"Nicht die Hosen runterlassen": Red Bull und sein Kryptonit

, 23.08.2013

Christian Horner fürchtet Top-Speed-Probleme auf dem "schmalen Grat" Belgien und verspricht neue Teile bis Brasilien - Surer schreibt Räikkönen ab

Red Bull und ihr Stardesigner Adrian Newey scheinen seit einigen Jahren perfekte Formel-1-Autos auf die Räder zu stellen. Doch Saison für Saison gibt es einen kleinen Makel, der die Österreicher zumindest auf manchen Strecken angreifbar macht: die Höchstgeschwindigkeit. Genau deshalb ist Christian Horner im Vorfeld des Rennens auf der pfeilschnellen Bahn in Spa-Francorchamps vor der Konkurrenz gewarnt: "Die Autos mit Mercedes-Motoren sind hier immer gut", erklärt er gegenüber 'Sky Sports F1'.

Der Teamchef hat nicht nur das Werksteam der Stuttgarter, sondern auch deren Kunden auf der Rechnung: "Force India hätte hier vor einigen Jahren fast gewonnen", erinnert Horner an den Galaauftritt Giancarlo Fisichellas und glaubt auch daran, dass Jenson Button sich als Stehaufmännchen entpuppt: "McLaren sieht formverbessert aus. Wir sollten uns auf unsere Stärken konzentrieren und hoffen, dass wir auf den Geraden nicht die Hosen runter lassen müssen." Seine Vorzüge spielt der RB9 im kurvigen Teil der Bahn aus.

Hier kommt nicht zum Tragen, dass der Renault-Motor verglichen mit dem Mercedes-Pendant 20 PS weniger leistet - so munkelt man es zumindest im Fahrerlager. "Es geht um Kompromisse, wenn man sich auf das Rennen konzentriert", argumentiert Horner und fordert sicherzustellen, "auf den Geraden und in der DRS-Zone nicht stehenzubleiben". Das Rezept: Bestzeiten setzen in Sektor zwei, aber nicht zu viel Höchstgeschwindigkeit in den Abschnitten eins und drei dafür opfern. "Es ist ein schmaler Grat", pustet der Brite durch.

Hoffen auf die Vettel-Schippe

Doch Red Bull hat diese Aufgabe bereits gemeistert. Beispiel Kanada: Der Circuit de Gilles Villeneuve gilt als drittschnellster Kurs im Kalender, aber am Ende jubelte Sebastian Vettel. Obwohl der Top-Speed Lewis Hamiltons fünf km/h über dem des Heppenheimers lag. "Wir haben in Montreal gewonnen, obwohl der Kurs eher eine Mercedes-Strecke war", unterstreicht Helmut Marko im Gespräch mit 'Auto Bild motorsport' (jetzt abonnieren!). Dem Chefberater des Brauseriesen stimmt das Personal optimistisch.

"Es ist bekannt, dass Sebastian in der zweiten Saisonhälfte fähig ist, noch eine Schippe draufzulegenden", lobt er den amtierenden Weltmeister, sieht sich in Belgien und in zwei Wochen im italienischen Monza aber in der Defensive. "Wir müssen die nächsten beiden Rennen überstehen", gibt Marko die Marschrichtung vor. Für Spa erkennt Horner einen der Schlüssel zum Erfolg im ökonomischen Umgang mit den Reifen, schließlich sind Regenpneus begrenzt sowie die Wettervorhersage für Samstag und Sonntag bescheiden.

In den Freien Trainings werden die Piloten daher mit wenigen Kilometern auskommen müssen: "Die Möglichkeit, dass es regnet, veranlasst uns dazu, heute keine Reifen zu verbrennen", erklärt Horner. Vielleicht ist der schärfste Pfeil im Red-Bull-Köcher aber auch noch ein großes Geheimnis. Schließlich verspricht Marko: "Wir werden in jedem der noch ausstehenden neun Rennen neue Teile bringen." Klare Prioritäten also bei einem kniffligen Spagat zwischen der Entwicklung für die Turboära und dem Kampf um die WM-Krone 2013.

Horner weiß das und fordert Konzentration auf das neue Projekt. "Anderseits sind wir derzeit am Höhepunkt der Entwicklung dieses Autos. Das heißt, dass die Ergebnisse der Arbeit immer kleiner werden. Es gibt nicht mehr die großen Updates, es geht ums Detail." Im Umkehrschluss bedeutet das: Wo viele Arbeitsstunden investiert werden, sind die Erträge vergleichsweise klein. Trotzdem gibt es bei Red Bull kein Zurückstecken, alleine schon wegen der starken Konkurrenz, deren Kräfteverhältnis sich von Wochenende zu Wochenende verschiebt.

Red Bull hat sie alle auf der Rechnung

Horner hat allen Respekt für die Widersacher Vettels: "Sie sind alle großartige Fahrer und haben zu unterschiedlichen Zeitpunkten ihre Klasse unter Beweis gestellt", verschenkt er Blumen. "Wenn Lewis einen Lauf bekommt, ist er ein harter Gegner. Fernando (Alonso, Anm. d. Red.) abschreiben? Das wäre dumm. Und Kimi (Räikkönen) ist 'Mister Konstanz'. Ich habe alle auf der Rechnung." Für 'Sky'-Experte Marc Surer hingegen ist die Pole-Position im Titelkampf bezogen. Der Schweizer setzt seine Jetons auf Vettel und nennt ihn den "besten Fahrer im besten Auto".

'Auto Bild motorsport' erläutert er, dass mit den neuen Pirelli-Reifen ein weiterer Mosaikstein im Red-Bull-Meisterwerk gesetzt sei. "Jetzt passen die Gummis noch besser: Wer soll sie jetzt noch stoppen?" Surer gibt sich die Antwort "Mercedes" selbst, wenn er über den neuen Technikchef in Brackley sagt: "Paddy Lowe könnte das schaffen. Als neuer Mann bringt er frischen Wind rein und ist ein Meister im Problemlösen." Nicht auf dem Radar hat der Ex-Rennfahrer dagegen Räikkönen, was nicht am Finnen selbst liegt.

Vielmehr an dessen Team und deren Boliden E21: "Lotus hat Einbrüche, die du nicht haben darfst, wenn du Weltmeister werden willst", geht Surer mit den Schwarz-Goldenen hart ins Gericht. "Der größte Nachteil ist, dass die Finanzen immer wackeln." Selbst wenn in Enstone genau die gleichen Möglichkeiten wie etwa bei McLaren in Woking gegeben seien, fehle noch immer das Geld, um davon auch Gebrauch zu machen und verschiedene Dinge auszuprobieren. Dass sich der angekündigte Investorendeal immer weiter hinauszögert, ist da sicher keine Hilfe.

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