Trotz verpasstem Test kann mit den neuen Pirellis plötzlich auch die Reifenfresser-Kombination Hamilton/Mercedes gewinnen, noch dazu im Glutofen von Budapest
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Welche Ironie: Beim ersten Rennen mit den veränderten Pirelli-Reifen gewinnt ausgerechnet jenes Team, das beim Young-Driver-Test in Silverstone zuschauen musste, nämlich Mercedes. Und das noch dazu bei Gluthitze - einem Umstand, der noch in Bahrain dazu geführt hatte, dass Polesetter Nico Rosberg völlig hilflos vom ersten auf den neunten Platz durchgereicht wurde.
Dabei hatte Hungaroring-Sieger Lewis Hamilton noch am Samstag befürchtet, dass Mercedes im Glutofen von Budapest trotz der neuen Reifen wieder zurückfallen würde. Rosberg war schon eher zuversichtlich, dass sich eine Trendwende anbahnen könnte, aber Hamilton klang am Tag vor seinem ersten Sieg im Silberpfeil so, als hätte er am liebsten Geld darauf gewettet, dass er nicht gewinnen würde. Ein Irrtum, mit dem er im Nachhinein wahrscheinlich gut leben kann.
"Das ist für uns der Wendepunkt in der Saison", strahlt er nach dem souverän aussehenden Sieg. Denn nicht nur, dass Mercedes im zehnten Rennen zum siebten Mal auf der Pole-Position stand, geht es nun offenbar auch im Rennen: "Es ist klar, dass Hamilton und Mercedes profitiert haben", findet Lotus-Chefingenieur Alan Permane über die Reifensituation, "aber es sieht so aus, als hätten sie dafür im Qualifying Tempo verloren. Im Rennen sind sie jedoch eindeutig schneller geworden."
Verpasster Young-Driver-Test kein großer Nachteil?
Selbst Mercedes-Sportchef Toto Wolff gibt unumwunden zu: "Wir haben eine neue Konstruktion, die erstmals an einem Rennwochenende zum Einsatz gekommen ist. Beim Young-Driver-Test hatte man sie das erste Mal an die Autos geschraubt. Und dieser Reifen kommt uns entgegen. Ein zusätzlicher Faktor ist vielleicht: Wir hatten drei zusätzliche Tage Zeit, um nachzudenken", spricht er den unfreiwillig versäumten Young-Driver-Test an.
Außerdem habe man sich am Hungaroring voll auf das Rennen konzentriert: "Von Freitag an haben wir sehr stark an den Longruns gearbeitet. Das hat uns bei unserer Leistung über eine Runde etwas geschadet, obwohl wir ja dennoch die Pole-Position erzielt haben, kam uns aber am Sonntag entgegen. Die Ingenieure haben meiner Meinung nach sehr gut die Hitze und die Temperaturen antizipiert. Das hat Lewis dann umgesetzt", so Wolff.
Und das soll noch nicht das Ende der Fahnenstange sein: "Wir haben ständig Upgrades am Auto", freut sich Hamilton. "Vor einem Jahr waren wir mit der Technikabteilung nicht annähernd so produktiv, wurde mir gesagt." Für den Briten ist vor der Sommerpause plötzlich auch der WM-Titel wieder ein Thema, denn 48 Punkte Rückstand auf Gesamtleader Sebastian Vettel sind zwar eine Menge Holz, entsprechen andererseits aber nicht einmal zwei Siegen.
Noch nicht alle Ressourcen auf 2014 konzentriert
Ross Brawn weigert sich jedenfalls dagegen, die Weiterentwicklung schon einzufrieren und alle Ressourcen auf 2014 zu bündeln, wofür sich andere Teams wie Lotus oder Sauber entschieden haben. Das lässt den Rückschluss zu, dass sich Mercedes noch eine Minichance auf den WM-Titel ausrechnet, zumal die nächsten Ausbaustufen für den F1 W04 schon in der Pipeline sind und bereits beim nächsten Grand Prix in Spa-Francorchamps eingesetzt werden sollen.
"Die Reifen sind eine Herausforderung. So sollte die Formel 1 sein", erklärt der Mercedes-Teamchef. "Es kommen jetzt mit Spa und Monza zwei aufregende Rennen. Es kommen bei uns einige gute Entwicklungen. Dann werden wir das weitere Programm entscheiden. Wie alle anderen Teams arbeiten auch wir am aktuellen Auto und am Auto für das kommende Jahr. Dann müssen wir unsere Prioritäten festlegen."
Marc Surer erwartet jedenfalls, dass Mercedes jetzt durchstartet, "denn jetzt kommen zwei schnelle Strecken", so der Formel-1-Experte. "Auf schnellen Strecken war Mercedes sowieso immer gut, weil sie auch eine gute Höchstgeschwindigkeit haben. Wenn sie jetzt das Reifenproblem in den Griff bekommen haben, muss man sagen: Ab jetzt müssen wir mit Mercedes im Rennen richtig rechnen! Das heißt, die haben jetzt zwei Strecken, die ihnen liegen."
Der Schlüssel zur Wende ist laut Surer der von McLaren verpflichtete Startechniker Paddy Lowe: "Das ist der Mann, der die McLaren, die am Anfang der Saison manchmal zwei Sekunden weg waren, wieder zum Siegerauto gemacht hat", analysiert er. "Dieser Mann ist nicht zu unterschätzen. Er ist unscheinbar, aber er hat ein Wissen. Und wenn er von außen kommt, konnte er vielleicht besser sehen, wo der Fehler am Auto lag. Er hat das wohl in den Griff bekommen."
Force India jammert, Mercedes jubelt
Und: Während Fahrer wie Adrian Sutil darüber klagen, die neuen Reifen selbst bei 50 Grad Celsius Asphalttemperatur nicht mehr ordentlich aufwärmen zu können, trifft Mercedes plötzlich den sogenannten 'Sweet-Spot' haarscharf. "Im Qualifying", schildert Wolff, "hatten viele Autos Probleme damit, ihre Reifen auf Temperatur zu bringen. Zum Beispiel hat man das bei Kimi gesehen, wie er brutal in die Schikane einlenkt, um die Vorderreifen aufzuwärmen."
"Das ist jetzt ein Thema dieses Reifens: Wie triffst du dieses Temperaturfenster?", sagt er und relativiert die am Samstag noch auseinandergehenden Meinungen von Hamilton und Rosberg: "Was wir jetzt gesehen haben: Die Temperaturen waren bei beiden Autos ähnlich, da gab es keine großen Unterschiede. Die Wahrnehmung der beiden war nur ein klein wenig anders. Und vermutlich hat der Straßenverkehr dabei eine Rolle gespielt."
Aber Wolff warnt davor, Ungarn als Gradmesser für den Rest der Saison anzulegen: "Es könnte in Spa - bei anderen Temperaturen, auf einem anderen Belag, bei anderen Streckencharakteristiken - wieder ganz anders sein. Dann findet man den 'Sweet-Spot' wieder oder eben nicht", weiß er. "Das zieht sich durch die gesamte Saison, obwohl die Reifen anders waren. Ein Team hat es mal getroffen, ein anderes hat es nicht getroffen."