Trotz Doppelerfolg: Mercedes fürchtet um seine Dominanz

, 23.06.2014

Mangelnde Zusammenarbeit, Williams plötzlich auf Augenhöhe - Ist der Mercedes-Vorsprung aufgebraucht oder war Spielberg nur ein einmaliger Ausrutscher?

Sechs Doppelerfolge in acht Rennen: Mercedes dominiert die Formel 1 im Jahr 2014 scheinbar nach Belieben. Doch hinter den Kulissen ist man nach dem jüngsten Doppelerfolg in Spielberg alles andere als glücklich. Zum einen ist der Vorsprung auf die Verfolger deutlich geschmolzen, zum anderen herrscht zwischen Nico Rosberg und Lewis Hamilton mittlerweile offenbar Funkstille - Zumindest, was die Weitergabe gewisser Daten angeht.

"Wir wollen nicht, dass die Runde, die das wahre Potenzial des Autos zeigt, bis zur letzten Runde im Qualifying zurückgehalten wird", sagt Teamchef Toto Wolff. Hintergrund der Aussage: Angeblich hielt sich Rosberg in Spielberg in den Trainings absichtlich zurück, damit Teamkollege Hamilton ihm nicht in die Karten gucken konnte. Denn bei Mercedes betonte man bisher immer, dass die Daten beider Fahrer für alle im Team frei zugänglich seien.

Da ist es durchaus vorstellbar, dass ein Fahrer im Training bewusst einmal etwas früher auf die Bremse steigt. "Ich sage nicht, dass das passiert ist. Wir wollen nur keine Tiefstapelei oder abgebrochene Runden sehen, wenn wir das Auto noch besser verstehen müssen", erklärt Wolff und ergänzt: "Bei dieser Transparenz geht es darum, Ansichten darüber auszutauschen, was das Auto macht. Wir müssen voneinander lernen."

"Jetzt müssen bei uns die Alarmglocken läuten"

"Nach dem dritten Training waren wir nicht gut in Form und die Atmosphäre war nicht so wie in den Rennen zuvor. Der Wettbewerb wird härter und die Transparenz leidet ein wenig darunter. Wir müssen sicherstellen, dass dem Team dadurch kein Schaden entsteht." Das wäre in Spielberg um ein Haar bereits passiert. Denn während die beiden Mercedes zu Saisonbeginn noch in ihrer eigenen Liga fuhren, war Williams in Österreich plötzlich auf Augenhöhe mit den Silberpfeilen. Ein Resultat möglicher Pokerspielchen der Fahrer?

"Jetzt müssen bei uns die Alarmglocken läuten", fordert Mercedes-Vorstand und TV-Experte Niki Lauda bei 'RTL' und erklärt: "Ich stelle mit Überraschung fest, dass unser Vorsprung, den wir bis Montreal hatten, auf praktisch null zusammengeschrumpft ist." Und auch Wolff gibt zu: "So viel Arbeit mussten wir noch nie in einen Sieg investieren. Wir hatten hier echte Schwierigkeiten."

"Williams war fast das ganze Rennen gleich schnell. Wir haben sie nur über die bessere Taktik und den geringeren Reifenverschleiß geschlagen", merkt Lauda an. Auch viele Experten sind der Meinung: Hätte Williams bei seiner Strategie mehr riskiert, wäre Mercedes in Spielberg zu schlagen gewesen.

"Wir wussten, dass sie bei den Boxenstopps nicht die Initiative übernehmen würden", berichtet Wolff und erklärt: "Williams hätte mit einer aggressiven Strategie aktuell mehr zu verlieren als zu gewinnen." Schließlich hatte Felipe Massa in Kanada durch seine Kollision mit Sergio Perez spät im Rennen noch wichtige Punkte verloren. Bei Mercedes profitierte man nun davon, dass Williams nach diesem Vorfall kein Risiko eingehen wollte.

Nur ein Ausrtuscher?

Doch bei den Silberpfeilen was man ganz genau, was die Stunde geschlagen hat. "Nach dem Start konnte man sehen, wie einfach Valtteri an Nico vorbeizog", berichtet Wolff und ergänzt: "Sein zweiter und dritter Sektor waren ebenfalls sehr beeindruckend. Ich denke, dass sie einfach einen sehr guten Job gemacht haben." Für Lauda stellt sich daher die Frage: "War das Ergebnis nur streckenbedingt, oder haben die anderen aufgeholt?"

Denn in Spielberg war nicht nur Williams näher dran. Auch Ferrari-Pilot Fernando Alonso, in Barcelona fast noch überrundet, sah die Zielflagge nur rund 18 Sekunden nach Rosberg. Nicht täuschen lassen darf man sich dagegen von Daniel Ricciardos Sieg in Kanada. Der kam schließlich nur das Kühlproblem von Mercedes zustande, das übrigens auch in Österreich noch immer ein Thema war.

"Das hat uns vielleicht zwei Zehntel pro Runde gekostet", erklärt Lauda. Das kommende Rennen in Silverstone dürfte etwas mehr Aufschluss darüber geben, ob die Silberpfeile in dieser Saison wirklich noch einmal unter Druck kommen könnten. Doch selbst wenn das passieren sollte, wäre Mercedes der WM-Titel 2014 wohl kaum noch zu nehmen.

Wolff denkt an die Zukunft

Mit 301 Punkten thront das Team aktuell an der Spitze der Konstrukteurs-Wertung. Red Bull hat als erster Verfolger gerade einmal 143 Zähler - nicht einmal die Hälfte der Mercedes-Ausbeute. Zur Veranschaulichung: Selbst wenn Red Bull in den kommenden drei Rennen drei Doppelerfolge einfahren würde, bei denen Rosberg und Hamilton jeweils ausscheiden, hätte Mercedes noch immer 29 Punkte Vorsprung.

Toto Wolff ist das allerdings zu kurzfristig gedacht: "Es geht nicht nur darum, die nächsten paar Rennen zu gewinnen. Wir wollen auch in den nächsten Jahren konkurrenzfähig bleiben. Darum müssen wir in jedem Rennen etwas lernen und das geht nur dann, wenn wir offen und transparent zusammenarbeiten." Soll heißen: Wenn Rosberg und Hamilton Spielchen spielen, fehlen dem Team möglicherweise auch wichtige Daten für das Auto der kommenden Saison.

Für Mercedes ein Zwiespalt, denn Wolff erklärt: "Unsere Priorität muss es sein, die beiden gegeneinander fahren zu lassen. Sie liegen so eng beieinander und wir wollen da nicht von außen eingreifen und es in die eine oder andere Richtung manipulieren." Andererseits will man gewisse Dinge, wie das Zurückhalten wichtiger Daten, nicht akzeptieren.

Weiterhin Gleichbehandlung der Piloten

"Vielleicht müssen wir zuerst die Konstrukteurs-WM gewinnen und dann können wir sie von der Leine lassen", stellt Wolff fest und ergänzt: "Wir brauchen das Wissen der gesamten Gruppe und alle müssen zusammenarbeiten. Es geht nicht nur um die Fahrer, sondern auch um die Ingenieure auf beiden Seiten der Garage. Diesen Teamgeist wollen wir aufrechterhalten."

Das könnte allerdings schwierig werden, denn Wolff weiß: "Wir müssen damit rechnen, dass es Spannungen geben wird." Den ersten großen Knall zwischen Rosberg und Hamilton gab es bereits in Monaco. Das soll mittlerweile kein Thema mehr sein, doch spätestens wenn die WM in die entscheidende Phase geht, wird das Konfliktpotenzial wieder steigen.

Ein Thema, mit dem sich Wolff - zumindest aktuell - aber noch nicht befassen möchte: "In der Vergangenheit gab es in den Teams meistens eine Nummer eins und eine Nummer zwei. Wir befinden uns noch immer in einer Situation, in der wir an die Gleichberechtigung unserer Fahrer glauben. Das ist unsere Philosophie und wir denken, dass das nicht nur bei Mercedes, sondern in der gesamten Formel 1 so sein sollte."

"Allerdings könnte es passieren, dass wir zu einem bestimmten Zeitpunkt herausfinden, dass die intelligenten Leute der vergangenen 30 Jahre einen Grund dafür hatten, warum sie es so gemacht haben. Ich hoffe, dass das nie passieren wird, aber es könnte sein. Trotzdem haben wir, wie ich bereits sagte, bisher keine Probleme. Es läuft alles so, wie wir das erwartet hatten. Aber wir müssen wachsam bleiben."

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