Ross Brawn gratuliert Red Bull zur Konstrukteurs-WM und Michael Schumacher drückt Sebastian Vettel die Daumen, aber Christian Horner bleibt zurückhaltend
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Das Red Bull heute den WM-Titel feiern darf, steht nach dem gestrigen Qualifying zum Grand Prix der USA praktisch fest. Denn Fernando Alonso und Felipe Massa müssen unbedingt einen Doppelsieg einfahren, um Ferraris Chancen in der Konstrukteurswertung zumindest theoretisch noch zu wahren, aber selbst dann würde Red Bull schon ein achter Platz reichen, um die Entscheidung herbeizuführen.
An ein solches Wunder in Rot glaubt im Paddock niemand - und selbst wenn, würde es wohl nur einen Aufschub um eine Woche bedeuten, denn auch beim Saisonfinale könnte Ferrari nur noch ein weiterer Doppelsieg sowie eine totale Pleite von Red Bull helfen. Aber Christian Horner kühlt den Champagner noch nicht ein: "Der Sport schreibt seine eigenen Gesetze. Alles kann passieren, also nehmen wir nichts als selbstverständlich an", erklärt der Teamchef im Interview mit 'Formula1.com'.
Ross Brawn schätzt die Ausgangslage schon etwas realistischer ein: "Sie werden höchstwahrscheinlich die Konstrukteurs-Meisterschaft gewinnen", stellt der Mercedes-Teamchef fest und gratuliert bereits: "Das ist eine großartige Leistung, auf die sie sehr stolz sein sollten." Dass Ferrari zuletzt zwei Doppelsiege hintereinander gefeiert hat, ist schon eine Weile her: 2008 gelang dieses Kunststück Felipe Massa und Kimi Räikkönen in Bahrain und Spanien.
Horner wettet nicht mehr
Trotzdem lehnt es Horner ab, den Tag schon vor dem Abend zu loben, und auf Wetten lässt er sich sowieso nicht mehr ein, seit er nach David Coulthards erstem Red-Bull-Podium 2006 in Monaco nur mit einem Superman-Umhang bekleidet ins kühle Nass musste: "Ich habe meine Lektion schon gelernt, als ich vor ein paar Jahren in Monaco in einen Swimmingpool springen musste. Seither wette ich nicht mehr", grinst er.
"Wir haben uns in der Konstrukteurs-Meisterschaft in eine gesunde Position gebracht, aber die Fahrer-Meisterschaft ist viel enger", rückt der Brite den Fokus zurecht. "Daher hat für uns Vorrang, hier ein starkes Wochenende abzuliefern. Glauben Sie mir, es ist fantastisch, die erste Pole-Position auf dieser brandneuen Strecke in Texas geholt zu haben. Und mit Mark auf P3 haben wir unsere Position für das Rennen zusätzlich gestärkt."
Eine besondere Taktik wurde aber nicht ausgetüftelt: "Wir nehmen diese beiden Rennen wie jedes andere auch. Es sind zwei Rennen von 20 - der einzige Unterschied ist, dass sie am Ende der Meisterschaft liegen", sagt Horner. "Aber wir gehen genauso an die Sache heran wie vor einigen langen Monaten in Australien. Das bedeutet, dass wir dieses Wochenende attackieren werden - und auch in Brasilien am nächsten Wochenende."
Respekt vor Alonsos "Racecraft"
"Fernando", warnt er davor, den Gegner zu unterschätzen, "ist dieses Jahr mit enormer Beständigkeit gefahren. Ich denke, er ist auf seinem Höhepunkt. Er hat jede Gelegenheit genutzt, die sich ihm geboten hat. Er ist ein formidabler Gegner und ich bin mir sicher, dass er in dieser Meisterschaft bis zum Ende Druck machen wird. Die Sache mit Fernando ist leider die: Ganz egal, wo er sich qualifiziert, am Ende steht er immer auf dem Podium!"
Das ist auch notwendig, um die WM-Entscheidung zu vertagen, sollte der bislang in allen Sessions ungeschlagene Vettel seine weiße Weste in Austin morgen behalten. Genauer gesagt: Wenn der Deutsche gewinnt, muss Alonso mindestens Zweiter werden, um im Titelrennen zu bleiben. Mit Platz drei hätte er zwar nur 25 Punkte Rückstand, und genauso viele gibt es für einen Sieg in Brasilien, aber in dem Fall würde Vettels höhere Anzahl an Einzelsiegen (6:4) entscheiden.
Schumacher drückt Vettel die Daumen
Michael Schumacher drückt seinem Landsmann jedenfalls die Daumen: "Nahe an einem WM-Titel dran zu sein, bedeutet großen Druck", weiß der siebenmalige Champion. "Er scheint ein Auto zu haben, das ihn so gut sein lässt, aber er muss es immer noch umsetzen und er ist schneller als sein Teamkollege. Beide haben das gleiche Auto, aber er ist derjenige, der es auf den Punkt bringt. Das ist das Extra von Sebastian. Das so konstant zu schaffen, ist das Besondere."
Mercedes-Teamchef Ross Brawn, an allen sieben Titeln Schumachers beteiligt, nickt zustimmend: "Ein Rennen zu gewinnen, ist eine große Herausforderung. Genug Rennen zu gewinnen, um Weltmeister zu werden, ist ziemlich außergewöhnlich. Es mehrere Jahre hintereinander zu schaffen, ist noch außergewöhnlicher", zeigt der Brite großen Respekt vor den Leistungen von Vettel und Red Bull seit 2010.
Schumacher würde ein dritter Titelgewinn für Vettel "sehr" freuen, "denn er ist ein Freund von mir. Das ist ganz klar. Welche Erfolge er auch immer feiern wird, ich werde sehr stolz auf ihn sein", so der 43-Jährige, der mit seinem Landsmann schon mehrmals das Race of Champions für Deutschland gewonnen hat. Aber: "Ich weiß, dass ihre Freude nur von kurzer Dauer ist, weil sie schon an nächstes Jahr denken", wirft Brawn ein.
Brawn erinnert sich an 2009
"In unserem Fall war es fantastisch, die Weltmeisterschaft zu gewinnen", erinnert er sich an 2009, "aber es gibt immer den Druck des nächsten Jahres. Du willst es wiederholen, wieder schaffen. Die Intensität ist in der Formel 1 so hoch, dass man sich selten zurücklehnt und denkt: 'Aufgabe erledigt - fantastisch!' Natürlich fühlt man sich erleichtert, natürlich spürt man, etwas erreicht zu haben, aber da ist auch die Angst vor dem Versagen im nächsten Jahr. Es ist ein Gemisch der Emotionen."
Und dann ist da noch die Tatsache, dass Vettel, einst überall beliebt, mit wachsendem Erfolg immer mehr Gegner bekommen hat. Schumacher kann davon ein Liedchen singen, winkt aber ab: "Es ist halt einfach so, dass der Underdog mehr Unterstützung hat als der, der ständig vorne ist. Du gibst 200 Prozent, es ist ein sehr harter Job. Aber im Nachhinein betrachtet wird den Leuten sehr wohl klar werden, was er leistet, und sie wissen es auch zu schätzen."