Die Pole-Serie von Mercedes in der Formel 1 2015 ist gerissen: Lewis Hamilton und Nico Rosberg in Singapur in der dritten Reihe und mit Fragezeichen im Gesicht
© Foto: xpbimages.com
Empfindliche Schlappe für Mercedes in Singapur: Nach zuvor zwölf Pole-Positions bei den ersten zwölf Qualifyings der Saison landeten Lewis Hamilton und Nico Rosberg im nächtlichen Qualifying auf dem asiatischen Stadtkurs nur auf den Positionen fünf und sechs. Ihr Rückstand auf Polesetter Sebastian Vettel (Ferrari) betrug gewaltige 1,4 beziehungsweise 1,5 Sekunden.
Erstmals seit Spielberg 2014 kein Mercedes-Fahrer auf der Pole. Damals war es in Person von Williams-Pilot Felipe Massa aber zumindest noch ein Fahrer mit Mercedes-Power im Heck. Vettels Husarenritt auf die Singapur-Pole bedeutet die erste Qualifying-Niederlage für den V6-Turbo von Mercedes seit die Formel-1-Regelhüter im Winter 2013/2014 die V8-Saugmotoren in die Ecke stellen ließen.
Was das Singapur-Wochenende betrifft, so taten sich die Mercedes-Piloten Hamilton und Rosberg mit Ausnahme des ersten Freien Trainings am Freitag in jeder einzelnen Session schwer, den nötigen Grip zu finden. Dies gilt sowohl bezogen auf die Soft- als auch bezogen auf die Supersoft-Reifen von Pirelli. Während es die Piloten von Ferrari und Red Bull im ersten Qualifying-Segment (Q1) bei schnellen Runden auf der Soft-Mischung beließen, mussten Hamilton und Rosberg bereits die Supersofts zücken, um eine noch empfindlichere Schlappe zu vermeiden.
Als in Q2 alle mit den Supersoft-Reifen unterwegs waren, fanden sich die beiden Mercedes-Piloten nur auf den Plätzen sechs und sieben wieder. Dabei kämpften Hamilton und Rosberg mit demselben Problem - dem mangelnden Grip. Ihre persönlich schnellsten Rundenzeiten waren nur durch 0,003 Sekunden getrennt. Auf die Spitze aber fehlte beiden fast eine Sekunde.
Im dritten und entscheidenden Qualifying-Segment (Q3) fiel der Rückstand für Mercedes noch drastischer aus: Hamilton brach seinen ersten Q3-Versuch nach einem wilden Ritt über den Randstein von Kurve 7 ab. Seine einzige fliegende Runde brachte ihn nach zuletzt sieben Pole-Positions in Folge diesmal nur auf Startplatz fünf. Unterm Strich lag der amtierende Weltmeister und aktuelle WM-Spitzenreiter unter dem Flutlicht des Marina Bay Street Circuit satte 1,415 Sekunden hinter der Zeit von Polesetter Vettel zurück.
Beinahe noch schlimmer als der große Rückstand ist für Mercedes die Tatsache, dass man bezüglich der Ursache sprichwörtlich im Dunkeln tappt. "Wir haben uns heute schwergetan mit den Reifen. Wir haben sie so aufgewärmt wie alle anderen Teams auch, aber wir haben sie einfach nicht zum Arbeiten gekriegt. Warum die Reifen keinen Grip entwickelt haben, wissen wir nicht", bemerkt Hamilton und antwortet auf die Frage, ob der Reifendruck die Ursache sein könnte: "Keine Ahnung."
Rosberg verbuchte auf Platz sechs 1,530 Sekunden Rückstand auf Vettel und rätselt ebenfalls. "Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal 1,5 Sekunden hinter der Spitze zurück lag. Das muss Jahre her sein", sagt der Deutsche und unterstreicht: "Wir verstehen nicht, warum das hier so ist. Wenn wir wüssten, woran es liegt, hätten wir das Problem behoben. Wir wissen es aber nicht."
"Wir waren bis jetzt auf allen Strecken absolut dominant. Was ist hier anders? Keine Ahnung. Unglaublich, wie sich das verändern kann", verleiht Rosberg seinem Erstaunen Ausdruck und macht sich auch für das Rennen keine großen Hoffnungen. "Vom Renntempo her wird es auch morgen nicht für ganz nach vorne reichen. Das haben wir schon am Freitag gesehen", spricht der WM-Zweite auf die Longruns an, bei denen Mercedes am Freitag deutlichen Rückstand auf Ferrari und Red Bull aufwies.
Rosberg dreht sich beim Setup im Kreis
Als ihm das Team in Q3 über Funk durchgab, dass man den Reifendruck verändert habe, zeigte sich Rosberg wenig begeistert. Den Reifendruck will er aber nicht als stichhaltige Ursache für den Rückstand ausmachen. "Das hat damit nichts zu tun. Wir haben alles probiert, haben uns aber nicht weiter verbessert. Ich habe jetzt wieder das Setup vom ersten Freien Training. Ich bin also einmal ganz im Kreis durch alles durch und am Ende bin ich wieder dahin zurück, wo ich angefangen habe. Das lag mir eigentlich auch am besten. Damit bin ich schon zufrieden, aber irgendwie haben wir keinen Grip", stöhnt Rosberg gegenüber 'ORF' und schiebt ernüchtert hinterher: "Gelernt haben wir nur, dass die Ferrari zu stark sind."
Auch Toto Wolff ist nach der ersten Qualifying-Niederlage für das Mercedes-Team seit Spielberg 2014 mit seinem Latein am Ende. "Schock ist vielleicht nicht das richtige Wort, denn wir müssen uns das Auto anschauen und analysieren, was passiert ist. Doch wir sind sehr überrascht und das bereits von Beginn an. Man beginnt mit der geplanten Simulation, mit dem, was man von der Strecke erwartet und wie man das Auto abstimmen will. Das hat irgendwie nicht funktioniert. Wir haben ein paar Maßnahmen ergriffen, doch die erwiesen sich als falsch", bemerkt der Mercedes-Motorsportchef gegenüber 'Sky Sports F1'.
Toto Wolff: Sebastian Vettel ist der Gegner
Bei der Top-Speed-Messung lagen Hamilton und Rosberg mit jeweils 310 km/h ganz vorn, doch damit ist auf dem winkligen Stadtkurs in Singapur wenig zu gewinnen. Hamilton gibt dennoch nicht auf. "Das Ziel ist immer noch, das Rennen zu gewinnen. Das wird aber nicht einfach, weil das Überholen auf dieser Strecke wirklich schwierig ist. Auf den Longruns waren vor allem die Red Bull richtig stark. Dass wir bis morgen noch etwas finden, wage ich zu bezweifeln. Falls wir doch etwas finden, umso besser", sagt der WM-Spitzenreiter.
"Man sollte niemals aufgeben, jedoch sollte man auch keine Wunder erwarten", ergänzt Wolff und formuliert seine Aussichten für das Rennen deutlich defensiver als Hamilton: "Wir starten von fünf und sechs. Unsere Longruns waren nicht sehr gut. Es ist keine Strecke, auf der man überholen kann und daher bin ich etwas zurückhaltender mit Blick auf Sonntag."
Interessant wird am Sonntag zu beobachten sein, wie sich das teaminterne Duell bei Mercedes entwickelt, wenn beide Ferrari und beide Red Bull in der Startaufstellung weiter vorn stehen. "Der interne Zweikampf ist natürlich gefährlich und darauf müssen wir schauen", sagt Wolff gegenüber 'Sky', um sofort nachzuschieben: "Das größere Thema ist aber Ferrari und Vettel. Er steht vorne, kann das Rennen gewinnen und richtig Punkte aufholen. Das ist der Gegner."