Für Mercedes bricht am kommenden Donnerstag wohl der wichtigste Tag der jungen Teamgeschichte an - Die Entscheidung um den Reifentest fällt vor dem Tribunal
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Noch acht Tage müssen die Beteiligten warten, dann tagt das Internationale Tribunal der FIA, das das Thema der Reifentestaffäre um Mercedes und Pirelli entscheiden und zu einem Ende bringen soll. Während Ferrari schon von der FIA freigesprochen wurde, erwartet Mercedes in etwas mehr als einer Woche der Gang vor diese gerichtliche Instanz. Von einer empfindlichen Strafe bis hin zu einem Freispruch ist wohl alles drin, doch welche Entscheidung das Tribunal am Ende treffen wird, weiß natürlich zu diesem Zeitpunkt keiner.
Auch, weil die Faktenlage mehr als verschwommen ist - selbst die FIA wollte in diesem Fall nicht entscheiden und gab die Verantwortung an das Tribunal weiter. Mercedes will bei der Anhörung die Fakten auf den Tisch legen. Bei den Silberpfeilen ist man sich sicher, dass man nichts Unrechtmäßiges getan hat. "Wir laufen nicht blauäugig in ein Vergehen hinein und brechen das Sportgesetz", heißt es von Motorsportchef Toto Wolff bei 'Sky'.
Der Österreicher ist das Thema langsam leid und will vor der Anhörung am 20. Juni keine großen Kommentare mehr tätigen - und andere sollten dies seiner Meinung nach auch nicht tun: "Es wird hier sehr viel spekuliert, es wird wahnsinnig viel geredet. Aber niemand kennt tatsächlich die Fakten", winkt er ab. "Kein Mensch weiß tatsächlich, warum und worauf wir unsere Entscheidung basiert haben und was ihr Hintergrund ist."
Ohne Angst vors Tribunal
Das wisse nur Mercedes, und die werden am kommenden Donnerstag ihr Schweigen in der Sache brechen und ihre Intention deutlich machen. "Dann gibt es eine Entscheidung der FIA und von unabhängigen Richtern", so Wolff weiter. Auch Aufsichtsratschef Niki Lauda gibt sich vor dem Termin entspannt: "Ich habe überhaupt keine Angst vor dem Urteil. Nach allem, was mir zugetragen wurde, bin ich der Meinung, dass wir das Urteil abwarten müssen - aber ohne davor Angst zu haben."
In den Medien ist themenbezogen häufig vom Kampf Mercedes versus Red Bull zu lesen, weil das Team von Sebastian Vettel einer der Hauptinitiatoren im Vorgehen gegen den Geheimtest war, und neben Ferrari in Monaco als einziges Team dagegen protestiert hat. Schuldzuweisungen en masse werden ausgetauscht, Red Bull hat sogar Mercedes die Alleinschuld an dem Test zugeschoben und Pirelli aus der Verantwortung genommen.
"Das hat nichts mit Pirelli zu tun", betont Teamchef Christian Horner. "Ich kann voll und ganz verstehen, warum Pirelli diesen Test durchführen wollte. Mit ihnen haben wir keine Probleme", ergänzt der Red-Bull-Chef. Pirelli wolle lediglich sein Produkt verstehen, und habe dafür die ihnen angebotenen Mittel ausgeschöpft. "Sie haben nach einem Auto gefragt, und es liegt in der Verantwortung des Teilnehmers, dass dieses Auto den Regeln entspricht", sieht Horner Mercedes in der "Täterrolle". "Und in dem Fall hat ein Mitbewerber durch den Einsatz eines aktuellen Autos die Regeln gebrochen."
Mercedes beharrt auf fehlenden Vorteil
In der Streitfrage dreht es sich natürlich auch immer darum, ob Mercedes nun einen Vorteil aus dem Test gezogen hat oder nicht. Fakt ist: Mercedes hatte Experten zufolge die größten Reifenprobleme aller Teams und hat nach dem Test den Großen Preis von Monaco gewonnen. Red Bull sieht sich klar im Nachteil: "Man lernt dabei auf jeden Fall etwas. Sei es über die Zuverlässigkeit, die Fahrer oder andere Komponenten. Daher verstößt dieser Test unserer Meinung nach gegen die Regeln."
Doch bei Mercedes winkt man diesbezüglich ab: "Wenn wir einen eigenen Test fahren, generieren wir eine Menge Daten. Wenn wir einen Test für Pirelli fahren, generieren wir daraus keine Daten", versichert Wolff. "Für uns war das ein Blackbox-Test. Wir haben den Test nicht selbst organisiert, sondern uns Pirelli gewissermaßen in die Hand gegeben." Und genau darin liegt für Ex-Teamchef Eddie Jordan die Crux: "Die Fakten, was Red Bull angeht, sind so, dass Mercedes keine Erlaubnis hatte zu testen und dass dieses Auto Teile dran hatte - ob nun Auspuff, Bremsen, unterschiedliche Aufhängungen. Vielleicht hat es ihnen für Monaco geholfen", so der Ire bei 'Servus TV'.
Doch ganz besonders bitter sei der Geschmack, weil der Test in Barcelona nicht offen kommuniziert worden sei: "Mercedes hätte es den Teams sagen müssen, das gehört dazu. Sie haben gesagt: 'Es war nicht unser sondern Pirellis Test.' Pirelli hätte es kommunizieren müssen. Das ist so ein bisschen zweideutig", findet der heutige TV-Experte und trifft bei Christian Horner auf Zustimmung. "Es ist enttäuschend, aus zweiter Hand zu erfahren, dass Mercedes drei Tage lang getestet hat und Ferrari ebenfalls, wenn auch mit einem alten Auto. Das ist alles andere als transparent."
Bleibt das gute Verhältnis zu Red Bull?
"Wenn das mit der Zustimmung aller Teams geschehen wäre, oder alle Teams an dem Test teilgenommen hätten, wäre es in Ordnung gewesen", fügt der Red-Bull-Teamchef an. "Aber es kann nicht sein, dass nur ein Team diesen Test macht." Das sieht nach einer dicken Schlammschlacht zwischen den beiden Teams aus, doch wo vor den Kulissen mächtig Dampf gemacht wird, soll es um das Verhältnis zwischen Red Bull und Mercedes eigentlich gar nicht so schlecht bestellt sein.
Zumindest Niki Lauda und Toto Wolff könnten als Österreicher ein Verbindungsglied zum österreichischen Team darstellen. Lauda wurde nach dem Großen Preis von Kanada sogar gesehen, wie er zu Red Bull gegangen ist um herzlich zu gratulieren. "Ich habe mit den ganzen Leuten, die hier arbeiten - besonders mit den Red-Bull-Leuten - ein ganz normales, gutes Verhältnis", erklärt Lauda bei 'RTL'. "Auch wenn man noch so streitet, gratuliert man sich natürlich gegenseitig."
Seiner Meinung nach werde sich daran auch in Zukunft nichts ändern: "Wir werden schauen, wie das Tribunal überhaupt ausgeht. Und dann wird sich an unserem Verhältnis an und für sich, zumindest von mir aus, sicher nichts ändern." Ob diese Aussage Bestand hat, wird sich wohl erst nach dem Urteilsspruch zeigen, auf das wohl die ganze Formel-1-Welt gespannt wartet. Kann Mercedes seinen Kopf noch einmal aus der Schlinge ziehen? Oder erwartet die Silberpfeile eine drakonische Strafe?
Jordan glaubt an Köpferollen
An Letzteres glaubt zumindest Eddie Jordan: "Ich denke, dass es Strafen geben wird. Ich weiß jetzt nicht, ob man nun Mercedes Punkte abziehen oder Ross Brawn seinen Job verlieren wird. Ich möchte darüber jetzt nicht spekulieren. Aber irgendjemand wird in dieser Situation seinen Job verlieren, weil irgendjemand die Entscheidung getroffen hat", ist sich der ehemalige Teamchef ziemlich sicher.
Besonders Mercedes-Teamchef Ross Brawn wird in diesem Zusammenhang immer wieder genannt. Über die Ablösung des Briten wird schon seit Saisonbeginn diskutiert, zudem nahm er am Freitag die ganze Schuld für die Affäre auf sich. Doch Wolff wiegelt bei 'Sky Sports F1' ab: "Das ist die Meinung vieler Leute, aber das ist nicht Mercedes' Geschäftsgebaren", versichert er.
"Ross hat gesagt, dass er die Entscheidung getroffen hat - seine Schultern sind breit genug dafür. Ich wusste nichts davon, dass er das sagen würde", erklärt Wolff weiter. "Er war in den vergangenen 20 Jahren so erfolgreich und trifft seine Entscheidungen - Hut ab, wie mein Freund Niki Lauda sagen würde. Wir werden weder ihn noch irgendeinen anderen fallen lassen. Wir stehen zusammen, wir sind ein Team."