Mercedes: Silberpfeile wirklich auf Goldkurs?

, 04.03.2013

Mercedes hat sich mit beeindruckenden Leistungen bei den Testfahrten in den Kreis der Favoriten gefahren: Ist der deutliche Sprung nach vorn tatsächlich gelungen?

Zwölf Testtage sind vor dem Start in die neue Formel-1-Saison absolviert worden. Die ersten Versuche in Jerez waren von Funktionstests und Aerodynamikerprobungen geprägt. Die Aussagekraft dieser Fahrten ist kaum zu bemessen. Auch in den zwei folgenden Wochen in Barcelona haben sicherlich längst nicht alle Teams ihre Karten komplett aufgedeckt. Eine Interpretation der gefahrenen Rundenzeiten und absolvierten Longruns ist schwierig.

Dennoch hat sich herauskristallisiert, dass Mercedes wohl der erhoffte Schritt in Richtung Spitze gelungen sein könnte. Nicht nur die Bestzeiten von Lewis Hamilton am Samstag und Teamkollege Nico Rosberg am Sonntag, sondern auch das enorm konstante Tempo über mehrere Runden haben Fans wie Fachleute beeindruckt. Mercedes ist gut dabei - so die allgemeine Einschätzung. Ob es aber für Siege reichen wird, ist auch angesichts der zurückhaltenden Rundenzeiten von Red Bull nicht abzuschätzen.

"Red Bull hat längst nicht alle Karten aufgedeckt. Mercedes hat seinen Hut in den Ring geworfen", analysiert Ex-Formel-1-Weltmeister Damon Hill. "Ganz klar: Mercedes ist schnell", meint McLaren-Sportdirektor Sam Michael. "Die waren die ganze Zeit schnell. Ich würde sagen, die haben ihr Paket gut geschnürt. Was dahinter los ist, kann man noch nicht einschätzen." Der frühere Williams-Technikchef sieht die Silbernen sogar ganz an der Spitze.

Mercedes hat in Relation zugelegt

Ganz so weit vorn sehen andere Verantwortliche von Formel-1-Teams die Silbernen nicht. "Ich denke, die haben drei frische Reifensätze gebraucht, um auf die Rundenzeit zu kommen. Schnell ist es aber allemal. Wir hatten alle erwartet, dass sie sich steigern würden. Jetzt sind wir überrascht, wie deutlich sie vorangekommen sind", meint Lotus-Teamchef Eric Boullier. "Aber lasst uns erst einmal das Qualifying in Melbourne abwarten."

Nico Rosberg hatte am Abschlusstag eine Rundenzeit von 1:20.130 Minuten markiert. Der Weltmeistersohn war somit rund zwei Sekunden schneller als die beste Runde von Pastor Maldonado 2012 im Qualifying von Barcelona. "Die haben im Vergleich zu den anderen Teams mehr zugelegt", meint Boullier. "Aber auch im vergangenen Jahr waren sie zu Beginn konkurrenzfähig. Ich wüsste nicht, warum ihnen das in diesem Jahr nicht auch gelingen sollte."

Auch 2012 waren die Silberpfeile bei den Wintertests gut unterwegs gewesen. In den ersten Rennen des Jahres war das Auto zwar phasenweise schnell, litt aber im Vergleich zu den Topteams unter einem deutlich stärkeren Reifenabbau. Der damalige W03 hatte vor allem bei hohen Temperaturen seine Probleme. Die Tests in diesem Jahr in Jerez und Barcelona fanden bei Werten unterhalb von 20 Grad Celsius statt. In Melbourne werden zehn Grad mehr erwartet. Das Bild könnte sich grundlegend verändern.

Der F1 W04 schont die Reifen

Auffällig im Rahmen der diesjährigen Testfahrten war, dass nahezu alle Teams Probleme hatten, die neuen Pirelli-Reifen über mehr als eine Runde funktionsfähig zu halten. Red Bull hatte in den vergangenen beiden Tagen erhebliche Sorgen bei der Suche nach einem passenden Setup, auch McLaren verzettelte sich offenbar auf dem Weg zu einer Abstimmung, die den Pneus ein längeres Leben verschafft. Rosberg und Hamilton hatten in diesem Punkt nie Probleme - egal, welche Bedingungen herrschten.

Diese Erkenntnis hat wohl auch bei Mercedes einige überrascht. Vor zwei Wochen waren die Aussagen zum eigenen Speed sehr zurückhaltend, eine Woche später sprach man zaghaft von möglichen Chancen, in den vergangenen Tagen wurde man offensiver. Hamilton sprach im Verlauf der vergangenen Woche sogar schon von "mindestens einem Sieg", der 2013 in der Luft liegt. Schnell zog man die Reissleine und flüchtete sich in neue Zurückhaltung. "Wir schätzen es realistisch ein", so Teamchef Ross Brawn ganz diplomatisch.

"Ich denke, dass Mercedes ein paar Leute überraschen könnte. Aber das haben wir schon im letzten Jahr gesehen, dass sie im Winter stark waren und es dann im Rennen nicht zeigen konnten", erklärt Kimi Räikkönen gegenüber 'auto motor und sport'. Der Finne geht davon aus, dass sich beim Saisonauftakt in Australien das übliche Szenario bieten könnte: Red Bull und McLaren vor Ferrari, Lotus und Mercedes.

Testbetrieb ist nicht Rennbetrieb

Die große Frage ist derzeit noch, wie gut Red Bull und McLaren wirklich sind. Bei beiden Topteams lief es in der abschließenden Testwoche nicht richtig rund. Beide hatten erhebliche Probleme mit den Pneus, die rapide abbauten. "Wir haben die Rundenzeiten von Mercedes gesehen, aber es ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar, welchen Schritt das Auto auf den jeweiligen Reifen macht. Es hilft natürlich auch, wenn man etwas weniger Benzin ins Auto füllt", stellt Sebastian Vettel mit Blick auf die Silberpfeile klar.

Die Ruhe, die der amtierende Champion bei seiner Analyse behält, ist für manch einen Konkurrenten geradezu beängstigend. Viele Fachleute sind sicher, dass Red Bull trotz der Probleme (Vettel: "Noch nie Wintertests mit weniger Aussagekraft erlebt!") weit vorne dabei sein wird. "Der RB9 hat einfach mehr Abtrieb als alle anderen Autos", meinte Ex-Formel-1-Konstrukteur Gary Anderson in der zweiten Testwoche. Kaum zu glauben, dass die "Bullen" diesen Vorsprung innerhalb weniger Tage verloren haben sollen. Und in Melbourne kommt ein großes Update für den RB9.

Ein Blick auf die Teststatistiken von 2012 zeigt, dass weder Tagesbestzeiten, noch die durchschnittliche Position eines Fahrers im Testklassement oder der durchschnittliche Abstand zur Spitze wirklich Aussagekraft bezüglich der Hackordnung im Grand-Prix-Betrieb hat. Sonst wäre im vergangenen Jahr Lotus oder Mercedes zum WM-Titel gefahren. Beide Teams holten in der Saison 2012 jedoch jeweils nur einen Sieg...

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