Pfiffe des Neids: Wie nahe gehen sie Vettel?

, 23.09.2013

Je besser Sebastian Vettel fährt, desto lauter buhen die Fans, aber im Paddock schwappt gerade deswegen ihm eine Welle der Sympathie entgegen

Sebastian Vettel hat gestern in Singapur den vielleicht dominantesten Sieg seiner Karriere gefeiert, doch anstatt auf dem Podium in einem wohlverdienten Bad der Anerkennung zu versinken, wurde er von den Fans in Singapur gnadenlos ausgepfiffen und ausgebuht. Und das nicht zum ersten Mal: Schon nach dem Ausfall in Silverstone war man ihm mit Häme begegnet, dann erneut bei den Siegerehrungen in Spa-Francorchamps und zuletzt in Monza.

"Bitte lasst das sein, das ist nicht korrekt", forderte sogar Podium-Interviewer Martin Brundle die pfeifenden Fans während seines Gesprächs mit Vettel auf - erfolglos. Vettel selbst machte gute Miene zum bösen Spiel, setzte ein gelassenes Gesicht auf und sagte trotzig in die Menge: "Die sind wahrscheinlich auf Tour. Sie fahren mit einem Bus um die Welt." Doch innerlich prallen die Buhrufe vermutlich nicht so locker von ihm ab.

Schon als kleiner Junge war Vettel traurig, als er von seinen Schulkameraden gehänselt wurde, weil er einen im Go-Kart gewonnenen Pokal in seine Klasse mitgebracht hatte. Auch wenn er es nicht zugibt: Anerkennung ist ihm wichtiger als so manch anderem Fahrerkollegen, und Anerkennung gebührt ihm auch. Zumal sich der 26-Jährige immer bemüht hat, in der Öffentlichkeit als fairer Sportsmann aufzutreten und sich nicht auf bösartige Psychospielchen einzulassen.

Malaysia: Vom Lieblings-Schwiegersohn zum Egomanen?

Doch dann kam Malaysia. "Malaysia hat sicher nicht geholfen, aber das können wir nicht rückgängig machen", spielt Red-Bull-Teamchef Christian Horner auf die "Multi-21"-Affäre an. Dort hat Vettel, bis dahin von vielen als "braver Schwiegersohn" gesehen, erstmals seine andere, seine dunkle Seite gezeigt. Die Seite, die viele Formel-1-Fans auf der ganzen Welt in Michael Schumacher, Vettels Landsmann und Kumpel, gesehen haben - und eigentlich nie wieder sehen wollten.

Vettel, von 'Sky Sports F1' auf die Malaysia-Theorie angesprochen, kommt bei dem Thema leicht ins Schleudern und wirkt unsicher: "Was soll ich dazu sagen? Es ist nichts passiert, ich bin Rennen gefahren", versteht er nicht, warum Malaysia ein Grund sein sollte, ihn zu hassen. Und er versteht immer noch nicht, warum Mark Webber damals sauer war: "Er hat mich ja nicht gerade vorbeigewunken, sondern ich musste fighten..."

"Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wo das alles herkommt", rätselt auch Horner. "Sebastian ist ein toller Junge mit einem tollen Sinn für Humor. Er hat ein großes Herz. Natürlich ist er ehrgeizig, denn er gewinnt gern. Ich finde das alles sehr schade und hoffe, dass es sich in den nächsten Rennen ändert." Eher nicht, wenn Vettels Theorie stimmt, dass es sich bei den Störenfrieden nur um eine Gruppe einiger Fans handelt, die gemeinsam um die Welt reisen.

Gleiche Buh-Fans immer wieder bei den Rennen?

"Die Menschen sind sehr emotional, wenn sie nicht gewinnen, sondern jemand anderes. Es gefällt ihnen nicht. Es sieht so aus, als seien sie auf einer Rundreise und kämen immer wieder", spekuliert er. "Sie sind reich genug, viele Rennen zu besuchen, nach Monza zu kommen oder den Flieger nach Singapur zu nehmen. Aber solange sie buhen, machen wir einen guten Job, so sehe ich das! Es sind nicht die Leute aus Singapur oder aus einem einzelnen Land."

"Es ist normal im Sport, dass Menschen, die einen bestimmten Fahrer unterstützen, den anderen nicht mögen. Es waren genauso deutsche Flaggen an der Strecke zu sehen - es sind sehr viele Deutsche in Singapur. Die Stadt ist sehr international", sagt Vettel. "Bei der Fahrerparade war es schön und auch bei der Ehrenrunde haben viele Leute gejubelt. Ich habe ihnen nicht das spannendste Rennen geliefert, aber das interessiert mich nicht."

Surer glaubt: Nur eine Frage des Neids

Die meisten Kenner der Szene sind sich einig, dass die Vettel-Buhrufe auf eine alte Formel-1-Weisheit zurückzuführen sind: Gewinne einmal, und alle freuen sich mit dir, aber gewinne ein zweites Mal, und alle hassen dich. Eine Einschätzung, die auch Marc Surer unterschreiben würde: "Er muss sich wohl dran gewöhnen - er ist einfach zu erfolgreich! Ich glaube, man kann das so einfach auf den Nenner bringen", analysiert der Formel-1-Experte.

"Wenn einige buhen, dann nehme ich das als Kompliment, denn das ist der Neid", so Vettel gegenüber 'Sky Sports F1'. "Es ist es gar nicht wert, darüber groß nachzudenken." Anderen ist es früher genauso gegangen: "Fernando wurde auch überall ausgebuht", erinnert sich Horner. "Als er neben Lewis bei McLaren gefahren ist, war er extrem unbeliebt, aber jetzt ist er plötzlich der beliebteste Fahrer. Jeder liebt den Underdog - und damit spielt Fernando extrem gut."

Surer ergänzt die Analyse um einen weiteren Aspekt: "Natürlich gibt es immer mehr Ferrari-Fans als Red-Bull-Fans, das muss man auch sagen - das ist einfach von der Tradition her so." Vettel stimmt zu: "Man sollte hinter die Tribünen blicken. Die meisten Fans sind rot gekleidet, denn Ferrari hat eine große Fangemeinde. Dafür gibt es einen Grund: Sie haben viel Tradition in der Formel 1. Sie sind länger dabei und haben viel gewonnen, sie waren erfolgreicher als jedes andere Team."

Sogar Rosberg bricht eine Lanze für Vettel

"Und dass Kimi super beliebt ist", wirft Surer ein, "wissen wir auch, weil er halt einfach ein anderer Typ ist. Aber ich glaube, Vettel muss damit leben. Erfolg erzeugt Neid." Auch Nico Rosberg schlägt sich auf die Seite seines Landsmannes: "Ich weiß nicht, warum die Fans gebuht haben. Er hat ein fantastisches Rennen gezeigt. Er hat den Sieg verdient und er verdient auch den Titel. Er macht einen super Job, hat das beste Auto und das beste Team. Ihn auszubuhen, ist respektlos."

Rosbergs Chef Niki Lauda ist von Vettels Performance in Singapur sowieso schwer beeindruckt: "Von mir kriegt er Respekt! Ich ziehe meine Kappe, denn diese Leistung war unglaublich. Er ist von der ersten Runde an Kreise um alle gefahren, Kreise, ohne einen Fehler. So toll habe ich selten jemanden Autofahren gesehen. Man kann ihm nur den höchsten Respekt zollen. Das Team und er sind unschlagbar im Moment", zeigt er kein Verständnis für Pfiffe und Buhrufe.

Fans wollen Seriensieger immer fallen sehen

"Es ist wie bei Muhammad Ali oder jedem anderen Seriensieger: Alle wollten nur noch sehen, wer ihn schlagen kann", glaubt Red-Bull-Teamchef Horner. "Das ist im Moment der Fall: Die Leute wollen sehen, wer Sebastian schlagen kann, aber er gewinnt immer weiter. Das Problem ist, dass es da eine kleine Gruppe gibt. Es ist unfair, es ist nicht sportlich. Der Junge ist heute ein unglaubliches Rennen gefahren. Das war eine der besten Fahrten, die ich je von ihm gesehen habe!"

"Dass man ihm dafür dann nicht die Anerkennung zukommen lässt, die er eigentlich verdient hätte, ist nicht sportlich. Natürlich sagt er, dass ihn das kalt lässt, aber letztendlich ist er auch nur ein Mensch. Wenn du dir deine Seele aus dem Leib gefahren hast und dann so eine Reaktion bekommst, ist das nicht fair. Es ist weder sportlich noch richtig und er verdient so etwas nicht. Ja, Sebastian hat breite Schultern, aber wie jeder hat auch er Gefühle", unterstreicht der Brite.

Dabei beweist Vettel wieder einmal sein großes Herz, wenn er selbst für die Anti-Vettels noch Verständnis zeigt: "Ich glaube nicht, dass sie das aus Boshaftigkeit machen", sagt er. Und von dem kindlichen Wunschgedanken, von allen gemocht zu werden, hat er sich inzwischen sowieso verabschiedet: "Du lernst aus Erfahrung, dass du nicht jeden zufriedenstellen kannst. Meine wichtigste Regel ist, mir selbst treu und ehrlich zu bleiben."

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