Die Podiumspfiffe gegen ihn haben Sebastian Vettel berührt: Ganz verstehen kann er sie nicht, auch wenn er die möglichen Ursachen allmählich nachvollziehen kann
© Foto: xpbimages.com
Nach seinem erneuten Triumph beim Großen Preis von Südkorea durfte Sebastian Vettel seine Siegerehrung endlich mal wieder ohne Pfiffe genießen. Zuvor war er mehrfach ausgebuht worden, offenbar von den frustrierten Fans seiner Konkurrenten, denen Vettel spätestens seit der Sommerpause nicht den Hauch einer Chance lässt. Red-Bull-Motorsportkonsulent Helmut Marko ist erbost über die Schmähungen und nimmt seinem Top-Fahrer in Schutz.
"Er persönlich versteht es nicht. Es gibt nichts, was er eigentlich falsch macht. Er konzentriert sich auf das, was von ihm erwartet wird, nämlich die optimale Leistung zu zeigen", erklärt der Österreicher bei 'Sky'. Dass die Pfiffe Vettel näher gehen, als es auf dem Podest den Anschein macht, gibt er gegenüber 'RTL' selbst zu: "Das berührt einen natürlich schon. Ich meine, wenn die Leute buhen, denkt man sich: Was habe ich denn jetzt gemacht? Seid ihr panne? Guckt doch mal das Rennen, ich habe doch alles richtig gemacht."
"Ich habe meine Leistung gebracht, und das sollte auch akzeptiert oder respektiert werden", findet der Deutsche. Wenn einer mal einen dummen Spruch mache, dann sei das ganz normal. "Das sehe ich nicht so eng, da darf man sich nicht so viele Gedanken machen." Die große Anzahl der pfeifenden Zuschauer bringt Vettel dann aber offensichtlich schon ins Grübeln.
Trotzdem durchschaut der 26-Jährige allmählich die Stimmungsschwankungen der Fans: "Jetzt sind wir natürlich in der Situation, wo es teilweise kippt, was man selbst am Anfang vielleicht nicht so versteht. Es ist aber normal, glaube ich, dass die Leute es zunächst fantastisch finden, wenn jemand zwei- oder dreimal gewinnt. Dann warten sie wieder darauf, dass ein anderer gewinnt." Laut Vettel seien die Leute auf einen regelmäßigen "Tapetenwechsel" aus: "Ich glaube, es ist einfach normal, dass es auf und ab geht."
Als Fahrer nehme man eine solche Situation jedenfalls ganz anders wahr: "Ich würde selbst von mir nie sagen, ich sei ein Seriensieger. Wenn man sich das aber statistisch anschaut, dass Startnummer 1 jedes zweite Rennen gewonnen hat, dann kann man sich schon vorstellen, dass es für die Leute vielleicht nicht so unterhaltsam ist." Für einen Piloten selbst sei das jedoch nicht so, da man sich jedes Mal neu anstrengen müsse.
Mit Fleiß zum Erfolg
Damit spricht Vettel einen Punkt an, auf den Marko sehr stolz ist: "Sebastian weiß genau, was er will. Was er erreicht, schafft er mit viel Arbeitseinsatz. Sein gesamtes Privatleben - und alles andere - ist hinten angestellt." Der Champion selbst kann das bestätigen: "Wenn ich meine Hausaufgaben am Freitagabend nicht mache und nicht versuche, das Beste aus dem Auto herauszuholen, dann läuft es Samstag nicht", was natürlich Konsequenzen das Restwochenende nach sich zieht.
"Dann stehe ich nicht vorne, sondern irgendwo mittendrin, und dann ist der Sonntag auch schon vorgezeichnet", beschreibt Vettel die Probleme, mit denen sich etwa sein Teamkollege Mark Webber in diesem Jahr immer wieder auseinandersetzen musste. "Deswegen nimmt man das selbst nicht so wahr, weil man viel beschäftigter damit ist, als jemand, der Sonntagnachmittag den Fernseher anschaltet oder an der Strecke steht, sein Bier trinkt und sich darüber aufregt, dass wieder derselbe vorne ist."
Der Neid schwingt mit
Für Vettel ist klar, dass große Teile des Unmuts durch den Neid auf seinen Erfolg entstehen: "Das liegt in der Natur des Menschen. Ich denke, wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, geht es mir manchmal genauso, dass man sich immer über irgendwas beschwert und das Negative sieht, obwohl es so viel Positives gibt." Der Neid der Konkurrenz dürfte vor allem dem Red Bull der vergangenen vier Jahre gelten, weil es die anderen Teams einfach nicht schaffen, ein wirklich konkurrenzfähiges Auto zu bauen.
Vettel möchte aber darauf hinweisen, dass bei einem Titelgewinn im Normalfall immer auch das Auto eine tragende Rolle gespielt hat: "Wenn man ganz ehrlich ist - das sage ich jetzt als Fan - und zurückschaut auf die Autos, in denen Michael (Schumacher; Anm. d. Red.), Senna, Prost oder Lauda gewonnen haben - das waren keine Schrotthaufen, sondern es waren richtig gute Autos. Und die besten Fahrer landen irgendwann mal in den besten Teams und gewinnen dann eben auch Rennen, das ist meine Meinung."
Eigentlich sollte Vettel stolz auf den Gegenwind sein: "Neid ist normal ein gutes Zeichen, weil man sich Neid erarbeiten muss, während man Mitleid geschenkt bekommt. Wenn es immer heißt: 'Och der Arme, jetzt ist der schon wieder ausgefallen, und schon wieder ist der Motor kaputt' - darauf können wir verzichten, ganz ehrlich. Man wünscht sich eher, dass man in einem Auto sitzt, in dem man gewinnen kann und sein Talent auch zeigen kann."
"Wenn mir das dann gelingt, also dass ich das Rennen gewinne oder auf Pole stehe, dann macht mich das glücklich", so Vettel. Gleichzeitig wisse er aber auch, dass es immer einen gebe, der gut genug sei, um ihn in die Schranken zu verweisen, "und mich dazu anstößt, noch mehr Gas zu geben und noch besser zu werden."
Pfiffe und "Eier-Spruch" dürften zusammenhängen
Neben der ohnehin schon nicht einfachen Situation war Vettel durch seine Aussage, die Konkurrenz würde "die Eier in den Pool hängen", auch innerhalb der Formel 1 auf deutliche Kritik gestoßen; Nico Rosberg hatte die Worte des Weltmeisters etwa als "abgehoben" bezeichnet. "Dass ein 26-Jähriger mit solch einem Druck und solch einer weltweiten Aufmerksamkeit nicht wie ein Profi umgeht, liegt in der Natur der Sache", findet allerdings Marko und stellt sich vor seinen Fahrer.
Man dürfe nicht vergessen, dass ein 26-Jähriger zum vierten Mal um den Titel kämpft - und das "mit einem Team, das kein traditioneller Rennstall ist und kein Hersteller." Solche Leistungen seien keine Selbstverständlichkeit, findet der 70-Jährige. Seinem Piloten legt er nahe, sich nicht aus der Bahn werfen zu lassen: "Ich sage dem Sebastian - wie auch alle anderen hier -, dass er sich nicht verbiegen lassen soll. Was sich in letzter Zeit an Buhrufen abgespielt hat, finde ich äußerst unfair und unkorrekt. Das ist auch sicherlich von gewissen Seiten gesteuert."
Marko kann den Ausgangspunkt der Anfeindungen offenbar lokalisieren: "Wenn der Zweite in einem roten Auto sitzt, dessen Team traditionsreich ist und das tollste Image hat, und wir diesen Fahrer immer schlagen, dann kommt irgendwann Frust auf. Diese Frustration sollte aber nicht in Buhrufe ausarten." Red Bull dürfe sich in keiner Weise auf die Provokationen einlassen: "Wir gehen so korrekt wie möglich vor. Wenn wir gewinnen, werden wir angefeindet. Wir dürfen uns keine Blöße geben. Die richtige Antwort ist der Erfolg auf der Strecke."
Intern habe man bei Red Bull beobachtet, dass Vettel immer entspannter werde, je näher er dem Titel komme, verrät Marko. Schon in Japan könnte somit alle Last von ihm abfallen. Außerdem erwartet der Österreicher ein ruhigeres Jahr 2014: "Wir haben im kommenden Jahr einen anderen Teamkollegen, da wird es auch eine wesentlich entspanntere Atmosphäre geben. Dieses momentane Zwischentief in der Popularität ist kein wesentliches Problem."