Haas hat nach den Bremsen eine neue Baustelle gefunden: Die Reifen werden gerade im Qualifying zu einer Wissenschaft, in der dem Team die Expertise fehlt
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Es ist manchmal zum Haare Raufen für das Haas-Team: Die Qualifying-Leistungen des jüngsten Formel-1-Teams schwanken in der Saison 2017 wie ein Lastkahn im Nordatlantik bei Windstärke 12. So fuhr Romain Grosjean beim Großen Preis von Österreich 2017 noch auf den siebten Startplatz, zwei Rennen später in Ungarn packte er nur mit Mühe das Q2. "Unterschiedliche Streckencharakteristiken" mag die unreflektierte Analyse lauten. Doch Haas hat das Problem an ganz anderer Stelle lokalisiert.
Konkret geht es um das Anwärmverhalten der Pirelli-Reifen. In der modernen Formel 1 ist es zu einer Wissenschaft geworden, die Reifen genau ins richtige Fenster zu bringen. Das Arbeitsfenster der Einheitsreifen ist extrem klein. Romain Grosjean klagt: "Es ist immer dasselbe. Wenn man nicht den optimalen Grip von den Reifen einholt, dann rutscht das Auto und die Reifen bauen ab. Manchmal bricht unser Auto völlig unvermittelt aus. Manchmal am Eingang, mal in der Mitte, mal am Ausgang einer Kurve. Und wir haben das Problem auf allen Mischungen."
Die Reifen wollen vor einem Qualifying-Versuch richtig angefahren werden. Dabei geht es vor allem darum, den Druck und die -temperatur richtig zu treffen. Beide Faktoren hängen voneinander ab. Und jede Strecke hat eine andere Charakteristik und anderen Asphalt. Ganz zu schweigen von den unterschiedlichen Witterungsbedingungen. Dazu müssen auch noch Vorder- und Hinterreifen unabhängig voneinander in ihr jeweiliges Arbeitsfenster gebracht werden. Fällt eine Achse aus dem Fenster, stimmt das Fahrverhalten nicht mehr. Meist verfängt sich der Pilot dann in einem Teufelskreis.
Große Teams haben es leichter
Haas hat hier einen Nachteil ausgemacht. "Wir sammeln fleißig Daten, doch es braucht Zeit, sich eine Wissensbasis anzueignen", sagt Teamchef Günther Steiner. Haas zollt hier der noch jungen Teamgeschichte Tribut. Zwar mag man meinen, dass die Tatsache, dass Pirelli die Reifendrücke mittlerweile vorgibt, Haas eher in die Karten hätte spielen müsste, weil alle wieder bei null angefangen haben. Doch das Gegenteil scheint der Fall zu sein.
Am liebsten wäre es Steiner, wenn er einen Reifenexperten rekrutieren könnte. Doch das ist nicht so einfach, weil diese gut bezahlte Jobs bei den großen Teams annehmen. "Es gibt nicht viele Leute im Fahrerlager, die über diese Reifen Bescheid wissen", so der Südtiroler. "Die großen Teams haben eigene, große Arbeitsgruppen zum Thema Reifen. Für uns wird es dadurch nicht leichter." Er verweist auf Valtteri Bottas, der im Ungarn-Qualifying im dritten Sektor vor seiner schnellen Runde fast anhielt, um die Reifen etwas abkühlen zu lassen.
Dabei ist das Haas-Team eng mit Ferrari verbandelt, einem unumstrittenen Krösus der Formel 1. Doch Ferrari darf Haas nicht mit Daten aushelfen. Ganz davon abgesehen, dass diese kaum brauchbar wären. "Unsere Aerodynamik ist nicht auf ihrem Niveau", zeigt Steiner auf. So bleibt Haas vorerst nur: Weiter Daten sammeln und den Erfahrungsrückstand langsam aufholen. Bis das der Fall ist, kann es aber weiter zu Qualifying-Ausreißern kommen.