Nach dem Gewinn seines vierten Formel-1-Weltmeister-Titels denkt Lewis Hamilton an seine Wurzeln und Karrierestationen zurück: "Wir sollten große Träume haben"
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Nach dem Gewinn seines vierten Weltmeistertitels in der Formel 1 gibt Lewis Hamilton Einblicke in seine Gedankenwelt. Der Mercedes-Superstar denkt im Moment des großen Erfolges an seine Wurzeln und Förderer zurück. Vor allem Ex-McLaren-Chef Ron Dennis und seine Lehrer an der Schule in Stevenage (rund 40 Kilometer nördlich von London) spielen dabei eine wichtige Rolle - im Positiven wie auch im Negativen.
"In der zurückliegenden Woche habe ich viel darüber nachgedacht, woher ich komme. Aufwachsen in Stevenage, immer davon träumen, irgendwann in der Formel 1 zu fahren", beschreibt Hamilton, der sich die Krone 2017 bereits im Grand Prix von Mexiko sichern konnte. Der Brite war in seiner Heimatstadt vom Rennvirus infiziert worden, als in der Nachbarschaft ein Geschäftsmann ferngesteuerte Autos auf der Straße vorführte. Sound und Geschwindigkeit packten den jungen Lewis sofort.
"Manchmal frage ich mich, was die Leute denken, die mich damals in der Schule erlebt haben. Einige Lehrer waren der Meinung, dass ich niemals irgendetwas erreichen würde. Ich wüsste zu gern, was diese Leute denken, wenn sie mich heute sehen. Wahrscheinlich werden sie die Rennen schauen, spätestens aber am Tag danach in der Zeitung lesen", erklärt der 32-Jährige mit einer gehörigen Portion Genugtuung.
Lernen Lehrer aus der Hamilton-Karriere?
"Manche werden denken: 'Ich habe diesem Kerl auf seinem Weg geholfen', andere werden meinen, dass sie sich damals getäuscht hatten, es nun bereuen und daraus gelernt haben. Ich hoffe, dass das zweite der Fall ist. Ich hoffe, dass sie die Kids, die sie heute unterrichten, immer ermutigen und nicht niedermachen", so das Anliegen des Champions. "Wir sollten alle große Träume haben", meint der Silberpfeil-Pilot. Er selbst sei das beste Beispiel dafür.
"Wo ich jetzt stehe, ist weit über dem, was ich mir jemals hätte vorstellen können. Wir sollten alle große Träume haben. Aber dass ich jetzt viermaliger Weltmeister bin ... vier ist auf jeden Fall besser als drei. Und die Vier ist meine Zahl", lacht er. "Im Rennen habe ich immer gedacht: 'Nicht aufgeben!' Ich habe mich erinnert an den Tag, als mein Vater mich als Kind in einen Boxring gestellt hat und ich dort von einem anderen Jungen nach Strich und Faden vermöbelt wurde. Ich hatte eine blutige Nase und wollte niemals wieder zurück in den Ring - so ging es mir im Rennen mit Kurve 3."
Kurz nach dem Start des Grand Prix von Mexiko 2017 war Hamilton an jener Stelle mit WM-Rivale Sebastian Vettel (Ferrari) kollidiert. Beide Fahrzeuge mussten zum Reparaturstopp, waren anschließend weit entfernt von der Spitze des Feldes. "Ich hätte aufgeben können, aber ich dachte wieder an den Moment im Boxring. Ich gebe nie auf, selbst wenn ich 40 Sekunden zurückliege. Ich gebe alles, damit ich über die Ziellinie fahren und stolz auf mich sein kann. Und ich bin definitiv stolz auf mich."
Die bisherige Formel-1-Bilanz des schnellen Briten bietet ausreichend Gründe für Stolz: vier WM-Titel, 62 Grand-Prix-Siege, 72 Pole-Positions und 38 schnellste Runden in 206 Rennen weitere Infos in unserer Formel-1-Datenbank!. Er hat Alonso im eigenen Team gebügelt, Heikki Kovalainen die klaren Grenzen aufgezeigt, Jenson Button besiegt und schließlich nach dem Wechsel zu Mercedes (Saison 2013) harte Duelle gegen Nico Rosberg meist erfolgreich beendet.
Ein frecher Spruch ebnet den Formel-1-Weg
Große Klappe, viel dahinter: So schaffte Hamilton den Sprung aus dem kleinen Stevenage in die große Welt der Formel 1. Im Alter von zehn Jahren begegnet der Brite als junger Kartpilot dem mächtigen McLaren-Teamboss Ron Dennis. Ein frecher Spruch ebnete den Weg, der ihn drei Jahre später ins Förderprogramm des Teams aus Woking bringt. "Das war, als ich im Alter von zehn Jahren Ron Dennis getroffen habe und ihm sagte, dass ich eines Tages in einem seiner Autos Weltmeister werde", so Hamilton.
"Und er gibt mir tatsächlich diese Chance. Wo auch immer er jetzt stecken mag, so hoffe ich sehr, dass er genau weiß, wie dankbar ich für all das bin", sagt der viermalige Formel-1-Champion. Dennis hatte das Talent erkannt und seinen "Ziehsohn" fortan mit allen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten gefördert. "Es war damals ein Risiko, ein Poker", ist sich der 32-Jährige der damaligen Situation vor der Debütsaison 2007 bewusst. "Aber tief in meinem Herzen habe ich immer gewusst, dass ich seines Tages solche Erfolge haben werde. Es ist verrückt, aber es ist tatsächlich so."
Hamilton schlägt in der Saison 2007 in der Formel 1 ein wie eine Bombe: vier Grand-Prix-Siege, sechs Pole-Positions und am Ende des Jahres punktgleich mit seinem prominenten Teamkollegen Fernando Alonso auf Platz zwei der WM. Zum Titel fehlte nur ein einzige Zähler. Der stolze Spanier wandert enttäuscht ab, ist unser anderem davon genervt, dass Dennis-Schützling Hamilton viel Hilfe im Team zuteil wird. Der Brite ist die Zukunft - so denkt man bei McLaren. Und man behält Recht: Bereits 2008 sichert sich Hamilton die erste seiner bislang vier WM-Kronen in der Königsklasse.
No risk, no fun: Warum der Wechsel zu Mercedes wichtig war
Der angeblich schlechte Schüler aus Stevenage, der nach Aussage seiner damaligen Lehrer null Perspektiven besitzt, ist plötzlich die heißeste Aktie in der höchsten Motorsportklasse der Welt. Dies wird spätestens 2013 deutlich, als Mercedes den Briten als Nachfolger für Rekordchampion Michael Schumacher ins Werksteam holt. "Ich frage mich manchmal, wie viele Leute damals wohl gedacht haben, dass der Wechsel zu Mercedes der dümmste Schritt war, den ich gemacht habe", lacht Hamilton.
"Die werden ihre Meinung schon vor Jahren geändert haben. Aber ist es nicht cool, wenn jemand ein bisschen Risiko eingeht und dann kommt so etwas dabei heraus? Ich bin wirklich extrem stolz. Auch auf alle Menschen, die mir das alles ermöglicht haben", sagt er - und meint damit neben Förderer Ron Dennis vor allem seinen Vater Anthony, der die Karriere seines Sohne über viele Jahre als Manager begleitete. Vater und Sohn mischten die Szene auf. Zwischenzeitlich kam es zu einem Bruch, der aber nach Abschluss eines normalen Abnabelungs-Prozesses nun wieder gekittet ist.
"Ich kann gar nicht zum Ausdruck bringen, was mein Vater alles getan hat, damit ich jetzt ganz oben sein kann", erklärt Hamilton nach seinem vorzeitigen Gewinn der Weltmeisterschaft 2017. "Egal, wie viele Siege ich feiere, egal, wie erfolgreich ich bin: Ich kann das alles niemals zurückzahlen. Ich versuche einfach nur, meine Chancen mit beiden Händen zu ergreifen. Ich denke dabei auch an die vielen Kids, die mich unterstützen. Denen möchte ich ein Vorbild sein, will deren hellstes Licht sein, das deren Weg beleuchtet."