Teufelskreis Schuldenfalle: Das heimliche Leiden der Formel 1

, 09.02.2013

Gelebte Finanzkrise in der Königsklasse: Marussia bangt um das Überleben, Paydriver wie Narain Karthikeyan sind begehrt und Geld verdienen nur die Großen

Champagner in der Hospitality, VIP-Gäste in der Boxengasse und Rennstrecken an den teuersten Flecken Erde auf dem Globus. Die Formel 1 ist seit ihrem Goldenen Zeitalter eine popkulturelle Ikone der gesellschaftlichen Beletage. Doch der internationale Jetset ist lediglich die halbe Wahrheit einer Szene, deren Protagonisten einen tagtäglichen Kampf um das finanzielle Überleben führen. Das Multi-Millionen-Dollar-Business ist längst nur noch eines auf der Ausgaben-, nicht auf der Einnahmenseite.

Wenn die Königsklasse schon für Großkonzerne wie Toyota, Honda und BMW nicht mehr lukrativ ist, wie sollen diesen Sport die Privatiers im Hinterfeld finanzieren? "Man muss reagieren, um die Kosten zu senken, denn wir sind an einem Punkt angelangt, an dem es noch mehr Teams treffen könnte", warnt Teamchefin Monisha Kaltenborn im Gespräch mit 'Reuters'. Ihre Sauber-Truppe ist da keine Ausnahme. Die Schweizer halten sich dank des mexikanischen Großsponsors Telmex über Wasser.

2013 besonderer finanzieller Druck

Viele Teams hätten finanzielle Probleme, die einen mehr, die anderen weniger, sagt Kaltenborn. Auf dem Sponsorenmarkt sind es die Großen der Szene, die die hoch dotierten Deals abschließen. Red Bull - als Quasi-Werksteam mit üppigem Budget alles andere als zum Sparen verdammt - präsentierte auf dem neuen RB9 die Nissan-Marke Infiniti mit deutlich ausgebautem Engagement als Geldgeber, Mercedes lässt Nico Rosberg und Lewis Hamilton neuerdings mit Blackberry-Smartphones telefonieren.

Auf anderen Boliden bleibt dagegen genügend Platz für eine schmucke Lackierung. Einzig: Die spült kein Geld in leere Kassen. Dabei ist gerade 2013 jeder Cent nötig. Im kommenden Jahr steht die große Regelnovelle samt Wechsel zu V6-Turbomotoren an. Konkret bedeutet das: Es muss auf zwei Baustellen entwickelt werden. McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh hält ein tragfähiges Geschäftsmodell in der Formel 1 für "schwierig", dabei bewältigt man in Woking den Drahtseilakt noch erstaunlich gekonnt.

Letzte Hoffnung Kostenreduktion

Andernorts sieht es deutlich finsterer aus, und zwar nicht nur im tiefsten Keller. Lotus, immerhin Rennsieger und die Nummer vier der Konstrukteurs-WM, soll seine Rechnungen wenn überhaupt längst nicht mehr ohne Sorgenfalten zahlen. Dennoch: Die Abgründe tun sich am Ende der Startaufstellung auf, wo nach dem Aus für die spanische HRT-Mannschaft Marussia steht. Das Budget der britisch-russischen Truppe, so munkelt man, liegt bei 45 Millionen Euro. Für Formel-1-Verhältnisse beinahe lächerlich.

Man ist also dringend darauf angewiesen, dass die laufenden Kosten zu senken. Ressourcen-Restriktions-Abkommen (RRA) heißt die Lösung, ist aber seit vielen Jahren der Zankapfel schlechthin hinter den Kulissen. John Booth erkennt Besserung: "Der Sport ist wieder etwas bei Sinnen", sagt er 'Reuters' und betreibt keine Schwarzmalerei: "Es ist keine Krise, aber vielleicht braucht es einen Neustart." Doch der lässt bislang auf sich warten und Marussia schmort in der Schuldenfalle.

Paydriver sind gefragt

Es ist das einzige Teams, dem Bernie Ecclestone noch kein Angebot bezüglich eines neuen Concorde Agreements, das Abkommen über den kommerziellen Rahmen der Formel 1, unterbreitet hat. Marussia, Caterham und HRT hatten als jüngste Einsteiger und so genannte Kategorie-drei-Teams bisher ein garantiertes Mindesteinkommen von zehn Millionen Dollar (umgerechnet rund 7,5 Millionen Euro) pro Jahr, doch damit ist nach dem Auslaufen des Vertragswerkes Ende der Saison 2012 Schluss.

Da der Tony-Fernandes-Rennstall mit Rang zehn in der Konstrukteurs-WM in die zweite Sparte aufgerückt ist und nun regulär aus Einnahmentopf bedient wird, HRT dazu die Schotten dicht gemacht hat, bleibt Marussia unbeteiligt zurück. Es fehlen geschätzte 52 Prozent des Budgets, die ein Team in der Regel aus dieser Quelle bezieht. Die Konsequenz: Marussia ist ein Vorzeigeprojekt für Paydriver geworden. Also Piloten, für die in erster Linie das Geld und nicht das Talent hinter dem Steuer spricht.

Mitgift wichtiger als Talent?

Luiz Razia soll dank Sponsoren bis zu 11 Millionen Euro überweisen. Max Chilton, Sohn eines vermögenden Versicherungsunternehmers, bereichert das Konto Spekulationen zufolge um rund sechs Millionen Euro. Die Bezahlfahrer schmecken nicht jedem in der Szene: "Ich finde es traurig", sagt Whitmarsh. "Man sollte doch hoffen, dass das in der Königsklasse des Motorsport nicht nötig wäre." Legende Stirling Moss schimpft bei 'Pittpass': "Sie haben nicht das Können, um ein Auto dieser Güteklasse zu bewegen."

Razia und Chilton, die zumindest ihr Potenzial in der vergangenen Saison in der Spitze in der wichtigsten Nachwuchsklasse GP2 unter Beweis gestellt haben, sind lange nicht die einzigen Paydriver oder Piloten mit finanzstarkem Hintergrund. "Die Zahl steigt", meint Whitmarsh und kann bei den Beispielen aus den Vollen schöpfen. Jüngstes Vorzeigeexemplar: Giedo van der Garde, der dank seines Schwiegervaters in spe die Millionen des Moderiesen McGregor zu Caterham bringt.

Karthikeyan hofft auf Force-India-Cockpit

Doch es bleibt nicht bei Sponsorendeals, schließlich sind auch andere Finanzierungsmodelle denkbar. Das letzte freie Formel-1-Cockpit für die Saison 2013 bei Force India könnte Jules Bianchi einnehmen, der seit Jahren im Nachwuchsprogramm von Ferrari gefördert wird. Denkbar, dass der Rennstall 2014 Motorenkunde der Scuderia wird und die Aggregate zu einem günstigeren Preis erhält - wenn er den Franzosen als Einsatzfahrer verpflichtet. Doch in der Szene wird auch noch etwas anderes gemunkelt.

Dieses Gerücht hat mit Ex-HRT-Pilot Narain Karthikeyan zu tun, dank Tata der Paydriver schlechthin und bekannt als verlässliche Einnahmequelle. Er soll nach Medieninformationen aus seinem Heimatland nach einer Budgeterhöhung des indischen Autokonzerns reelle Chancen auf den Drive bei Force India haben, obwohl er in seiner erstaunlich langen Karriere selten durch Glanzleistungen auffiel. "Sie sind Bezahlfahrer, weil sie eigentlich nicht gut genug sind", formuliert Whitmarsh schonungslos.

Marussia im Teufelskreis

Ross Brawn erkennt die Kehrseite der Medaille: "Wir sind Spielball der weltweiten Wirtschaft, das kann man nicht ignorieren", so der Mercedes-Teamchef. Sein Aufsichtsratsboss hat da eine andere Meinung: "Wer in der Formel 1 immer noch erster Klasse fliegt, der ist selbst Schuld. Da habe ich kein Mitleid, wenn ein Team finanzielle Probleme bekommt", erklärt Niki Lauda gegenüber 'Bild.de'. Also alles hausgemacht? "Wer erfolgreich ist, der verdient auch mehr Geld. So einfach ist das", so der Österreicher.

Lotus ist das Gegenbeispiel und auch Marussia verdeutlicht, dass die Formel so einfachen Regeln nicht folgt. Ein jährliches Saldo von fast 50 Millionen Euro belastet Informationen des 'Guardian' zufolge die Bücher, insgesamt soll die Mannschaft mit bis zu 95 Millionen Euro in der Kreide stehen. Ein Verkauf ist keine Lösung, schließlich wird der Wert Marussias mit kaum mehr als der Hälfte dieses Betrags beziffert. Es braucht also dringend frisches Geld. Doch das fließt nur, wenn die sportliche Leistungen stimmen. Ohne großes Budget wird das nicht passieren. Ein Teufelskreis.

Wie lange halten die Banken durch?

Dabei ist durchaus Besserung bei Marussia zu erkennen. Der MR02 verfügt dank einer Kooperation mit Williams erstmals über KERS, war bei den Testfahrten in Jerez ungefähr auf dem Niveau Caterhams, der Abstand zur Spitze war mit rund drei Sekunden so gering wie noch nie seit dem Einstieg als Virgin-Team. Es geht voran, solange die Gläubiger mitmachen. Allerdings steht deren Geduld auf der Probe, allen voran die der britischen Lloyd-Gruppe. Und die gehört der öffentlichen Hand, der man in Krisenzeiten besonders genau auf die Finger schaut.

Marussias Zukunft ist offen, für Brawn ist sie eine Gewissheit: "Es ist ein ständiger Kampf, der uns nie ruhen lässt", erklärt der heutige Mercedes-Teamchef, der sich kurzfristig selbst als Besitzer des gescheiterten Honda-Projekts um ein Budget bemühen musste. "In den 34 Jahren, in denen ich im Geschäft bin, war es nie anders in der Formel 1. Aber es gab auch immer einen starken Kern." Das Problem liegt jedoch auf der Hand: Ein Kern reicht nicht, um langfristig die Königsklasse zu betreiben.

Lauda hat kein Verständnis für die vielen kritischen Stimmen, die das Finanzdebakel als Systemfehler anprangern und schnelle Besserung fordern. "Worüber regen sich alle auf? Es fahren doch bis auf ein Team alle", stellt er fest und stimmt Brawn zu, dass Geldsorgen so alt sind wie die Formel 1 selbst. "Das HRT-Team hat einfach von Anfang an alles falsch gemacht, was man falsch machen konnte. Schlecht organisiert, kein gutes Auto." Lauda meint: "Das wird sich auch dieses Mal wieder einpendeln."

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