Rennvorschau Schanghai: Wieso Ferrari in China Favorit ist

, 05.04.2017

Wieso der Kurs in Schanghai dafür spricht, dass Ferrari und Sebastian Vettel Mercedes erneut besiegen werden und wie sich die Silberpfeile für die Herausforderung rüsten

War der sensationelle Ferrari-Triumph in Melbourne eine Eintagsfliege? Der Grand Prix von China am kommenden Wochenende wird die Antwort geben. Denn: Geht es rein nach der Streckencharakteristik, dann ist die Scuderia auch für die 56 Runden auf dem Shanghai International Circuit Favorit. In den langgezogenen Kurven, von denen es in China einige gibt, war das Team von Sebastian Vettel schon bei den Wintertests in Barcelona stärker als Mercedes. Damals bemängelte der spätere Melbourne-Sieger das Tempo des SF70H in den langsamen Ecken.

Der Ball liegt nach dem Fehlstart in die Saison also bei Mercedes. Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff ordnete nach Australien eine tiefgreifende Fehleranalyse an. "Es gibt noch viele Bereiche, in denen wir uns steigern müssen", gibt er vor dem zweiten Lauf des Jahres zu. "Darauf haben wir uns in der zurückliegenden Woche konzentriert."

Die Silberpfeile hatten in Melbourne unerwartete Probleme mit der Ultrasoft-Reifenmischung. Lewis Hamilton und sein neuer Teamkollege Valtteri Bottas kamen im ersten Stint nicht in Schuss, weil die Gummis überhitzten. Immerhin bleibt die ungeliebte Ultrasoft-Mischung diesmal zuhause: Pirelli hat die Mischungen Supersoft. Soft und Medium - also eine Stufe härter - nominiert, weil der Kurs vor allem die Vorderreifen enorm belastet.

Macht Hamilton-Faktor den Unterschied?

Ein Problem schleppt Mercedes allerdings auch in die Volksrepublik mit: das Übergewicht. Der F1 W08 ist fünf Kilogramm über dem Limit. Das kostet jede Runde ein paar Zehntelsekunden. Trotzdem ist Experte Gerhard Berger gegenüber 'ServusTV' überzeugt, dass Mercedes nach wie vor "ganz klar" vorne ist. Das habe man im Melbourne-Qualifying gesehen, als Hamilton eine sichere Pole-Position herausfuhr.

Während es noch Zweifel am neuen Mercedes-Boliden gibt, gilt Hamilton in China als sichere Bank. Der Brite hat in Schanghai bei zehn Starts vier Mal gewonnen und stand sieben Mal auf dem Podest. Und er ist laut Wolff in absoluter Hochform: "Wir erleben den besten Lewis der vergangenen vier Jahre - sowohl auf als auch abseits der Strecke. Er ist eine der Säulen des Teams geworden, und das hat er in Melbourne bewiesen." Bottas stand hingegen in Schanghai noch nie auf dem Podest.

Mehr Überholmanöver als in Melbourne erwartet

Der Grand Prix von China wird auch eine andere Frage der Saison klären: Wie schwierig ist es wirklich, mit den neuen Boliden zu überholen? Während es in Melbourne nur fünf Überholmanöver gab und Piloten wie Hamilton meinten, dass es noch nie so schwierig war, mit einem Formel-1-Boliden an einem Rivalen vorbeizugehen, könnte die mit 1,17 Kilometern längste Gerade des Kalenders, auf der auch noch das DRS benutzt werden darf, ein anderes Bild zeigen.

Die Strategie wird die Piloten jedenfalls kaum daran hindern, angriffslustig aufzutreten: Im Gegensatz zum Vorjahr (zwei Stopps) wird wie in Melbourne nur ein Boxenstopp erwartet. Der soll rund um die 20. Runde stattfinden. Außer der Himmel öffnet seine Schleusen, doch danach sieht es derzeit nicht aus: Es wird ein trockenes Wochenende mit Höchstwerten von rund 21 Grad Celsius erwartet.

Auch das Klagen über den Spritverbrauch sollte in Schanghai ausbleiben: Dieser fällt nämlich im Gegensatz zum Saisonauftakt-Rennen niedrig aus. Das ist nicht unbedingt ein Vorteil für Mercedes, denn die Piloten mit den Motoren aus Brixworth klagten bereits in Down Under im Gegensatz zur Konkurrenz kaum über den Verbrauch.

Red Bull will mit Updates Form finden

Spannend wird sein, wie sich Red Bull nach dem mäßigen Einstand in Melbourne aus der Affäre ziehen wird. Motorsportkonsulent Helmut Marko deutete gegenüber 'Motorsport-Total.com' bereits an, dass man im Albert Park "deutlich" unter Wert geschlagen wurde und in China Updates habe, die die Abstimmung des nur in einem schmalen Fenster funktionieren RB13 vereinfachen sollten.

Vor allem Daniel Ricciardo wird nach dem Horror-Wochenende in seiner Heimat nun topmotiviert sein. Dass ihm der Kurs liegt, bewies er bereits im Vorjahr, als er nach dem Start überraschenderweise die Führung übernahm, dann aber wegen eines Reifenschadens aus dem Kampf um den Sieg ausschied.

Bei Williams ruhen die Hoffnungen erneut auf den Schultern Routinier Felipe Massa, der das Traditionsteam als klare Nummer 4 etablieren soll. Rookie Lance Stroll muss hingegen erneut mit einem schwierigen Wochenende rechnen, denn auch der Shanghai International Circuit ist für den 18-jährigen Kanadier absolutes Neuland.

Zeigt Haas erneut sein Potenzial?

Dahinter tobt der Kampf um den Titel "Best of the Rest". Haas war in Australien mit Startplatz sechs durch Romain Grosjean die große Überraschung, konnte das Potenzial aber im Rennen wegen der Zuverlässigkeit nicht umsetzen. Schanghai wird zeigen, ob man mit dem US-amerikanischen Team in Zukunft regelmäßig im vorderen Feld rechnen wird müssen.

Force India startete mit etwas Übergewicht und Entwicklungsrückstand in die Saison und sollte im Laufe des Jahres dank der gewohnt effizienten Entwicklungsarbeit Boden gutmachen. Außerdem müsste der Kurs aus der Feder von Hermann Tilke dem langen Force-India-Boliden liegen, während Rivale Toro Rosso eher in langsamen Kurven seine Stärken hat. Dahinter lauert Nico Hülkenberg mit seinem Renault. Die Franzosen wirkten in Melbourne strategisch nicht ganz treffsicher.

Eine schallende Ohrfeige könnte es in China für McLaren-Honda setzen. Während Fernando Alonsos Klasse die schwächelnde Truppe in Melbourne vor einem Fiasko bewahrte, rechnet man nun mit gröberen Problemen. "Die langen, schnellen Geraden werden vermutlich die Schwächen unseres Pakets mehr aufzeigen, als das im Albert-Park der Fall war", fürchtet Rennleiter Eric Boullier im Vorfeld des Rennens.

Und Alonso sowie Teamkollege Stoffel Vandoorne sehen ihr Team im Kräfteverhältnis derzeit ohnehin ganz hinten. Man darf gespannt sein, ob die einst so erfolgsverwöhnte Mannschaft in China auch hinter Sauber, wo wieder Überraschungsmann Antonio Giovinazzi statt dem rekonvaleszenten Pascal Wehrlein zum Einsatz kommt, zurückfallen wird.

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