Montmelo. Ohne Vorbereitung.
Trotzdem liegt zwischen diesen Erfolgen und einer soliden Formel-1-Karriere noch ein himmelweiter Unterschied. Die Entwicklung des Autos, das Feedback an die Ingenieure, das Beherrschen von Zweikämpfen und der Umgang mit der komplizierten Technik sind Hürden, die nicht einfach zu meistern sind - von der Entwicklung des berühmten "Popometers" ganz zu schweigen.
Lorenzo scheut sich nicht, sich mit seinen Qualitäten offen zu brüsten: "Ich halte mich selbst für ähnlich zu Fernando Alonso. Ich bin eiskalt und entschlossen. Wir machen nicht viele Fehler." Das klingt nach einem guten Mann für die Königsklasse, dessen Herz nicht für Motorräder schlägt. Wenn es um seine Kindheitsidole geht, fallen ihm drei Namen ein: "Senna und Schumacher, aber auch Häkkinen - gerade in denen Jahren des Zweikampfes mit Ferrari", schwärmt Lorenzo.
Was viele nicht wissen: Lorenzo ist im Privatleben ein echter Autonarr. "Ich bin leidenschaftlicher Sammler", erzählt er. Er besitzt einen Porsche GT3 RS, den äußerst seltenen Ferrari LaFerrari und einen Lamborghini. Für den Alltag hat er sich auch noch einen BMW und einen Audi in die Garage gestellt. Er ließ sogar schon verlauten, privat viel lieber Auto als Motorrad zu fahren.
Dennoch genießt es für ihn zunächst Priorität, seinen MotoGP-Wechsel zu Ducati mit einem WM-Titel zu veredeln: "Ich bin die Herausforderung eingegangen und werde alles tun, was in meiner Macht steht, um sie zu meistern", verspricht Lorenzo. Das klingt nach einer (vorläufigen) Absage an Mercedes. Und an den Versuch, das Kunststück des John Surtees zu wiederholen: Der Brite ist bis heute der einzige Fahrer, der in beiden Welten der Beste war. Viermal holte er sich zwischen 1956 und 1960 die Motorrad-Krone, um 1964 auch in der Formel 1 zu triumphieren.