Was war dran an den angeblichen Streikplänen Force Indias, Saubers und Lotus'? Die Teams dementieren und hätten sich sowie der Formel 1 massiv geschadet
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Sie schlagen Alarm, doch sie werden nicht erhört: Die sich immer weiter zuspitzende Finanzkrise der Formel 1 scheint die betroffenen Teams in die Enge zu treiben. Zum Äußersten greifen sie aber nicht: Am Samstag machte im Fahrerlager von Austin das Gerücht die Runde, Force India, Sauber und Lotus würden einen Boykott des US-Grand-Prix in Erwägung ziehen, um ihrer Forderung nach einer gerechteren Verteilung der Einnahmen Nachdruck zu verleihen. Soweit kommt es aber nicht.
Nachdem Force Indias Co-Teamchef Robert Fernley ("Es gibt solche Diskussionen") die Sache am Mikrofon von 'Sky Sports F1' angeheizt hatte, dementierte Lotus kurz nach dem Qualifying via Twitter. Tanzt einer aus der Reihe, ist das Vorhaben hinfällig. Was war dran an der Story? Die Bosse Vijay Mallya, Monisha Kaltenborn und Gerard Lopez, die in der Pressekonferenz am Freitag kräftig polterten, haben sich nie zu den Plänen bekannt, könnten aber die Resonanz getestet haben. Strategische Überlegungen lassen Zweifel aufkommen, wie ernst es ihnen mit dem Streik war.
Ein Machtwort in der Sache spricht Bernie Ecclestone gegenüber 'Reuters', nachdem er zuvor angeblich ein Vier-Augen-Gespräch mit Kaltenborn führte: "Vergesst den Mist. Ich verspreche, dass sie antreten werden. Ich gebe eine uneingeschränkte Garantie." Lopez untermauert im Gespräch mit dem privaten Blog des Journalisten James Allen: "Wenn niemandem der Motor abraucht oder das Getriebe zusammenbricht, sind 18 Autos am Start. Ich glaube zu wissen, was los ist."
Lotus-Boss dementiert Gespräche: "Verschwörungstheorien"
Der Luxemburger spricht von Frust auf und ab der Boxengasse. Er glaubt, dass Aussagen in der Pressekonferenz so interpretiert worden seien, um die Boykott-Geschichte zu inszenieren. "Es ist eine große Sache, wenn wir über solche Summen debattieren, aber sie haben offenbar versucht, eine Verschwörungstheorie zu spinnen. Es gibt aber keine. Ich verstehe, dass die Leute wegen der Frustration an noch mehr Dramatik glauben, aber wir sind mit Sicherheit am Start", erklärt Lopez.
Der Lotus-Boss deutet an, dass es hinter den Kulissen Befürworter gibt: "Jeder in der Formel 1 kann tun und lassen, was er will. Ich bin mir sicher, dass einige Leute wütend genug sind, um zu drastischen Mitteln zu greifen, aber nichts davon wurde bisher besprochen und alles kommt von Menschen, die etwas anderes daraus stricken wollen." Er selbst habe von der Sache aus der Presse erfahren, sein eigener Appell zum Handeln habe andere Hintergründe gehabt. "Wir sind in der Lage, Reifen in 2,5 Sekunden zu wechseln, da sollte es mit einer Entscheidung binnen Tagen klappen."
Ein Boykott wäre für die Teams in finanzieller Hinsicht mit schwerwiegenden Konsequenzen verbunden gewesen, sodass sich Kosten und Nutzen kaum aufgewogen hätten: Force India kämpft gegen McLaren noch immer um den fünften Rang in der Konstrukteurs-WM. Sauber will in diesem Championat unbedingt vorbei am gar nicht mehr startenden Marussia-Rennstall, um die schlechteste Saison der eigenen Geschichte zu einem einigermaßen versöhnlichen Ende zu führen.
Formel 1 kann sich kein zweites "Indygate" leisten
Außerdem würden die Streikenden ihre prozentuale Beteiligung am Gewinn des Halters der kommerziellen Rechte einbüßen, zumindest anteilig für das Rennen in Austin. Lotus wäre davon wegen der hohen Einnahmen aus der erfolgreichen Saison 2013 sogar mit viel höheren Summen betroffen als Force India und Sauber. Hinzu kommt der strategische Wert eines Grand Prix in Nordamerika, schließlich verfolgen alle drei in diesem Teil der Erde kommerzielle Interessen.
Mit Esteban Gutierrez und Sergio Perez sind zwei mexikanische Piloten an Bord. Beide werden aus ihrem Heimatland mit beträchtlichen Beträgen in die Teamkassen gefördert. Auf dem Sauber prangen die Logos des Mobilfunkanbieters Telmex und der Tequila-Marke Cuervo, bei Force India wirbt ebenfalls das Telekommunikationsunternehmen des steinreichen Carlos Slim. Gutierrez und Perez sind in Texas Zugpferde, den Circuit of The Americas (CoTA) säumen viele Landsleute.
Auch Lotus erhält Geld aus den USA, nämlich von Computergigant Microsoft und der Coca-Cola-Marke Burn. Kurzum: Das Trio hätte sich in geschäftlicher Hinsicht gar keine ungünstigere Gelegenheit für einen Streik aussuchen können. Außerdem wäre ein Rennen mit dann nur zwölf Autos die nächste Blamage der Formel 1 auf dem schwierigen US-Markt gewesen, nachdem die "Indygate"-Farce um Michelin im Jahre 2005 zum Bruch mit den Motorsport-Fans geführt hatte.
Teams wollen mehr Rennen in den USA
Schließlich wollen alle Beteiligten auf NASCAR-Territorium endlich Fuß fassen. "Nach dem ersten Jahr, das sehr gut besucht wurde, konnte man das Interesse durch die Decke schießen sehen", setzt McLaren-Rennleiter Eric Boullier seine Jetons auf Austin und die US-amerikanischen Partner auf den Teamhemden. "Wir wissen alle, dass die Formel 1 vielleicht nach einem weiteren Rennen in den USA sucht", spielt der Franzose auf Pläne in Las Vegas, Long Beach und New Jersey an.
In Nevada, Kalifornien und vor der New Yorker Skyline sind die Projekte unterschiedlich weit gediehen, die Unterstützung Bernie Ecclestones scheinen aber alle zu genießen - und das ist bekanntlich neben Geld die wichtigste Zutat für die Verwirklichung eines Grand Prix. "Man kann sehen, dass es ein Momentum in den USA hinter der Formel 1 gibt", bemerkt Mercedes-Sportchef Toto Wolff und erinnert daran, dass mit Haas Formula ein Team aus North Carolina 2016 einsteigt.
Als Williams-Teilhaber arbeitet der Österreicher neuerdings selbst mit Investor Brad Hollinger, einem US-Amerikaner, zusammen. Auch der potenzielle Boykotteur Mallya will den Anker werfen: "Es gibt keinen Grund, warum die Formel 1 nicht genauso unterhaltsam sein kann und viele Fans anziehen könnte", erklärt der Inder mit Blick auf die Popularität des Indy 500. "Wenn wir so viele Rennen (in Europa) abhalten, dann wären ein oder zwei in den Vereinigten Staaten kaum genug."
Spanien 1980: Erster Teamboykott
Übrigens wäre ein Teamboykott in der Formel 1 keine neue Erscheinung gewesen. 1980 erkannte Jean-Marie Balestre, damals Präsident des FIA-Vorgängers FISA, dem Rennen in Spanien den WM-Status ab. Es starteten nur die zwölf unter der Flagge der Konstrukteursvereinigung FOCA von Bernie Ecclestone und Max Mosley organisierten Teams. Sie hatten zuvor aufgrund der Unterrepräsentation gegenüber den Werksmannschaften Ferrari, Renault und Alfa Romeo bei strategischen Entscheidung Fahrermeetings mit Missachtung gestraft. Die Regeln sicherten dem Trio damals eine Sperrminorität zu.
Balestre beließ es zunächst bei Geldstrafen in Höhe von 2.000 US-Dollar (damals umgerechnet rund 3.300 Deutsche Mark), entzog drei Tage vor dem Rennen aber 15 Piloten die Lizenz, weil sie nicht bezahlten. Die FOCA-Fraktion wollte abreisen. Juan Carlos von Spanien schaltete sich ein und wollte die Bußgelder durch den Motorsport-Verband auslegen lassen, doch die FISA schob dem einen Riegel vor. Balestre wollte Zaster von den Fahrern und den Nachweis dafür sehen. Der König fand ein Schlupfloch und ließ den Grand Prix unter nationaler Aufsicht, nicht unter FISA-Ägide, austragen, eine Lizenz war nicht mehr nötig - Ferrari, Renault und Alfa Romeo auf dem Heimweg.