Austin-Spezialist Lewis Hamilton benötigt im Titelkampf Hilfe von oben: Was Nico Rosberg in Texas tun muss und welche Gefahren auf dem tückischen Kurs lauern
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Lewis Hamilton läuft die Zeit davon. Nach Suzuka liegt der Brite 33 WM-Punkte hinter Nico Rosberg - bei noch vier ausstehenden Rennen. Aus eigener Kraft kann der 31-Jährige seinen Titel also nicht mehr verteidigen. Um den Druck auf seinen Stallrivalen zu vergrößern, wäre eine Trendwende im Titelkampf also dringend notwendig.
Austin könnte dafür ein guter Boden sein: Der Kurs liegt Hamilton, er gewann drei der vier Rennen auf dem Circuit of The Americas. Und im Vorjahr provozierte er Rosberg mit dem Abdrängen beim Start und dem bereits legendären Cap-gate dermaßen, dass der Deutsche die Fassung verlor. Hamilton feierte seinen Titelgewinn, danach startete der Rivale seine Siegesserie.
Sicher ist: Die Titelentscheidung wird diesmal nicht in Austin fallen. Selbst, wenn Rosberg gewinnt und Hamilton ausscheidet, wäre der Vorsprung mit 58 Zählern nicht groß genug. Und während der Brite nach Suzuka gebrochen wirkte, scheint er nun wieder in Kampfeslaune zu sein. "Ich werde nicht zurückstecken", schickt er eine Drohung in Richtung Rosberg. "Für mich geht es ab sofort darum, an jedem Rennwochenende so hart wie möglich zu kämpfen, alles für den Sieg zu geben und dann abzuwarten, was dabei herauskommt."
Hamiltons Lage alles andere als aussichtslos
Wie schnell sich die Lage ändern kann, bewies der Grand Prix von Malaysia: Wäre Hamiltons Motor nicht hochgegangen, dann würde Rosbergs Vorsprung jetzt nur fünf Punkte betragen. Und hätte Sebastian Vettel den WM-Leader in der ersten Kurve nicht so glücklich an der Felge getroffen, dass er weiterfahren konnte, würde es sowieso ganz anders aussehen.
"33 Punkte sind viel, aber in Malaysia haben wir gesehen, wie schnell es gehen kann. Du führst, scheidest aus, und wenn der andere gewinnt, sind 25 Punkte verloren", rechnet auch Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff. "Dann sind es nur noch acht. Lewis wird in Austin auf jeden Fall stark zurückkommen." Und Red-Bull-Teamchef Christian Horner pflichtet ihm bei: "Hamilton braucht nur eine Initialzündung. Ein Ausfall von Nico bei gleichzeitigem Sieg von Lewis, und er ist wieder im Spiel."
Rosberg: Nur nicht zu rechnen beginnen...
Rosberg erhält in Austin seine voraussichtlich letzte Antriebseinheit der Saison, während Hamilton mit den Triebwerken auskommen muss, die bereits im Motorenpool sind. Die Statistik spricht im Titelduell klar für Rosberg: Noch nie hat ein Fahrer den Titel verpasst, der acht oder mehr Saisonrennen gewonnen hat. Und Japan war für ihn schon Triumph Nummer 9.
Zudem muss er nicht mehr alles riskieren, da ihm vier zweite Plätze reichen würden, wenn Hamilton, der vergangene Woche einen Pirelli-Test wegen Fußschmerzen ausließ, alle verbleibenden Rennen gewinnt. Doch von derartigen Strategien will sich Rosberg fernhalten: "Ich will einfach weiter Rennen gewinnen und nicht mit dem Rechnen anfangen oder einen zweiten Platz sicher nach Hause fahren. So wird das nicht funktionieren."
Drohen dieses Jahr noch mehr Bodenwellen?
Der Circuit of The Americas bringt in jedem Fall einige Unsicherheitsfaktoren mit sich: Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Teams dieses Jahr eine "Buckelpiste" vorfinden. "Es war schon im Vorjahr eine Überraschung, wie wellig die Strecke in nur zwölf Monaten geworden ist", blickt Williams-Technikchef Pat Symonds zurück. "Wir hoffen, dass es nicht noch schlimmer geworden ist, denn das war eine Herausforderung und hat am Ende zum Ausfall unserer beiden Autos geführt."
Zudem sorgt das Wetter für eine Herausforderung. Ein Hurrikan wird zwar dieses Jahr aller Voraussicht nach nicht aufziehen und auch Regen wird nicht erwartet, aber die Region ist in dieser Jahreszeit für ihre enormen Temperaturschwankungen bekannt. Das könnte den Teams bei der Setup-Suche einen Strich durch die Rechnung machen.
In den vergangenen Jahren kam es schon mal vor, dass es früh morgens fünf Grad hatte, die Quecksilbersäule aber dann durch den intensiven Sonnenschein bis an die 30-Grad-Marke stieg. Ein Horror, wenn man auf der Suche nach der richtigen Balance ist. Dementsprechend heikel wird es sein, die richtige Strategie zu finden: Pirelli bringt die Mischungen Supersoft, Soft und Medium.
Nur ein Stopp möglich
Theoretisch kann man in Austin wegen des geringen Reifenabbaus auch auf eine Einstoppstrategie setzen, doch das wird vermutlich den Teams vorbehalten sein, die sich im Qualifying außerhalb der Top 10 platzieren, weil sie den Supersoft-Reifen umgehen können. Im Vorjahr siegte Hamilton übrigens trotz wechselhafter Bedingungen mit nur zwei Stopps.
"Da wir nun zum ersten Mal den Supersoft-Reifen nach Austin bringen, wird das Freie Training besonders wichtig, um die richtige Strategie zu finden", meint Pirelli-Motorsportchef Paul Hembery. Man kann davon ausgehen, dass der Supersoft-Reifen deutlich schneller sein wird als die Soft-Mischung, eine Einstoppstrategie damit aber kaum möglich sein wird. Da die Strecke aber zum Überholen einlädt, hält sich der Nachteil eines zusätzlichen Stopps in Grenzen.
Wie üblich setzen die Ferrari-Piloten bei der Reifenwahl auf die weichsten Mischungen: Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen haben nur einen Medium-Satz ausgewählt. Bei den Red-Bull-Piloten Daniel Ricciardo und Max Verstappen sind es hingegen gleich vier Sätze der härtesten Mischung: Nico Rosberg und Lewis Hamilton bewegen sich mit zwei beziehungsweise drei Medium-Sätzen im Mittelfeld.
Kurvenmix spielt Red Bull in die Karten
Red Bull muss man in Austin in jedem Fall auf der Rechnung haben. Das Siegerteam von Sepang rüstet beide Piloten mit frischen Antriebseinheiten aus, was eine Leistungsschub bedeuten sollte. Dazu kommt, dass der bunte Kurvenmix des Circuit of The Americas wie gemacht für den RB12 ist. "Daher sollten wir dort mit unserem Auto ziemlich gut aussehen", kündigt Ricciardo an.
Und auch Teamchef Horner meinte in Suzuka, angesprochen auf das Duell mit Ferrari um Platz zwei in der Konstrukteurs-WM: "Die nächsten zwei Strecken sollten nicht schlecht für uns sein." Der Scuderia fehlen bereits 50 Zähler auf Red Bull - man braucht also schon ein Wunder, um den Spieß noch einmal umzudrehen. Außerdem patzte das Team von Sebastian Vettel in den vergangenen Rennen regelmäßig bei der Strategie, was die Chancen nicht gerade erhöht.
Auch im Duell um Platz vier spricht in Austin einiges für den Leader: Der Force India hat sich in den vergangenen Rennen auf Strecken mit den unterschiedlichsten Kurventypen meist als stärker herausgestellt als der Williams. Die Truppe von Sergio Perez und Nico Hülkenberg liegt zehn Punkte vor den Briten, die in den USA ein Mercedes-Motorenupdate erhalten.
Die Augen der Fans werden in Austin freilich auch auf das Haas-Team gerichtet sein. Die Lokalmatadore haben nach einigen harten Rennen in Suzuka rechtzeitig den neuen Frontflügel zum Arbeiten gebracht und könnten beim Heimrennen überraschen. In Japan schafften es Romain Grosjean und Esteban Gutierrez ins Q3, mussten dann aber Williams im Kampf um den letzten WM-Punkt den Vortritt lassen. In Texas will man das Pech endlich abschütteln und die Durststrecke von acht Punktelosen Rennen beenden.