Formel-1-Boss Bernie Ecclestone hat genug von Reifen schonenden Piloten und will die 2012er Modelle zurück - Christian Horner plant, auf die Barrikaden zu gehen
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Wenn man es sich mit einem Mann im Formel-1-Geschäft nicht verscherzen sollte, dann ist es definitiv Bernie Ecclestone. Genau das scheint jedoch der für die Reifenschlacht von Barcelona am vergangenen Wochenende viel gescholtene Reifenlieferant der Königsklasse getan zu haben. Der Zampano watscht im Gespräch mit dem 'Daily Express' ab: "Die Reifen sind falsch und nicht das, was wir beabsichtigten, als wir Pirelli beauftragten, etwas zu produzieren, was ein halbes Rennen hält."
Als ob die Truppe um Sportchef Paul Hembery noch nicht genug Feinde hätte, reiht sich auch das neben Ferrari wohl mächtigste Team der Szene in die von Mercedes-Patron Niki Lauda angeführte Phalanx der Gegner ein: Red Bull. "Wir brauchen Reifen, die so haltbar sind, dass Fahrer mit ihren Autos ans Limit gehen können", wiederholt Teamchef Christian Horner bei 'ServusTV' in eine viel geäußerte Argumentation, die einst Michael Schumacher prominent machte. "Dann sehen wir schönen Rennsport. Wir brauchen keine künstlichen Elemente."
Auch von der höchsten Instanz des österreichischen Getränkeriesen bekommt Pirelli für seine Produkte die Streicheleinheiten mit dem Vorschlaghammer: "Das hat nichts mehr mit Motorsport zu tun, es geht nur noch um das Reifenmanagement", hadert Patron Dietrich Mateschitz und vertritt damit Meinung seiner Aktiven. Schließlich erinnert sich Horner mit Unbehagen an Kataloniens Gummikrieg: "Im Rennen sieht man, wie stark angegriffen die Reifen phasenweise aussehen. Sie quellen quasi an der Vorderachse auf und sind am Ende."
Horner fordert Mobilmachung der Fahrer
Bei den Dunkelblauen habe man ursprünglich mit einer Dreistoppstrategie nach Lotus-Vorbild geplant, jedoch schon nach dem ersten Halt an der Box im Rennen die Sinnlosigkeit dieses Unterfangens festgestellt - obwohl das Spitzenteam mit drei frischen Sätzen in der Hinterhand Butter auf das Sonntagsbrötchen geschmiert hatte. Schuld war im konkreten Fall die Tatsache, dass auf dem ohnehin belastenden Circuit de Catalunya die Frontpartie besonders beansprucht wird. Und genau da liegt die Achillesferse des RB9.
Horner macht mobil gegen Pirelli, sieht in erster Linie jedoch die Piloten gefragt: "Die Fahrer müssen Druck machen", erklärt der 39-Jährige, wie der relative Stillstand bei Pirelli zu bekämpfen sei. "Sie sind diejenigen, die es am meisten zu spüren bekommen. Kein Pilot will nur mit 50 oder 60 Prozent des eigentlich machbaren Speeds herumfahren. Auch Teams und FIA müssen Druck machen." Hembery und Co. hatten sich am Wochenende wie so oft entspannt gezeigt und auf die Chancengleichheit verwiesen.
Es sei im eigenen Interesse der Italiener, schnell etwas zu unternehmen, argumentiert PR-Berater Horner: "Die Publicity negativer Art, die es aktuell gibt, kann nicht das sein, was sich Pirelli wünscht." Wie so oft will Ecclestone schon mehr erfahren haben. "Sie wissen das und unternehmen etwas", lässt der Multimilliardär durchblicken und stellt in Aussicht, dass das 2012er Material wieder aus dem Schrank geholt wird: "Wir werden zurück auf die Reifen des vergangenen Jahres gehen, die uns engen Motorsport beschert haben."
Schneller macht glücklicher, findet Ricciardo
Diese Mischungen hatte Pirelli mit einem aggressiveren Ansatz novelliert, um der gegen Ende der Saison einkehrenden Monotonie einen Riegel vorzuschieben. Doch ist der aktuelle Reifen wirklich so schlimm, wie er geredet wird? Es scheint auch eine Frage der Philosophie zu sein. "Vier Stopps sind schon zu viele, aber wenn unsere Fahrer richtig Vollgas geben würden, dann müssten wir fünf, sechs Stopps machen. Das geht nicht", findet Horner, der die Formel 1 nicht zum "Schachspiel" werden lassen will.
Daniel Ricciardo unterstreicht bei 'ServusTV' den Zweispalt zwischen Instinkt und Strategie: "Natürlich will man als Pilot stets am Limit fahren. Das darfst du aber nicht tun, weil du dir sonst die Reifen komplett ruinierst", so der Australier über den Status Quo. "Man muss sich immer zusammenreißen, um nicht zu schnell in die Kurven zu gehen. Derzeit gehört das zu den Herausforderungen in der Formel 1. Wenn wir aber schneller fahren könnten, wäre es ein viel schöneres Vergnügen."
Das Argument, dass die neue Situation mehr Spannung auf den Tribünen und vor dem Fernseher brächte, ist für den Toro-Rosso-Star nur bedingt belastbar. "Es mag interessant für die Fans sein", räumt Ricciardo ein. "Aber es könnte sicherlich auch auf andere Art und Weise interessant werden." Horner sind allen voran die wegen der Stopps undurchsichtigen Rennsituationen ein Dorn im Auge: "In der Formel 1 sollten Mensch und Maschine im Vordergrund stehen und am Limit kämpfen. Wir wollen Rad-an-Rad-Duelle. Die Zuschauer müssen es ganz einfach verfolgen können."
Hemmungslos Vollgas? Ein Mythos, sagt Anderson
Auch der 'BBC'-Experte stimmt zu, wenn es um die Akkordarbeit der Crews geht: "Ich denke. dass vier Stopps zu viel sind. Aber das Letzte, was wir wollen, ist die Wahl zwischen ein oder zwei Reifenwechseln", erklärt Ex-Designer Gary Anderson, der andernfalls langweilige Grands Prix wittert. Mit dem Schumacher-Mythos will er aufräumen: "Das Schonen der Reifen war schon immer Teil der Formel 1 - egal, was irgendwelche Leute erzählen. Die Zeit, in der Fahrer über die gesamte Distanz hemmungslos Vollgas gaben, hat es nie gegeben."
Ernsthaftere Sorgen als um die Haltbarkeit macht sich Anderson über die aufgetretenen Defekte bei Force-India-Crack Paul di Resta im Freien Training und Ricciardo-Teamkollege Jean-Eric Vergne im Rennen. Bei beiden Piloten hatte sich die Lauffläche schlichtweg aufgelöst, wie es schon in Bahrain dreimal vorgekommen war. Dazu war auch Fernando Alonso mit einem schleichenden Plattfuß unterwegs. Während Pirelli Schnitte im Gummi für die Misere verantwortlich macht, hat Anderson eine andere Theorie - die hat mit der Qualitätskontrolle zu tun.
Denn für einen Konstruktionsfehler käme der Defekt einfach zu selten vor. "Bei Pirelli gab es schon immer Bläschenbildung im Inneren, wobei die unteren Gummischichten überhitzen", weiß Anderson und bringt dieses Problem mit der novellierten Karkasse des 2013er Modells zusammen, die eigentlich durch mehr Bodenkontakt die Belastung der Schultern reduzieren soll. "Das bedeutet ganz andere Bedingungen bei hohen Geschwindigkeiten. Mit Fliehkräften von bis zu sechs G in den Kurven ist es aber einfach zu viel", kombiniert der Brite.