Ex-Pilot Anthony Davidson findet zu viel Asphaltauslauf "erbärmlich" und hält den Sicherheitswahn für überzogen: "Sonst kann man gleich Computer spielen"
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Abu Dhabi, Bahrain, Le Castellet - ein großer Parkplatz mit ein paar aufgezeichneten Linien trifft die Beschreibung bei diesen Strecken wohl so ziemlich. Auch in Indien, wo die Formel 1 an diesem Wochenende zu Gast ist, sind weite Auslaufzonen an der Tagesordnung. Die Formel 1 überschreitet in ihrem Sicherheitswahn die Grenzen - zu Lasten der Zuschauer und auch der Fahrer, glaubt Ex-Pilot Anthony Davidson.
Der Brite, der in der Königsklasse zwischen 2002 und 2008 auf 24 Starts für BAR und Super Aguri kommt, hält die Sicherheitsvorstellungen in der modernen Formel 1 für übertrieben, obwohl er im vergangenen Jahr beinahe selbst Opfer seiner Leidenschaft für den Motorsport wurde. Asphaltierte Auslaufzonen und parkplatzgroße Freiräume hält der 34-Jährige für einen absoluten Graus. "Ich finde, ein Fahrer sollte herausgefordert und für Fehler bestraft werden", sagt er im Gespräch mit 'The Guardian'. "Das ist es, was die Menschen den Sport in einem etwas grauenvollen Weg folgen lässt."
Zuletzt in Suzuka wurde wieder deutlich, was passiert, wenn man die Fahrer einem anspruchsvollen Kurs aussetzt, der von einigen Gras- und Kieszonen umgeben ist. Besonders im Training gab es zahlreiche Patzer, die im Ende der Session für den jeweiligen Fahrer resultierten - ohne dass jemand ernsthaft verletzt wurde. "Wir wollen nicht sehen, dass Fans verletzt werden oder dass Fahrer verletzt oder getötet werden, aber die Fahrer sollten bestraft werden", findet Davidson.
Asphaltauslauf sorgt für Langeweile
"Auf einigen modernen Rennstrecken ist es echt erbärmlich, wenn man Fahrer von der Strecke abkommen sieht und nichts passiert", hält der Brite die elendigen Asphaltbänder für absolut grauenvoll. Das würde dem Sport in jeglicher Hinsicht schaden - zumindest was das Racing angeht. Davidson vergleicht dafür die Degner-Kurve in Suzuka mit der Copse in Silverstone. Die Degner vor der kurzen Unterführung in Suzuka forderte mit Jules Bianchi, Pastor Maldonado und Giedo van der Garde am vergangenen Wochenende einige Opfer.
Für Davidson sei das gerade die Aufregung, wohingegen die Copse trotz ihrer hohen Geschwindigkeit langweilig sei: "Es ist eine schnelle Mutkurve, die allerdings keine Herausforderung ist, weil der ganze Kurvenausgang zubetoniert ist." Dem ehemaligen Super-Aguri-Piloten geht das schon zu weit: "Die Strecken sind schon fast zu sicher", findet er. Denn je geringer das Risiko auf einer Strecke sei, desto rücksichtloser sei die Gangart unter den Fahrern - und das würde die Gefahr wiederum erhöhen.
"Heutzutage ist der Respekt für die Sicherheit der anderen auf der Strecke kaum vorhanden. Sie denken, sie können sich auf der Geraden gegenseitig in die Räder fahren, das Auto werde das schon aushalten", so Davidson, der die Sicherheit aber auf keinen Fall unterschätzt. Denn in seinem LMP1-Boliden überlebte er in Le Mans 2012 schon einen der heftigsten Unfälle der vergangenen Jahre.
Den Tod vor Augen...
"Ich dachte wirklich, ich würde meinem Schöpfer gegenübertreten", erinnert er sich. "Mitten in der Luft ging der Motor aus und ich konnte hören, wie der Wind über das Auto ging. Ich dachte an meine Familie und den Fakt, dass ich wahrscheinlich sterben würde." Dennoch machte sich bei ihm dabei eine gewisse Form von Akzeptanz breit: "Wenn man weiß, dass man stirbt, dann entspannt sich der Körper total. Ich war komplett ruhig und habe akzeptiert, dass alles enden würde. Es ist die Art des Körpers, sich herunterzufahren." Doch Davidson konnte - wenn auch verletzt - seinem Boliden aus eigener Kraft entsteigen.
Zwar haben die jüngsten Unglücksfälle von Maria de Villota und Sean Edwards sowie der Unfall von Dario Franchitti aktuell ein schlechtes Bild hinterlassen, doch in der Formel 1 ist seit beinahe 20 Jahren kein Fahrer mehr ums Leben gekommen, wenn man die besonderen Umstände von Maria de Villota außer Acht lässt, die sich beim Aufprall auf die Ladefläche eines LKW schwere Kopfverletzungen zuzog, an deren Folgen sie kürzlich verstarb.
Doch auf der Rennstrecke ist die Formel 1 so sicher, wie noch nie zuvor, was unter anderem an den Strecken liegt, die dem Sicherheitswahn der FIA unterliegen. Zwar spricht sich auch Davidson für eine Verbesserung der Sicherheit aus, doch die Strecken müsse man deswegen nicht kastrieren. "Als Fahrer muss man mit dem Fakt leben, dass man vielleicht eines Tages stirbt - sonst kann man auch gleich am Computer spielen."