Während es Toto Wolff als Vorteil sieht, dass Daimler-Boss Zetsche bei der Pleite in Barcelona vor Ort war, sucht man in Brackley einen Ausweg aus dem Reifendebakel
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Zu Saisonbeginn war die Hoffnung bei Mercedes groß, dass der neue F1 W04 sorgsamer mit den Hinterreifen umgeht als seine Vorgänger, doch dies hat sich als Trugschluss herausgestellt. In Barcelona kassierte man vor den Augen von Daimler-Boss Dieter Zetsche eine schallende Ohrfeige, als Nico Rosberg und Lewis Hamilton trotz Starts aus der ersten Startreihe auf die Plätze sechs und zwölf durchgereicht wurden.
Bereits in Bahrain hatte man trotz der Pole-Position im Rennen schwer zu kämpfen und litt unter enormem Verschleiß an der Hinterachse. Dadurch wird der Druck auf Teamchef Ross Brawn immer größer. Der Brite hat es auch im vierten Jahr nicht geschafft, dem "Silberpfeil" seine chronische Schwäche auszutreiben.
Erst vor wenigen Monaten unterschrieb Mercedes das Commercial Agreement von Formel-1-Boss Bernie Ecclestone, welches das Team bis 2020 an die Formel 1 bindet. Das Budget wurde vergrößert und Hamilton verpflichtet - in den kommenden Jahren steht man also unter gesteigertem Erfolgsdruck. Diese Erfolge soll auch die neue Führungsebene mit den beiden Österreichern Niki Lauda und Toto Wolff gewährleisten.
Zetsche bei Mercedes-Pleite Zeuge
Dass das Rennen nun ausgerechnet in Anwesenheit von Zetsche dermaßen schieflief, sieht Wolff aber nicht als Problem. "Diese Leute sind Ingenieure, sie verstehen also, was hier los ist", verweist er gegenüber 'Autosport' auf Zetsche & Co. "Dass sie bei den Rennen dabei sind, ist nicht nur eine gute Motivation für das Team. Es ist auch gut, dass sie sehen, dass die enorme Komplexität das Problem ist."
Er glaubt, dass es nur ein Vorteil sein kann, wenn sich die Konzernbosse vor Ort ein Bild machen: "Wenn man Dinge im Fernsehen sieht, dann denkt man immer, dass es besser ginge. Es ist wie bei einem Trainer im Fußball-Stadion - aus der Ferne ist es immer einfacher." Dass an der Rennstrecke ein negativer Eindruck entstehen könnte, befürchtet Wolff nicht: "Sie wollen sehen, dass wir proaktiv an die Sache herangehen - und dass wir reagieren."
Lauda ärgert sich über Pirelli-Reifen
Zudem sieht man bei Mercedes die "schmelzenden" Hinterreifen nicht als reines "Silberpfeil"-Problem, schließlich leiden auch andere Teams wie Red Bull massiv unter den 2013er-Pirelli-Pneus. Der Vorstandsvorsitzende Lauda, der für seine direkten Aussagen bekannt ist und als Bindeglied zwischen dem Team und der Vorstandsebene fungiert, lässt gegenüber dem 'Blick' kein gutes Haar an den Pneus.
"Vier Reifenstopps bei einem Grand Prix sind falsch. Dass am Ende der Langsamste gewinnt, kann ja auch nicht im Sinne des Rennsports sein!", spielt er darauf an, dass die Piloten dieser Tage immer wieder von den Kommandoständen zum Reifenschonen gezwungen werden. "Mercedes war im Rennen einfach nicht gut", gibt er zu. "Aber das Reifenproblem mit dem richtigen Reifenfenster geht mir langsam, aber sicher auf die Nerven. Ferrari hat mit Alonso alles perfekt gemacht - und Vettel versteht einmal mehr die Welt nicht mehr. Was soll man tun?"
Er sehnt die alten Zeiten herbei, als seiner Meinung nach der Schnellste gewonnen hat und die Rennen transparenter waren: "Früher sind wir in diesem Sport Mann gegen Mann gefahren. Immer mit Vollgas. Auf die Reifen hat keiner geschaut. Die Zuschauer wussten immer, wer vorne lag. Jetzt braucht dazu schon jeder einen Zeitcomputer von den Kommandoständen der Teams!" Ab Kanada bringt Pirelli auf Druck von Red Bull und Mercedes tatsächlich neue Reifen - man konnte also zumindest einen Etappensieg erringen.
Aufhebung des Testverbots als Weg aus der Krise?
Laut dem ehemaligen Formel-1-Piloten Alex Wurz, der einst als Honda-Testpilot in Brackley stationiert war, hat Mercedes deshalb so große Probleme mit den Reifen, weil man in der Ära der Testfahrten die enormen Datenmengen nie richtig sicherte - ein Fehler, der auf die Vorgänger-Rennställe BAR und Honda zurückzuführen wäre. "Sie haben in der verrückten Zeit, als alle so viel getestet haben, zwar genauso viel getestet, aber das Wissen von damals nicht richtig dokumentiert und in die Kultur, in das Denken der einzelnen Mitarbeiter, reingebracht", meinte der Österreicher gegenüber der 'SportWoche'.
Als Schlüsselmitarbeiter dann das Team verließen, nahmen sie laut Wurz auch das Know-how mit. Dann verstehe "keiner mehr das Ganze in seinen Zusammenhängen. Und ich glaube eben, dass Mercedes in seinen einzelnen Segmenten so eine Kultur noch drinnen hat." Ganz im Gegensatz zu einem Rennstall wie McLaren, wo die flache Hierarchie und die bis ins Extrem gelebte Technologie-Hörigkeit für einen enormen Datenschatz sorgten, von dem man immer noch profitiert. Dadurch hat sich McLaren auch den Ruf erarbeitet, eines der besten Entwicklerteams der Formel 1 zu sein, auch wenn man diese Saison aufgrund der Pirelli-Windkanal-Reifen strauchelt.