Die Porsche-Verantwortlichen vermeiden den Begriff Formel 1 konsequent: In Weissach läuft die Entwicklung eines hocheffizienten Hochleistungs-Motors
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Bei den Beratungen über das Formel-1-Antriebsreglement ab 2021 saß in den vergangenen zwei Meetings auch Porsche-LMP1-Teamchef Andreas Seidl mit am Tisch. Die Stuttgarter waren einer Einladung der FIA gefolgt und hatten die Diskussionen mit Interesse verfolgt - und gleichzeitig wichtigen Input geliefert, beispielsweise über die in der Topklasse der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) elektrisch angetriebenen Vorderachsen.
Die Le-Mans-Rekordsieger haben ihr LMP1-Projekt nach vier erfolgreichen Jahren beendet. Neben dem Engagement im GT-Sport wird die Formel E ein wichtiges Betätigungsfeld ab 2019/20. "Es war ein tolles LMP1-Projekt, aber so etwas hat immer einen Anfang und ein Ende. Nun ist Schluss damit und wir starten in neue Projekte. Mal schauen, was", sagt Volkswagen-Konzernvorstand Matthias Müller im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'. Der ehemalige Porsche-Boss deutet damit an, dass es neben GT und Formel E noch andere Spielwiesen für die 260 Fachleute aus Weissach geben könnte.
"Porsche ist eine tolle und sehr innovative Firma. Da wird es großartige neue Ideen geben, an denen wir noch viel Freude haben werden", sagt Müller. Eine der Innovationen ist im Bereich Verbrennungsmotoren zu finden. Mit dem 2,0-Liter-V4-Turbo aus dem Porsche 919 Hybrid hat man beste Erfahrungen gemacht. Das effiziente Triebwerk, das einen Wirkungsgrad von über 40 Prozent erzielt haben soll, schob das Auto zu drei Le-Mans-Siegen und drei WM-Titeln in Serie. Aber: Der Vierzylinder war am Ende seiner Entwicklung.
V6-Motor war für den LMP1-Porsche bereits in Planung
"Für uns war klar: Machen wir weiter LMP1, dann müssen wir einen neuen Motor machen. Wir haben gesehen, dass wir mit unserem Vierzylinder an Grenzen stoßen", sagt Porsche-LMP1-Leiter Fritz Enzinger. "Im April haben wir mit einem Sechszylinder begonnen. Und den möchte man natürlich zu Ende machen. Das machen wir fertig. Erst einmal als Einzylinder. Wir haben keinen Auftrag für einen Vollmotor. 30 Leute arbeiten jetzt an diesem Projekt. Das sind genau die Fachleute, die auch den LMP1-Motor gemacht haben."
Motorenchef Thomas Krämer und sein Team haben im Rahmen dieses Projektes neue Unterstützung aus dem Konzern bekommen. Nach Informationen von 'Motorsport-Total.com' wirkt auch VW-Entwickler Donatus Wichelhaus mit - also der Mann, der bei Volkswagen unter anderem für die Entwicklung des Turbomotors im Polo WRC verantwortlich zeichnete. Mit geballter Macht in Richtung Formel 1? "Wir haben keinen solchen Auftrag. Mehr kann man jetzt nicht dazu sagen", wiegelt Enzinger ab.
"Ob da vielleicht mal mehr daraus wird, kann ich nicht beurteilen. Man muss sowieso erst einmal abwarten, wie sich das Reglement 2021 abschließend entwickeln wird", meint der erfahrene Österreicher, der gemeinsam mit Teamchef Seidl bereits mit BMW in der Formel 1 aktiv war. Eine Entscheidung über ein mögliches Programm in der Königsklasse obliegt ohnehin dem Vorstand. Die Führungsetage will davon bislang nichts wissen. Man meidet den Begriff Formel 1 wie der Teufel das Weihwasser.
Vorkammer-Brennverfahren und Selbstzündungs-Zyklen
"Wir beginnen damit, einen Einzylinder zu entwickeln, dabei Verbrennsysteme zu testen. Ob am Ende der Einsatz in anderen Motorsportserien in Betracht kommt, ist ein zweites Paar Schuhe. Das steht im Moment nicht zur Diskussion", erklärt Porsche-Vorstandschef Oliver Blume im Interview mit 'Motorsport-Total.com'. "Es geht ums Verbrauchsoptimierung und Leistungsverdichtung. Da geht es auch um ein Vorkammer-Brennverfahren, das wir dort entwickeln."
"Solche Systeme werden im Rennsport schon eingesetzt, aber wir sind bemüht, dort noch mehr Effizienz herauszuholen. Das ist uns bislang immer gelungen, jedes Fahrzeug war diesbezüglich immer besser als der Vorgänger", so Blume. Klartext: Bei Porsche hat man sich extrem hohe Ziele gesetzt. Nach einem Wirkungsgrad von über 40 Prozent beim LMP1-Aggregat peilt man die Schallmauer von 50 Prozent an, die Mercedes im Formel-1-Projekt nach eigener Aussage bereits durchbrochen hat. Der Benziner könnte unter anderem mit Selbstzündungs-Zyklen arbeiten.
"Abwarten, ob wir das schaffen", sagt Blume. "Wir haben jetzt erst einmal damit angefangen, das Brennverfahren zu formulieren. Irgendwann werden wir dorthin kommen zu sagen, welchen Wirkungsgrad wir damit erreichen können. In der aktuellen Konzeptphase schauen wir uns verschiedene Einspritzverfahren an, vergleichen und testen diese. Wir sind aber jetzt schon überzeugt, dass diese neuen Verfahren einen tollen Schritt ermöglichen werden. Und zwar in allen Bereichen: Leistung, Verbrauch und Emission."
"Wir wollen schauen, was möglich ist. Was davon dann vielleicht irgendwann in realen Motoren umgesetzt wird, das ist der zweite Schritt. Den gehen wir jetzt noch nicht", stimmt Porsche-Entwicklungschef Michael Steiner zu. Auch er vermeidet Aussagen zum konkreten Ziel bezüglich des Wirkungsgrades. "Wenn meine Experten und ich selbst wüssten, was wirklich geht, dann könnten wir uns diese Übung sparen. Wir wollen es herausfinden."
Nur für den Fall der Fälle: Weissach ist für alles gerüstet
"Es ist spannend, an einem solchen Konzept zu arbeiten. Die Validierung erfolgt dann an einem Einzylinder. Das hat eher Forschungs- und Vorentwicklungs-Charakter. Die Motorbauform spielt erst einmal gar keine Rolle", will auch Steiner nichts von einem neuen V6-Motor wissen. "Es geht erst einmal nur um Ladungswechsel, Verbrennungsvorgang und um Effizienz und Leistungsabgabe. Welche Brennverfahren und welche Zündtechnologien versprechen Erfolge? Das sind die Fragen."
Sobald diese grundsätzlichen Fragen geklärt sind, wird es eine weitere wichtige Weichenstellung geben: Wo kommt die neueste Entwicklung in welcher Bauform zum Einsatz? Die Formel 1 wäre ein logisches Betätigungsfeld, um die neue Antriebstechnologie weiter zu entwickeln und öffentlichkeitswirksam darzustellen. "Da wird viel hineininterpretiert", sagt Porsche-Boss Blume. "Wir konzentrieren uns jetzt erst einmal auf die Formel E. Wir waren bei Porsche immer gut beraten, uns auf eine Sache zu fokussieren, um auch das Unternehmen nicht zu überfordern."
In der kommenden Phase nach dem Ausstieg aus der LMP1-Klasse der WEC ist man in Weissach womöglich eher unterfordert. Das Motoren-Projektteam umfasst rund 30 Personen, für die Formel E braucht man in der Phase der Vorbereitung sicherlich nicht alle verbleibenden 230 weiteren Ingenieure. Es bleibt Raum für weitere Projekte - wie auch immer diese heißen mögen. Sicher ist: Nach der enormen Erweiterung des Motorsport-Standortes Weissach ist bei Porsche alles möglich.
"Mag ich in Richtung Formel 1 nicht kommentieren", so Blume. "Aber wir haben dort einen tollen Standort mit neuem Windkanal, der direkt angebunden ist an unsere neue Designabteilung. Die Modelle können immer im Zweiklang mit dem Windkanal getestet werden. Es entsteht zeitnah ein neues Gebäude für die Antriebsprüfung. Außerdem haben wir eine Abteilung gebaut für die Elektronik-Integration. Wer Weissach vor zehn Jahren gesehen hat, der erkennt es jetzt nicht wieder." Chef-Entwickler Steiner fügt stolz an: "Weissach kann alles."