Warum Mercedes beim härtesten Rennen des Jahres in Singapur vor allem Red Bull fürchten muss und wie Vorjahressieger Ferrari bei den Reifen pokert
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Die Konkurrenz wetzt bereits die Messer: Nirgendwo ist Mercedes verletzlicher als beim Nachtrennen in Singapur. Zumindest, wenn es nach dem Vorjahr geht, denn da kamen die Silberpfeile so richtig unter die Räder: Kein Podestplatz und nur die Startpositionen fünf und sechs waren die frustrierende Ausbeute eines düsteren Wochenendes.
"Wir waren dort im Vorjahr meilenweit weg, im Qualifying fehlten uns damals satte 15 Sekunden", blickt Nico Rosberg, der in der WM nach seinen zwei Siegen in Spa und Monza nur noch zwei Punkte hinter Stallrivale Lewis Hamilton liegt , mit "nicht allzu großer Zuversicht" auf den bevorstehenden 200. Grand Prix seiner Karriere. " Singapur ist seit Jahren immer das schwierigste Rennen für uns."
Und auch Hamilton erwartet nicht nur wegen der enormen Hitze Schweißperlen auf der Stirn: "Ferrari und Red Bull werden ein Wörtchen mitsprechen, davon bin ich überzeugt. Das wird ein harter Kampf." Ein Kampf, der sich nachhaltig auf die WM auswirke könnte, wenn sich Rivalen zwischen Rosberg und Hamilton schieben.
Mercedes: Sind die Vorjahresprobleme im Griff?
Doch warum hatte der Mercedes, der eigentlich auf allen Strecken konkurrenzfähig ist, in Singapur so große Probleme? Das hat unter anderem mit dem Konzept zu tun. Denn der F1 W07 ist hinten nicht so stark angestellt wie zum Beispiel der Red Bull.
Dadurch ist man zwar auch auf Kursen bärenstark, die wie Monza wenig Luftwiderstand verlangen, dafür tut man sich auf den langsamsten Strecken schwerer. Das hat dieses Jahr bereits der Grand Prix von Monaco bewiesen, als Red-Bull-Pilot Daniel Ricciardo nur durch Pech einen Sieg verspielte.
Die Fahrzeug-Charakteristik ist aber nicht die einzige Erklärung: Mercedes hat es im Vorjahr beim Nachtrennen nicht geschafft, Temperatur in die Reifen zu bekommen, dafür hat die Oberfläche zu schnell überhitzt. Haben die Silberpfeile inzwischen eine Lösung gefunden? "Das wissen wir nicht", sagt Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff. Und der Technikverantwortliche Paddy Lowe wirft ein: "Wir haben jetzt zwölf Monate lang hart gearbeitet, um zu verstehen, woran es gelegen hat."
Herausforderung Singapur: Setup-Fallen lauern überall
Da man die Maßnahmen nicht überprüfen konnte, habe man "nur Theorien vorzuweisen". Über die Details schweigt man im Lager der Weltmeister. Wolff gibt aber einen Hinweis: Mercedes scheint nicht über eine spezifische Schwäche gestolpert zu sein, sondern hat sich offenbar auch beim Setup verrannt.
"In Singapur ist noch keinem Team ein Doppelerfolg gelungen - und das aus gutem Grund", erklärt der Österreicher. "Die Vergangenheit hat gezeigt, dass sich bei diesem Rennen ein einziges Problem im Verlauf des Wochenendes in viele Richtungen ausdehnen kann."
Red Bull mit Motorenupdate: Kampfansage gegen Mercedes
Bei den Rivalen von Red Bull will man sich jedenfalls nicht darauf verlassen, dass Mercedes erneut in die Vorjahresfalle tappt. "Ich glaube, dass Mercedes seine Probleme aus dem Vorjahr längst aussortiert hat", sagt Red Bulls Motorsportkonsulent Helmut Marko. "Aber selbst ohne Probleme sehen wir Chancen gegen sie."
Das liege daran, dass man beim Chassis laut dem Österreicher "besser" sei, zudem bringt Renault ein Motorenupdate mit 15 zusätzlichen PS und Total einen optimierten Sprit. Insgesamt rechnet man mit einer Verbesserung um zwei Zehntel. Und Ricciardo, der im Vorjahr Zweiter wurde und gerne in Singapur fährt, hat noch eine Rechnung offen: Der "Aussie" ist nach den Tiefschlägen in Spanien und Monaco bis in die Haarspitzen motiviert, doch noch seinen ersten Saisonsieg einzufahren.
Während Red Bull also den Sieg anpeilt, ist Ferrari eine Unbekannte: Im Vorjahr triumphierte Sebastian Vettel, doch dieses Jahr steckt die Scuderia in der Krise. "Bei Ferrari muss man sehen, wo die enden", ist auch der Mercedes-Aufsichtsratsvorsitzende Niki Lauda unschlüssig.
Neun Sätze Ultrasoft: Ferrari setzt auf Risiko
Für veränderte Vorzeichen - und das könnte sich auch auf die Mercedes-Problematik aus dem Vorjahr auswirken - sorgen dieses Jahr die Reifen: Neben Supersoft und Soft bringt Pirelli dieses Jahr den Ultrasoft-Pneu als dritte Option.
Die Roten aus Maranello setzen alles auf Risiko und haben aus dem Reifenkontingent die weichste Auswahl getroffen: Sebastian Vettel nominierte neun Ultrasoft-Sätze und je zwei Sätze Soft- und Supersoft-Reifen, Kimi Räikkönen verzichtet im Vergleich auf einen Satz Soft-Reifen, hat aber einen zusätzlichen Supersoft-Satz zur Verfügung. Bei Mercedes und Red Bull geht man mit je sieben Sätzen Ultrasoft-Reifen eher auf Nummer Sicher.
Da das Rennen durch die niedrige Durchschnittsgeschwindigkeit an die zwei Stunden dauern kann, das Überholen besonders schwierig ist und es noch in jedem Rennen eine Safety-Car-Phase gab, hat die Strategie eine besondere Bedeutung: Im Vorjahr siegte Vettel mit zwei Stopps.
Wetter: Bei Nacht sollte es trocken sein
"Es handelt sich um eines der unberechenbarsten Rennen des Jahres", meint Pirellis Motorsportchef Paul Hembery. "All die komplizierten Variablen bieten den Teams Gelegenheiten, bei der Strategie etwas Kreatives zu probieren."
Interessant ist auch die Wettersituation: Für das Wochenende ist Regen angesagt, es ist aber in Singapur üblich, dass die Gewitter in der Nacht abklingen und der Streckenbetrieb unter trockenen Bedingungen stattfindet. Zumindest auf eine Hitzeschlacht können sich die Teams jetzt schon einstellen. "Da wir so nahe beim Equator sind, können wir die Strecken- und Asphalt-Temperaturen ziemlich genau voraussagen", bestätigt Williams-Technikchef Pat Symonds. Die Lufttemperatur wird sich im Bereich von 30 Grad bewegen.
Wirklich fordernd wird das Rennen aber vor allem wegen der enormen Luftfeuchtigkeit. In Kombination mit der Länge von zwei Stunden und dem ständigen Balanceakt zwischen den Mauern sorgt das für die größte Herausforderung der Formel 1. "Es ist so heiß und feucht da draußen, und ich würde sagen, dass es sich wahrscheinlich um das anstrengendste Rennen des Jahres handelt", bestätigt Ricciardo.
Konstrukteurs-WM: Spannende Kämpfe um Platz vier und sechs
Auch hinter den Top-3-Teams bietet sich vor Singapur eine interessante Ausgangssituation. Williams hat es in Monza geschafft, Force India im Kampf um Platz vier wieder zurückzuüberholen und liegt nur drei Punkte vor der indischen Truppe mit Sitz in Silverstone. Doch der winkelige Kurs sollte dem Team von Nico Hülkenberg besser liegen als den Rivalen.
Deutlich besser als in Monza sollte es auch den beiden Konkurrenten um WM-Rang sechs ergehen: Sowohl das McLaren-Team, das ebenfalls drei Punkte Vorsprung hat, als auch Toro Rosso werden in Singapur nicht so stark unter ihrem Motorennachteil leiden wie auf dem Highspeed-Kurs in Italien. Am Ende des Feldes gibt es währenddessen Neuigkeiten: Sauber bringt nun wieder den Hockenheim-Heckflügel an die Strecke. Dadurch ist das Aerodynamik-Update nun endlich komplett.