Jackie Stewart findet, dass Sebastian Vettel nicht die Alleinschuld an der Baku-Kollision trägt - Kritik an "unprofessionellem" Rotationssystem bei Kommissaren
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Nach der kontroversen Safety-Car-Kollision zwischen Lewis Hamilton und Sebastian Vettel gehen die Meinungen weiter auseinander. Selten hat ein Vorfall die Formel-1-Welt so polarisiert wie dieser. In einer aktuellen Umfrage von 'Motorsport-Total.com' beispielsweise ist das Publikum zerstritten: Eine leichte Mehrheit von 42 Prozent sieht die 10-Sekunden-Stop&Go-Strafe gegen Vettel als zu mild an, 31,5 Prozent wiederum als zu hart. Nur 26,5 Prozent befinden sie als "genau richtig".
Die Schuldfrage spaltet sogar Experten. Während manche für das offensichtliche Revanchefoul von Vettel einen Ausschluss fordern, geht Helmut Marko auf Hamilton los. Formel-1-Legende Jackie Stewart nimmt eine differenziertere Position ein. "Es wäre sehr einfach, einem Mann hier die volle Schuld zu geben", sagt er im 'Irish Examiner'. "Was das schlechte Verhalten ausgelöst hat, ist schon zuvor geschehen." Vettel beklagte, dass Hamilton ihn habe auflaufen lassen, um seinen Frontflügel zu beschädigen. Die FIA-Daten bewiesen keinen signifikanten Bremsvorgang beim Mercedes-Piloten.
Doch auch ohne zu Bremsen habe Hamilton eine Teilschuld auf sich geladen, findet Stewart: "Lewis hat sehr stark an einem so ungewöhnlichen Punkt verzögert. Das sollte man hier in Betracht ziehen. Das war ein Schock für Sebastian. Es kam total unerwartet. Ich will hier Hamilton nicht den Schwarzen Peter in die Schuhe schieben, aber ich muss sagen, dass ich noch nie gesehen habe, dass jemand so plötzlich vom Gas geht." Formel-1-Fahrzeuge verzögern selbst dann stark, wenn man nur lupft, Schuld ist der enorme Luftwiderstand. "Man macht so etwas, um den Gegner zu überraschen. Aber das war zu heftig", so das Urteil des 78-Jährigen.
Nichtsdestotrotz trägt Vettel für seine unbeherrschte Reaktion auch für den Sicherheitspionier die Hauptschuld. "Seine Reputation hat mit Sicherheit Schaden genommen", findet er. Obschon Vettel in einem Rennen, das Hamilton eigentlich hätte gewinnen müssen, sogar noch WM-Punkte gutgemacht hat, versteht es der Brite, sich als moralischer Sieger zu inszenieren - indem er ihn beispielsweise zum offenen Zweikampf herausfordert. Auch Stewart sieht in Vettel des Buhmann: "Für so etwas gibt es keinen Raum, keine Entschuldigung und es ist inakzeptabel."
Stewart fordert festen Steward
Der Schotte thematisiert auch einen weiteren Aspekt der Strafe: Er übt Kritik an der Zusammensetzung der Rennkommission. In Aserbaidschan fanden der Schweizer Paul Gutjahr, Enzo Spano aus Venezuela, Danny Sullivan und ein vom nationalen aserbaidschanischen Motorsportverband gestellter Kommissar zur Entscheidung, Vettel mit einer 10-Sekunden-Stop&Go-Strafe zu belegen. Die Hälfte des Komitees bestand aus nicht regulären Entscheidungsfindern.
Stewart sieht dringenden Handlungsbedarf und geht mit der Thematik hart ins Gericht: "Jean Todt wird das gar nicht gerne hören, aber ich denke, dass es nicht so professionell gehandhabt wird, wie es getan werden sollte." Danny Sullivan fuhr in der Saison 1983 gerade einmal 15 Formel-1-Rennen. Zwar bringt er eine große Erfahrung aus der IndyCar-Szene mit, allerdings ticken in Amerika die Uhren bekanntlich etwas anders. Und der aserbaidschanische Motorsportverband gilt nicht gerade als der am professionellsten organisierte der Welt.
"Bei nahezu jedem Grand Prix gibt es eine andere Zusammensetzung der Rennkommission", klagt Jackie Stewart. "Meiner Meinung nach sollte die FIA einen ehemaligen Fahrer auswählen, ihm ein anständiges Gehalt zahlen und ihm so Autorität verleihen. Sie sollten ihn für zwei bis drei Jahre verpflichten, sodass er über die Charakterzüge der Fahrer im Bilde ist. Das heißt, dass wir jemanden bräuchten, der mit dem Business vertraut ist."
Brundle: Entscheidung richtig
Ein möglicher Kandidat wäre in einem solchen Fall Martin Brundle, der als TV-Experte zu jedem Rennen anreist. Bei 'Sky' analysiert er den Vorfall aus seiner Sicht: "Vettel hat irrtümlich angenommen, dass Hamilton ihn genötigt habe. Er musste unbedingt dicht am Mercedes dranbleiben, weil er bei früheren Restarts auf dem langen Weg nach Kurve 1 verwundbar war. Seine Reaktion war irrational und alarmierend, aber so etwas passiert manchmal, wenn ultra-kompetitive Menschen voller Adrenalin stecken."
Während Stewart das Panel kritisiert, findet Brundle zumindest dessen Entscheidung richtig: "Ich denke, die Kommissare haben hier richtig reagiert. Ich hätte ihn nicht disqualifiziert oder für das nächste Rennen gesperrt, außer er hätte Hamilton aus dem Rennen genommen. Das ist eine Weltmeisterschaft in einem unglaublich extremen Umfeld. Da gibt es keine Engel. Und solche wollen wir ja auch nicht sehen."