Helmut Marko erklärt, wie gegensätzlich Sebastian Vettel und Mark Webber im WM-Endspurt agieren und wieso Red Bull auf die "spezielle Vettel-Abstimmung" setzt
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2012 dauerte es lange, bis bei Sebastian Vettel der Knopf aufging. In der ersten Saisonhälfte konnte er sich kaum von seinem Teamkollegen Mark Webber abheben, doch ab dem Grand Prix von Singapur, als Adrian Newey das WM-entscheidende Update für das Auto brachte, fuhr der inzwischen dreifache Weltmeister in einer eigenen Liga und gewann vier der letzten sechs Saisonrennen. Während Red-Bull-Teamchef Christian Horner gegenüber 'Autosport' dies darauf zurückführte, dass "der eine Fahrer manchmal mehr aus dem Auto herausholt, als der andere", meinte Alex Wurz gegenüber der 'SportWoche', dass dies eine bewusste Entscheidung des Teams war: "Man setzt auf Vettel, weil der zwei Titel geholt hat".
Diese Vermutung bestätigt nun Helmut Marko im 'Red Bulletin'. Auch Stardesigner Adrian Newey soll laut dem Red-Bull-Motorsportchef in der Anfangsphase der WM "sehr irritiert" gewesen sein, dass der RB8 alles andere als rund lief: "Er hat deshalb seinen Arbeitseinsatz - der schon nicht gering ist - deutlich verstärkt." Zunächst ging es laut dem Österreicher darum, die durch die für Red Bull besonders schmerzhaften Reglementänderungen entstanden Schwächen auszubügeln, dann musste "die spezielle 'Vettel-Abstimmung' gefunden werden", die "durchaus unterschiedlich von der des Webber-Autos" sei.
Ein Schritt in Richtung Vettels, der sich laut Marko auszahlt: "Erst dann kann Vettel diese unglaublichen 110 Prozent im Qualifying abrufen". Das Singapur-Update mit dem Doppel-DRS, Verbesserungen im Heck und einem neuen Frontflügel bezeichnet der ehemalige Formel-1-Pilot und Le-Mans-Sieger im Nachhinein als "allumfassende Lösung" aus der Feder Neweys. Vettel bedankte sich schließlich auf seine Weise für die Unterstützung und drehte die WM am Ende doch noch. Für den langjährigen Mentor des Heppenheimers war dies keineswegs überraschend, denn er hatte in der zweiten Saisonhälfte mit einer Leistungsexplosion Vettel gerechnet.
Das Vettel-Phänomen
"Es gibt da ein Phänomen", verrät er. "Nach der Sommerpause geht seine Leistungskurve steil nach oben. Das war auch in den Vorjahren schon so." Marko ist sich nicht ganz sicher, worauf dies zurückzuführen ist, aber er hat eine Theorie. Während sich Rivale Fernando Alonso "sehr mit Politik und komischen Sprüchen" beschäftige, schotte sich Vettel ab und habe dann noch "Reserven, die andere nicht mehr haben".
Der Red-Bull-Star ignoriert laut Marko das Störfeuer der Konkurrenz, "liest auch keine Zeitungen, kein Internet." Auch sein vorsichtiger Umgang mit der Öffentlichkeit könnte ihm diesbezüglich zu Gute kommen, glaubt der 69-Jährige: "Charakteristisch für Sebastian ist ja, dass der Rennfahrer Vettel für die Öffentlichkeit da ist - sein Privatleben will er aber privat halten." Um so fokussiert auf das Rennfahren zu sein, "braucht er einfach die nötige Ruhe und Zeit. Da muss er sich absondern, dann kann er etwas abrufen, was kein anderer Fahrer hat - im Qualifying oder im Rennen."
Das sei auch der Grund, warum er bei der Zeiteinteilung zwischen den Rennen so viele Freiräume genießt. "Er könnte wesentlich mehr Geld verdienen, wenn er öfter für PR-Auftritte zu haben wäre", weiß Marko, "aber da hält er sich zurück. Außerhalb unseres Teamprogramms versucht er auch nur solche Sachen zu machen, die ihm Spaß machen."
Was Webber fehlt
Wer von den beiden Red-Bull-Piloten der bessere Rennfahrer ist, haben für den Motorsportkonsulenten die Ergebnisse der vergangenen Jahre klar bewiesen. "Mir kommt es so vor, dass Webber im Schnitt pro Jahr zwei Rennen hat, wo er unschlagbar ist, aber er kann diese Form nicht übers Jahr halten", fehlt ihm beim "Aussie" die Konstanz.
Beim Red-Bull-Routinier fällt ihm eine gegensätzliche Tendenz zu Vettel auf: "Parallel zur aufsteigenden Form vom Seb gibt es bei Mark - kommt mir vor - ein gewisses Abflachen." Technische Defekte würden ihn eher aus der Bahn werfen: "Dann kommt er in eine Spirale, die sich relativ leicht nach unten bewegt." Auch mit dem Druck eines Titelkampfes tue sich Webber "schwerer".
Marko glaubt, dass dies damit zu tun hat, dass Webber so lange darum kämpfen musste, in einem Topteam zufahren und schließlich vom unerfahrenen Vettel in die Schranken gewiesen wurde, dem das Glück zuzufliegen schien. "Psychologisch ist das natürlich nicht einfach, das kann schon an der Persönlichkeit nagen", zeigt er für Webber Verständnis.