Monisha Kaltenborn im Interview: Das schwierige Jahr an der Spitze des Sauber-Teams und der Spagat zwischen Familie und Beruf
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Monisha Kaltenborn hat in der Formel 1 Geschichte geschrieben. Vor genau einem Jahr wurde die Österreicherin mit indischen Wurzeln an die Spitze des Schweizer Sauber-Rennstalls berufen. Kaltenborn ist die erste weibliche Teamchefin in der Königsklasse. Für ihre ersten zwölf Monate im Amt hatte sich die Nachfolgerin von Peter Sauber sicherlich weniger turbulente Zeiten gewünscht. "Es gab einen Moment, wo ich überlegt habe, ob ich der Aufgabe gewachsen bin. Niemand hatte gedacht, dass es so schwierig werden würde", erklärt Kaltenborn. Wie sie mit den hohen Hürden zurecht kam, schildert sie im Interview mit 'Motorsport-Total.com'.
Frage: "Monisha, genau vor einem Jahr sind sie zur ersten Teamchefin in der Formel 1 ernannt worden. Ist in ihrem ersten Jahr in dieser Rolle alles abgelaufen wie erwartet?"
Monisha Kaltenborn: "Ich hatte nicht erwartet, dass es ein solch schwieriges Jahr werden würde. Nach den guten Ergebnissen in der Saison 2012 hatte ich gehofft, dass wir das Team vor allem im Bereich Finanzen mehr stabilisieren können. Auf Grundlage der sportlichen Resultate dachte ich, dass diesbezüglich gute Chancen bestünden. Leider konnten wir davon nicht so profitieren wie gedacht. Die Arbeit wurde sehr schwierig. So, wie manche Medien über das Team geschrieben haben, wurde es sehr kompliziert."
Frage: "Wann wurde deutlich, dass es eine schwierige Phase werden würde? War das bereits Ende vergangenen Jahres?"
Kaltenborn: "Nein, nicht schon am Ende vergangener Saison. Es war im Verlauf der diesjährigen Saison. Es gab fortlaufende Gespräche und es sah immer gut aus, aber es zog sich alles extrem lange hin. Dann erreicht man irgendwann einen Punkt, an dem es schwierig wird."
Frage: "Bei den Tests vor der Saison war sichtbar, dass wenige Sponsoren auf dem Auto sind. War da nicht schon klar, dass es schwierig werden würde?"
Kaltenborn: "Wir waren sehr sicher, dass es bis zum Saisonbeginn zwei neue große Partner geben würde. Wir waren damals in den entsprechenden Verhandlungen sehr weit fortgeschritten. Sehr plötzlich gab es dann aber auf deren Seite ein Umdenken und die Entscheidung, deren Engagement aus internen Gründen zu verschieben. Als dies so unerwartet passierte, standen wir plötzlich vor einer großen Herausforderung."
Russen als Rettung in der Not
Frage: "Nun haben sie russische Partner gefunden. Waren sie persönlich die treibende Kraft hinter diesen Deals?"
Kaltenborn: "Die entsprechenden Herren sind uns von jemandem vorgestellt worden. Es wurde schnell deutlich, dass die Russen sofort mit uns zusammenarbeiten wollen - und so kam es eben. Sie hatten für ein Engagement in der Formel 1 nur uns im Blick. Es war uns also klar, dass sie diesen Schritt mit uns machen würden."
Frage: "Ist der Deal komplett finalisiert?"
Kaltenborn: "Ja. Es ist allerdings kein normaler Deal. Wir kennen nicht alle der involvierten Parteien, die an diesem Konstrukt teilhaben. Es ist nicht klar, welches Logos auf das Auto kommen. Das war uns aber immer bewusst. Es gibt eine Basis, eine Sicherheit, aber in manchen Bereichen noch keine Detailarbeit.Bei der technischen Zusammenarbeit gibt es einen Businessplan."
"Wir müssen nun schauen, wir wir das konkret umsetzen. Es gibt diesen Plan. Wir haben nun die Projekte definiert und entsprechende Budgets zugewiesen. Wir sind in Gesprächen mit einem Unternehmen, mit dem wir all dies umsetzen wollen. Das System in Russland ist ganz anders, es ist sehr komplex. Das muss man erst einmal alles verstehen."
Frage: "War dieser Deal der wichtigste Erfolg in ihrer bisherigen Amtszeit?"
Kaltenborn: "Der größte Erfolg war es, das Team überhaupt am Laufen zu halten. Vor allem bei den Voraussetzungen, die man hat, wenn man aus einem Land heraus agiert, wo nicht mal eben drei oder vier andere Teams um die Ecke beheimatet sind. Es ist schwierig, gute Leute zu bekommen. In unserer nicht alltäglichen, schwierigen Phase war es enorm wichtig, den Kern zusammenzuhalten - also die Gruppe von Leuten, auf die man sich immer verlassen kann."
Halten Teams zusammen? Nein!
Frage: "An der Spitze der Technikabteilung gab es wichtige Abgänge. James Key hat das Team verlassen, später auch Matt Morris. Hat ihnen dies Sorgen bereitet?"
Kaltenborn: "Nein. Wenn man die Gründe kennt, dann macht so etwas keine Sorgen. Ich möchte aber nicht über die Gründe sprechen, warum jemand das Team verlassen hat."
Frage: "Über den größten Erfolg ihrer bisherigen Amtszeit haben wir bereits gesprochen. Was war denn der Tiefpunkt?
Kaltenborn: "Der Tiefpunkt war Mitte dieses Jahres, als wir gewissen öffentlichen Angriffen ausgesetzt waren. Es war schwierig zu verstehen, warum dies passierte und woher das kam."
Frage: "Die Formel 1 ist extrem leistungsorientiert und hart umkämpft. Gab es dennoch in der schwierigen Phase die Unterstützung durch andere Teamchefs oder haben die sogar noch drauf getreten?"
Kaltenborn: "Nein, gar nichts haben sie gemacht. Wir sind zwar zusammen in einem Sport, aber dennoch tritt hier jeder sehr individuell und für sich auf. Ich hatte von Seiten der anderen Teams auch nichts erwartet. Da gab es nichts."
Frage: "Aber konnte man nicht vielleicht vom langjährigen Partner Ferrari ein wenig Unterstützung erwarten?"
Kaltenborn: "Ferrari war immer auf unserer Seite, aber die konnten uns dort nicht helfen. Wir waren in einer ganz schwierigen Situation. Da lässt einem niemand noch besondere Hilfe zugute kommen."
Kinder sollen nicht Formel-1-Fahrer werden
Frage: "Wie geht es nun weiter? Planen Sie mit weiteren 20 Jahren in der Formel 1?"
Kaltenborn: "Ich habe die Leitung eines Unternehmens von jemandem übernommen, der seit mehr als 40 Jahren im Motorsport ist - und zwar trotz aller Probleme. Meine Aufgabe ist es, dieses Unternehmen so lange wie möglich fortzuführen. Hauptziel ist und bleibt die Formel 1, denn das ist unser Kerngeschäft. Wir werden an unserem Traum, eines Tages an der Spitze zu stehen, festhalten."
Frage: "Der aktuelle Job hat Schattenseiten. Nur selten bei den eigenen Kindern sein zu können, muss hart sein. Wollen sie dies noch lange Zeit so fortführen?"
Kaltenborn: "Bemerkenswert ist, dass meine Kinder mich bei meinem Job sehr unterstützen. Es ist schon hart, aber die Kinder werden ja auch größer. Ich habe sie niemals von meiner Arbeit ausgeschlossen. Sie fühlen sich als ein Teil dessen, was sehr gut ist. Ich hoffe, dass sie mir nicht irgendwann sagen werden, dass ich eine schlechte Mutter war."
Frage: "Vielleicht kommen sie ja irgendwann und sagen: 'Mama, ich will in der Formel 1 arbeiten'..."
Kaltenborn: "Ja, das ist auch meine Hoffnung (lacht)."
Frage: "Wie stehen die Chancen darauf?"
Kaltenborn: "Ich weiß es nicht. Ich habe meinen Kindern auf jeden Fall schon einmal klargemacht, dass es mit einem Job als Fahrer schwierig werden dürfte, weil sie alle schon zu groß gewachsen sind. Außerdem würde ich verhindern, dass sie einen solchen Vertrag bekommen würden. Man sollte seine Kinder auf ihrem Weg jederzeit unterstützen, aber wenn es nach mir ginge, dann würde ich sie lieber in anderen Bereichen sehen."