Marko: "Das ist wie Todesstrafe für Hühnerdiebstahl"

, 24.07.2012

Der Red-Bull-Motorsportberater sieht sein Team bei der Entscheidung über den Vorfall zwischen Vettel und Button von der Rennleitung benachteiligt

Die Bestrafung von Sebastian Vettel für sein Überholmanöver gegen Jenson Button auf dem Hockenheimring ist schon zwei Tage alt, die Diskussionen gehen weiter. Red Bull legt in Person von Helmut Marko nach und stärkt seinen Piloten. "Um eine Kollision zu vermeiden, hat er ausweichen müssen. Das war kein Vorteil, er beschleunigt auf der schlechteren Spur, wo es rutschiger ist als auf dem Asphalt. Ich kann da kein Vergehen sehen", so der Motorsport-Berater am Montagabend bei 'ServusTV'.

Auch Vettel selbst schreibt auf seiner Homepage: "Aus meiner Sicht ist eigentlich alles richtig abgelaufen." Der Doppelweltmeister scheint jedoch mit der Sache abgeschlossen zu haben: "Aber man kann nichts tun, wenn das die Verantwortlichen anders sehen. Es ist wie im Fußball: Der eine Schiedsrichter gibt Elfmeter, der andere nicht. damit muss man dann leben", gibt sich Vettel nach Außen hin gelassen und erklärt, nichts an dem Urteil ändern zu können.

FIA-Richtlinie erst vor zwei Wochen veröffentlicht

"Mir tut das besonders wahnsinnig für das Team und die Fans leid, die uns mit ganzer Kraft angefeuert haben", schreibt Vettel weiter. Bei Marko ist die Empörung deutlich größer. Akzeptanz: Fehlanzeige. "Man hat genau gesehen, dass Button nach Außen lenkt und Vettel musste - um eine Kollision zu vermeiden - ebenso nach Außen gehen", hadert der Österreicher, bemerkt aber beiläufig auch: "Okay, er hätte vom Gas gehen können." Tat er nicht - und wurde bestraft.

Offensichtlich scheint die Entscheidung in Einklang mit einer am Rande des Großbritannien-Grand-Prix herausgegeben Richtlinie zu stehen. In einem 'Autosport' vorliegenden Kommuniqué, in dem die Regeln zum Spurwechsel beim Verteidigen klargestellt wurden, gibt FIA-Rennleiter Charlie Whiting bekannt: "Jeder Fahrer, der die Strecke verlässt - zum Beispiel, wenn kein Teil seines Autos mit der Bahn in Berührung bleibt, so wie in den aktuellen Regeln bestimmt -, darf auf die Strecke zurückkehren, aber ohne sich dabei einen Vorteil zu verschaffen."

Vergne hält Vettel für unschuldig

In dem den Teams zugestellten Schreiben heißt es weiter: "Während die entsprechende Regel besagt, dass ein Fahrer keinen Vorteil durch das Verlassen der Bahn haben darf, sollten die Stewards dazu ermutigt werden, in nicht eindeutigen Fällen, wo die direkte oder indirekte Vorteilsnahme unklar ist, nach ihrem Ermessen zu handeln." Offensichtlich wurde am Sonntag gegen Vettel eben eine solche Ermessensentscheidung getroffen.

Konzernkollege Jean-Eric Vergne stärkt den Deutschen ebenfalls: "In Sebastians Position hätte ich exakt das Gleiche getan. Ausgangs der Kurve war er links, aber absolut neben Jenson. Da hätte er Jenson wirklich den Platz lassen müssen, um auf der Strecke zu bleiben", meint der Toro-Rosso-Pilot bei 'ServusTV' und beschreibt die Szene: "Man sieht: Jenson hat etwas Übersteuern und drückt dadurch Sebastian raus."

Neuer Präzedenzfall?

Vettel habe deshalb kaum eine andere Wahl gehabt, erläutert Vergne. "Er wusste: Wenn ich die Strecke nicht auf das Gras - da war jetzt kein Gras, sondern Asphalt - verlasse, dann hätte Jenson mich weiter rausgedrückt und wir wären zusammengestoßen." Da sei es nicht ungewöhnlich gewesen, dass Vettel die weitere Linie gewählt und im Außenbereich überholt hätte: "Ich hätte genauso reagiert und halte das auch nicht für einen Fehler."

Im Raum steht außerdem ein neuer Präzedenzfall. Der betrifft Kimi Räikkönen: Der Finne hatte beim Rennen in Spa-Francorchamps 2009 - damals noch im Ferrari - unmittelbar nach dem Start in La Source mehrere Konkurrenten auf dem Asphaltstreifen jenseits der Streckenbegrenzung überholt. Für Marko ist das vergleichbar: "Klar kannst du anders: Er ist vom Strich weg und hat dann die freie Linie genutzt. Er hat sich einen Vorteil verschafft." Räikkönen bleib damals unbestraft.

Wird mit zweierlei Maß gemessen?

Vergne stimmt mit ein: "Wenn man sich das bei Räikkönen anschaut: Der wollte schon am Kurveneingang so weit herausfahren. Da war klar: Er fährt Außen vorbei." Bereits zuvor herangezogen worden war eine Szene zwischen Lewis Hamilton und Nico Rosberg beim diesjährigen Rennen in Bahrain - die ebenfalls folgenlos blieb. "Das versteht niemand", wundert sich Gerhard Kuntschik bei 'ServusTV'.

Der Formel-1-Experte der 'Salzburger Nachrichten' fordert gleiche Entscheidungsstandards, findet aber: "Von den Buchstaben des Gesetzes, sprich vom Reglement her, war die Entscheidung der Stewards absolut korrekt. Er war mit vier Rädern außerhalb der Strecke." Dennoch hinterfragt Kuntschik: "Nur wie oft wird in der Formel 1 der 'Geist des Gesetzes' zitiert? Da wäre in diesem Fall der Geist des Gesetzes, dass man sich keinen Vorteil verschafft - wie bei einem Abkürzer."

Stewards bestimmen Strafmaß nicht

Die Funkbeschwerde, die Button unmittelbar nach dem Vorfall lancierte, wundert Marko nicht: "Er sieht seine Chance, über das Reglement, seine Position zurückzubekommen." Einen Vorwurf will Kuntschik dem Briten nicht machen: "Button ist Kampflinie gefahren. Was soll er machen? Da geht es um Platz zwei. Natürlich wird er seinen Platz verteidigen. Am Kurveneingang war er ja noch vorne, Vettel ist von Außen gekommen. Im umgekehrten Fall wäre Vettel genau die gleiche Linie gefahren."

Deutlich schärfer ist Markos Ton, wenn es um das Strafmaß geht. Das ist festgelegt und - im Gegensatz zu der Entscheidung über den Regelverstoß - keine Ermessensentscheidung der FIA-Stewards. "Das Nächste ist, dass es nur eine Bestrafung oder Nicht-Bestrafung gibt", klagt Marko. "Und wenn es zu einer Bestrafung bekommt, dann sind es 20 Sekunden. Das ist in diesem Fall auch unangebracht. Das ist wie für Hühnerdiebstahl Todesstrafe", erklärt der Red-Bull-Verantwortliche.

Aber hätte man angesichts des drohenden Unheils nicht zumindest über Funk auffordern können, Button wieder vorbeizulassen und so zumindest eine härtere Bestrafung zu vermeiden? "Die Warnung kam nicht", erinnert sich Marko an die Kommunikation mit der FIA. Ob Red Bull einer entsprechenden Durchsage Folge geleistet hätte, ist eine andere Frage. "Das hätte man regeln können. Ich weiß nicht, ob wir ihn wieder hätten vorbeifahren lassen, weil wir uns im Recht wähnten", bestätigt Marko. Daran hat sich offenbar nichts geändert.

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