Nach der Tasse Tee bei Lewis Hamiltons Mama gab es 2012 noch einen weiteren Schlüsselfaktor für den Wechsel des McLaren-Piloten zu Mercedes
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Nachdem lange überliefert wurde, dass Niki Lauda die Schlüsselperson hinter dem Wechsel von Lewis Hamilton zu Mercedes gewesen sein soll, setzte sich nach und nach die Erkenntnis durch, dass wohl eher Ross Brawn der letztendlich entscheidende Drahtzieher war. Das haben inzwischen Hamilton und auch Brawn selbst mehrfach bestätigt.
Laut Laudas Darstellung war ein Treffen mit Hamilton in dessen Hotelzimmer in Singapur ausschlaggebend. 2012 lag Hamilton beim Nachtrennen überlegen in Führung, schied dann aber mit Getriebeschaden aus. Das soll ihn so sehr frustriert haben, dass er ein paar Stunden später für Laudas Avancen empfänglich war. Laut Brawns Darstellung war der Wechsel von McLaren zu Mercedes hingegen ein weitaus komplexerer Prozess.
Ausgangspunkt war demnach das enge Verhältnis zwischen Mercedes-Sportchef Norbert Haug und Hamilton aus gemeinsamen McLaren-Zeiten. "Wir konnten die Zeichen sehen, die man sieht, wenn ein Teamwechsel für einen Fahrer in einer bestimmten Phase seiner Karriere aufregend sein könnte", erklärt Brawn im Interview mit 'Sky Sports F1'. "Bis dahin war er in der Formel nur für McLaren gefahren - ein bisschen wie Michael, der fast nur für Benetton gefahren war und dann auch das Gefühl hatte, sein Umfeld ändern zu müssen."
Tasse Tee bei Hamiltons Mutter Carmen
"Wir haben es langsam aufgebaut und haben ihm unsere Pläne für die nächsten Jahre erklärt", erinnert sich der heute 61-Jährige, der das Mercedes-Team Ende 2013, also nach nur einem Jahr mit Hamilton im Cockpit, verlassen hat. Zudem bestätigt Brawn Hamiltons Darstellung von einer gemeinsamen Tasse Tee im Haus seiner Mutter: "Es gab tatsächlich ein wichtiges Treffen im Haus seiner Mutter. Das hat Spaß gemacht! Von da an wuchs die Sache."
Brawn war damals mittendrin im Aufbau des Fundaments für jenes Erfolgsteam, das seit 2014 die Formel 1 dominiert. Schon 2010 wusste er, wie er das Projekt angehen muss, aber in den Anfangsjahren brachte der Daimler-Konzern noch nicht die Mittel auf, die erforderlich waren, um es mit Red Bull und Ferrari aufnehmen zu können. Als Brawn seinen Budgetentwurf für 2010 einreichte, wurde ihm dieser um 29 Millionen Pfund zusammengestrichen.
Dann passierte im Jahr 2012 etwas, was die finanziellen Voraussetzungen für das Team nachhaltig verändern sollte. Denn als Toto Wolff zu Mercedes stieß, verpasste er dem Daimler-Vorstand "eine Dosis Realitätssinn". Brawn erinnert sich im Buch "Total Competition: Lessons in strategy from Formula One" (erschienen 2016 bei Simon & Schuster): "Sie haben einen Budgetvergleich zwischen Williams und Mercedes angestellt."
Mit Wolff wurde das Budget aufgestockt
Schließlich war Wolff bei Williams als Aktionär engagiert, bevor er zu den Silberpfeilen kam. Brawn: "Unterm Strich gaben beide Teams in etwa gleich viel Geld aus, aber wir hatten die viel teureren Fahrer. Tatsächlich investierten wir also viel weniger in die technische Weiterentwicklung des Autos als Williams." Als Daimler dann ab 2013 bereit war, mehr Geld zu investieren, stimmte dies Hamilton optimistisch, dass ein Wechsel goldrichtig getimt sein könnte.
"Lewis begann zu verstehen, was wir vorhatten und warum wir nicht die gewünschten Resultate erreicht hatten, aber sehr wohl das Gefühl hatten, sie erreichen zu können", so Brawn. "Und er begann auch zu verstehen, wie wichtig es unter den neuen Regeln ab 2014 sein würde, selbst ein Motorenhersteller zu sein." Schon 2013 prognostizierten schließlich die meisten Experten, dass der Mercedes-Motor ab 2014 tonangebend sein würde.
Schlüsseltreffen mit Cheftechnikern
Hamilton konnte mehr und mehr für das Mercedes-Projekt begeistert werden. Dann machte Brawn auch noch einen cleveren Schachzug, der den zu dem Zeitpunkt erst einmaligen Weltmeister (2008 auf McLaren) nachhaltig überzeugte: "Irgendwann sperrte ich Lewis mit Bob Bell, unserem Technischen Direktor, und Andy Cowell, dem Verantwortlichen für den Motor, zusammen."
"Ich sagte zu Lewis: 'Das sind die zwei Jungs, die für unseren Erfolg in Zukunft entscheidend sind. Nur sie können dir verständlich machen, was wir tun. So hast du erstens die Gewissheit, dass das, was ich dir sage, mit dem, was wirklich passiert, übereinstimmt. Und zweitens möchte ich, dass du direkt mit ihnen sprichst und sie kennenlernst.' Ich glaube, das war ein Schlüsselfaktor. Lewis gefiel, dass wir ihm soweit vertrauten, dass er selbst einschätzen kann, was erforderlich ist", erinnert sich Brawn.
Von da an seien die Verhandlungen "ohne Umschweife" gelaufen, berichtet der damalige Mercedes-Teamchef im Interview mit 'Sky Sports F1'. "Natürlich gab es die unausweichlichen Komplikationen, ein kommerzielles Paket zu schnüren, das sich Mercedes leisten konnte und das für Lewis angemessen war. Aber das haben wir hinbekommen", so Brawn.