Strategiepatzer: Mercedes knickt vor Vettels Druck ein

, 26.03.2017

Starker Auftakt für Sebastian Vettel: Der Deutsche bezwingt in Melbourne Mercedes, weil er die Silberpfeile unter Druck zu einem taktischen Fehler zwingt

Die Roten sind zurück! Gut 1,5 Jahre nach dem bislang letzten Triumph Ferraris in der Formel 1 strahlt Sebastian Vettel wieder einmal von ganz oben auf dem Podest. Der Heppenheimer sicherte sich in Australien den Sieg beim Saisonauftakt 2017 vor dem Silberpfeil-Duo Lewis Hamilton und Valtteri Bottas, das als großer Favorit in das Rennen gegangen war.

War es im Vorjahr noch die Strategie, die den Deutschen im Albert Park um den Sieg brachte, so war es nun die (etwas glückliche) Rennfügung, die ihm in die Karten spielte. "Es ist unglaublich. Das haben wir gebraucht", atmet Vettel erleichtert durch, nachdem er mit gut zehn Sekunden Vorsprung über die Ziellinie fuhr. Da muss selbst Hamilton anerkennen: "Sie haben an diesem Wochenende einen fantastischen Job gemacht."

Entscheidend für die erste silberne Niederlage seit dem Rennen in Malaysia 2016 war eine strategische Fehlentscheidung, die Toto Wolff zum Verzweifeln brachte. Der nach dem Start führende Hamilton sah angesichts der bisherigen Mercedes-Performance und der Überholfeindlichkeit der neuen Formel-1-Autos bereits nach der ersten Kurve fast wie der sichere Sieger aus, doch weil seine Reifen scheinbar einbrachen und er früh stoppte und so in den Verkehr kam, flog Vettel vorbei.

Reifen zwingen Hamilton zu frühem Stopp

Bereits nach 17 von 57 Runden kam Hamilton in Führung liegend in die Box. Sechs Runden zuvor hatte er sich das erste Mal über überhitzende Reifen beschwert. Der Brite konnte im ersten Stint nicht die Zeiten fahren, die man anvisiert hatte, und Vettel so lediglich auf maximal zwei Sekunden wegfahren. "Ich habe direkt gemerkt, dass ich dranbleiben kann", sagt der Deutsche hinterher. "Ich war mir nicht sicher, was er bei der Strategie vorhat."

Die einfache Erklärung: "Ich musste früher stoppen, weil ich keinen Grip mehr hatte", erläutert Hamilton. Daher ließ er die Ultrasoft-Reifen runterziehen und Soft-Reifen aufschnallen, mit denen er das Rennen bis zu Ende bestreiten wollte. Bei Ferrari war man derweil überrascht, dass der silberne Gegner schon so früh zum Service kam. Eigentlich hatte man einen Undercut geplant, doch der war nun nicht mehr möglich, weil Mercedes jene taktische Möglichkeit verhindern wollte.

"Es war eine Teamentscheidung. Lewis hat gemeint, der Reifen hält nicht mehr. Wir haben gesehen, dass die Rundenzeiten langsamer geworden sind", schildert Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff. Zwar wusste man, dass man hinter Kimi Räikkönen (Ferrari) und Max Verstappen (Red Bull) wieder auf die Strecke kommen würde, doch das musste man in diesem Fall in Kauf nehmen - und genau da lag der Fehler.

Verstappen wird zu Mercedes' Verderben

Denn auch mit frischen Reifen kommt man in der neuen Formel 1 nicht so einfach mehr an seinem Gegner vorbei, schon gar nicht wenn dieser Max Verstappen heißt. Hamilton lief auf den Niederländer auf und konnte den Vorteil seiner Pneus gegenüber Vettel nicht mehr nutzen. Der Deutsche war zum Zeitpunkt von Hamiltons Stopp bis auf 1,6 Sekunden herangekommen und konnte bei freier Fahrt schnellere Runden drehen als der Silberpfeil.

Vettel fuhr Runden im niedrigen 1:28er Bereich, Hamilton hinter Verstappen gut eine Sekunde langsamer. "Dass er in den Verkehr gekommen ist, hat uns in die Hände gespielt", weiß Vettel, der sechs Runden nach dem Briten an die Box kam - und knapp vor dem Kampfduo wieder auf die Strecke. In den ersten zwei Kurven musste sich Vettel mit seinen kalten Softs zwar noch gegen Verstappen und seine heißen Reifen wehren, danach war die virtuelle Führung aber festgezurrt.

Als Verstappen zwei Runden später seinerseits zum Boxenstopp abbog, hatte Vettel bereits eine komfortable Führung von sechs Sekunden. Einen Vorwurf an den Red-Bull-Piloten gibt es von Seiten Mercedes natürlich nicht: "Verstappen ist sein eigenes Rennen gefahren, da kann man nicht erwarten, dass er zur Seite fährt", winkt Wolff ab und sieht den Fehler ganz klar auf strategischer Seite: "Wir hatten gehofft, dass er früher an die Box kommen würde und wir freie Fahrt haben. Es war eine Kombination von Variablen, die gegen uns liefen."

Mercedes bremst Hamilton ein

Den großen Vorsprung musste Vettel anschließend nur noch ins Ziel tragen. Der Deutsche konnte auf den etwas frischeren Reifen sogar Zeit gutmachen und Hamilton im restlichen Rennverlauf bis auf zehn Sekunden davonfahren. "Ich wusste, ich muss mich konzentrieren und den Rhythmus finden, und das hat super geklappt", strahlt er. "Ich konnte eine Lücke aufreißen und dann die Runden runterzählen. Das Auto hat auch auf den härteren Reifen gut funktioniert, und es war eine Freude, heute ins Lenkrad greifen zu dürfen."

Zwar war er immer davon ausgegangen, dass Hamilton noch einmal eine Schlussattacke reiten würde, doch die kam nicht. "Er kam mit den härteren Reifen wohl nicht gut zurecht, wir schon", zuckt Vettel mit den Schultern. Doch bei Mercedes gibt man zu, dass man bei Hamilton bereits das Tempo herausgenommen hatte: "Und zwar sehr früh, als uns klar war, dass wir unter normalen Umständen nicht mehr gewinnen würden", so Wolff.

Und so konnte Vettel schließlich seinen vierten Sieg für die Scuderia holen, nachdem er letztmals in Singapur 2015 von ganz oben grüßte. Die Roten scheinen ein gutes Auto fabriziert zu haben, das es durchaus mit Mercedes aufnehmen kann. "Wenn man heute mit vor zwölf Monaten vergleicht, stehen wir als Team ganz anders da", nickt Vettel fröhlich gestimmt. Nicht nur konnte man die Silbernen über die Taktik knacken, man war auch auf der Strecke auf Augenhöhe.

Rot lässt Silber nicht entkommen

Das hat sich im ersten Stint gezeigt: "Wir sind Vollgas gefahren, und wir konnten trotzdem nicht wegfahren", muss Toto Wolff eingestehen. Vettel blieb wie eine Klette kleben und legte so den Grundstein für den taktischen Fehler der Silberpfeile. Darum wehrt sich Vettel auch entschieden dagegen, dass Mercedes das Rennen selbst verloren habe. "Wir haben für unser Glück gearbeitet", unterstreicht er.

"Wenn ich nicht dahinter gewesen wäre, hätte Lewis noch vier, fünf Runden warten können und den Verkehr aus dem Weg geräumt. So waren wir nah genug dran, um ihn zu gefährden. Deswegen musste er reagieren. Darum haben wir uns die Situation selbst erschaffen", so der Deutsche. "Ferrari war einfach schneller als Mercedes. Das muss man anerkennen", zollt auch Mercedes-Aufsichtsratsvorsitz Niki Lauda Respekt.

Bei den Silberpfeilen ist man nach der heutigen Niederlage nicht allzu enttäuscht, weil man mit den Plätzen zwei und drei doch noch ein gutes Ergebnis einfahren konnte. "So läuft es manchmal. Es war trotzdem ein großartiges Rennen mit guten Punkten für das Team", sagt auch Lewis Hamilton, und Wolff ergänzt: "Manchmal gewinnst du, manchmal verlierst du."

Im Rennen machte es eher den Eindruck, als ob der Österreicher über den Teamfehler sauer wäre, weil er mit der Faust auf den Tisch haute. Doch er lacht: "Ich muss an meiner Emotionalität während des Rennens arbeiten. Ich muss wohl mit jemand Professionellem darüber reden." Im Nachhinein kann er zugeben, dass das Team nicht verloren, sondern Ferrari gewonnen hat: "Man muss anerkennen, dass Ferrari stark zurückgekommen ist. Wir waren nicht schnell genug, von daher ist Sebastian heute der verdiente Sieger."

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