Auch wenn eine Teamorder unwahrscheinlich ist: Helmut Marko hat zumindest mit Daniel Ricciardo den Kampf um den WM-Titel 2017 noch nicht ganz aufgegeben
© Foto: xpbimages.com
Mit insgesamt sieben Ausfällen in den bisherigen neun Rennen, fünf davon auf Kosten von Max Verstappen, spielt Red Bull im WM-Kampf 2017 eigentlich kaum noch eine Rolle. Daniel Ricciardo liegt zwar an vierter Stelle der Gesamtwertung, hat aber 64 Punkte Rückstand auf Spitzenreiter Sebastian Vettel. Das schätzen die meisten Experten angesichts der Tatsache, dass der Ferrari auch noch als das schnellere Gesamtpaket gilt, als uneinholbar ein.
Aber bei Red Bull will man sich nicht damit abfinden, die Titelambitionen schon zu begraben: "Sag niemals nie", erklärt Motorsportkonsulent Helmut Marko im Interview mit 'Motorsport-Total.com'. "Ricciardo hat in den letzten Rennen von allen die meisten Punkte gesammelt. Wenn so ein Lauf weitergeht und sich die beiden, die vorne hart und emotional kämpfen, weiter Punkte kosten, kann noch was passieren. Aber in der Abstauberposition Nummer 1 ist leider Bottas."
Der Blick auf das Punktekonto gibt Marko recht: Ricciardo hat seit dem Europa-Auftakt in Barcelona 85 Punkte gesammelt - mehr als Lewis Hamilton (78), Valtteri Bottas (73), Kimi Räikkönen (34) und Verstappen (10). Nur Vettel holte im gleichen Zeitraum genauso viele Zähler wie der Australier. Das ist insofern bemerkenswert, als Red Bull eigentlich gerade auf den Speed-Strecken wie Montreal, Baku und Spielberg darauf eingestellt war, in der WM Boden zu verlieren.
Gut durch die Speed-Rennen gekommen
"Wir sind mit einem gewissen Bauchweh hineingegangen", gibt Marko zu. "In Montreal und Baku hatten wir jeweils ein Podium. So schlecht ist es nicht gelaufen. Weil wir vom Chassis her eine gute Weiterentwicklung hatten und in Baku auch von der Motorseite. Dazu kommt: Obwohl wir die Heckflügel extrem flach eingestellt haben, um Topspeed zu gewinnen, hatten wir insgesamt ein sehr schnelles Auto."
Hilfreich: Renault hat mit einem Update in Baku rund zwei Zehntelsekunden pro Runde gefunden. "Diese Leistung haben wir für den Rest der Saison", hält Marko fest. Und jetzt kommen mit Silverstone und Budapest zwei Strecken, die die Aerodynamik höher gewichten als schiere PS-Leistung. Das müsste den Stärken des Newey-Chassis eigentlich entgegenkommen.
Besonders auf dem verwinkelten Hungaroring gilt Red Bull als heißer Sieganwärter: "Wir glauben, dass wir dieses Jahr noch auf ein, zwei Kursen aus eigener Kraft gewinnen können", erklärt Marko - und meint damit neben Ungarn vermutlich auch Singapur.
Verstappen nicht mehr im WM-Rennen
Doch weil Ricciardo mit 64 Punkten Rückstand schon weit von der Spitze entfernt ist und Verstappen sogar 126 Zähler auf Vettel fehlen (was umgerechnet nicht weniger als fünf Siegen und einem zehnten Platz entspricht), drängt sich die Frage auf, ob Red Bull nicht eine Teamorder in Erwägung ziehen sollte. Sollte man tatsächlich noch an eine Titelchance glauben, wäre das nur konsequent.
"Vor Halbzeit der Saison wäre es sehr optimistisch, eine Teamorder auszugeben", winkt Teamchef Christian Horner ab. Für ihn ist die WM-Chance aber weniger Thema als für Marko: "Wir denken nicht an die WM, sondern an mehr Performance, von Rennen zu Rennen. Wir halten uns nicht für WM-Anwärter, aber wir wollen bei jedem Rennen alles geben."
Erschwerend kommt hinzu: Verstappen ist nach seiner jüngsten Pleiten-, Pech- und Pannenserie ohnehin schwer gefrustet - angeblich inklusive Abwanderungsgedanken (trotz wasserdichten Vertrags, wie es heißt). Ihn dann auch noch mit einer Teamorder pro Ricciardo zu demoralisieren, wäre der Stimmung bei Red Bull wohl abträglich.
Entwicklung des RB13 wird nicht eingestellt
So oder so bekommt Red Bull den RB13 nach und nach besser unter Kontrolle, was das Set-up angeht: "Im Griff", sagt Marko zwar, "hast du es mit diesen Reifen nie. Aber wir stehen nicht mehr vor Rätseln, sondern wir gehen von der Simulationsabstimmung nur noch ein bisschen links oder rechts. Das Auto hat ein normales Fenster."
Die Entwicklung des RB13 jetzt schon einzustellen, um frühzeitig volle Konzentration auf den RB14 zu legen, "war nie unsere Philosophie", ergänzt der Österreicher. "Das nächstjährige Auto ist mehr oder weniger ident. Alles, was wir dieses Jahr machen, verwenden wir nächstes Jahr. Wir bauen auf einem ganz anderen Level auf, als wenn wir jetzt aufhören."
"Klar wird ein neues Auto gebaut, aber so falsch liegen wir ja nicht. Da geht es nur um Details und Raffinesse. Wir entwickeln weiter bis zum Schluss. Und gehen dann mit einem hohen Standard in das neue Auto."