Wieso Lewis Hamilton nach der Blockade in Abu Dhabi weiter interne Mercedes-Sanktionen fürchten muss, Toto Wolff aber im Nachhinein anders gehandelt hätte
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Lewis Hamilton hat sich beim Saisonfinale in Abu Dhabi mit der Blockadetaktik über die internen Spielregeln von Mercedes hinweggesetzt und die Anweisung des Technikverantwortlichen Paddy Lowe ignoriert. Aus diesem Grund hatte ihm Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff Konsequenzen angedroht. Die Sache ist auch nach dem Rücktritt von Nico Rosberg nicht vom Tisch, wie der Österreicher klarstellt, obwohl es noch keine Entscheidung gibt: "Das Gute ist, dass niemand mehr darüber spricht. Wir können uns also in Ruhe Gedanken machen."
Wolff kreidet Hamilton an, den gemeinsam entwickelten internen Verhaltenskodex gebrochen zu haben. "Wir haben gemeinsam mit den Fahrern ein System kreiert, dessen Ziel es ist, dass wir jedes Rennen gewinnen", erklärt er. In Monaco habe Rosberg diese internen Spielregeln respektiert und daher Hamilton, der deutlich schneller fahren konnte, vorbeigelassen.
Die Regel, um die sich die Diskussion dreht, besage: Wenn einer nicht schnell genug ist, dann hilft er dem Team, damit der andere gewinnt. "Als Nico in Monaco den Call bekam, Lewis vorbeizulassen, da hat er das anstandslos gemacht, und wir haben das Rennen gewonnen", sagt Wolff. "Und zwar mit einem Auto, das an diesem Tag nicht gut genug war für den Rennsieg."
"Aus rein bürokratischer Sicht" sei das letzte Saisonrennen genauso wichtig wie Monaco und das erste Rennen. "Es gibt die gleichen Punkte", meint Wolff. "Gelten dann beim letzten Rennen andere Regeln?"
Wolff hat "als Rennfahrer" Verständnis für Hamilton
Obwohl Hamilton mit seiner Aktion bei einigen Formel-1-Fans Symathien einbüßte, stand auch Mercedes in der Kritik, schließlich war die Konstrukteurs-WM längst entschieden - und Hamilton, der übrigens auch in Monaco bewiesen hat, dass er selbst unmöglich scheinende Siege einfahren kann, hat alles getan, um am Ende erfolgreich zu sein. Kann man einen Rennfahrer dafür bestrafen?
"Als Rennfahrer verstehe ich, was er gemacht hat", relativiert Wolff, der selbst eine Karriere als Rallye- und Langstrecken-Pilot hinter sich hat. "Ich hätte vielleicht das Gleiche versucht - oder in Betracht gezogen. Ich weiß nicht, ob ich es gemacht hätte. Und jeder, der etwas von Racing versteht, muss so eine Spielart berücksichtigen. Dafür habe ich Verständnis."
Außerdem habe sich Hamilton innerhalb der Formel-1-Regeln bewegt. "Er hätte es viel brutaler spielen können, hätte die anderen ganz auffahren lassen können, und dann wäre er zu weit gegangen und hätte den Respekt des Teamkollegen verloren", weiß Wolff. "Dann hätte er aber auch bedenken müssen, was Nico gemacht hätte."
Wolff hätte im Nachhinein anders gehandelt
Im Nachhinein hinterfragt er sogar, ob Mercedes mit dem Beharren auf den internen Regeln beim letzten Rennen nicht ein bisschen zu weit gegangen ist. "Auch, weil man den Fahrern und den Fans" einen offenen Titel-Showdown "einfach schuldig ist". Mit dem heutigen Wissen, sagt er selber, hätte er anders gehandelt. "Im Nachhinein hätte ich den letzten Call nicht mehr gemacht und hätte damit den Paddy weniger exponiert."
Ihm ist aber klar, dass man das grundsätzliche Problem nicht gelöst hätte, wenn man die Fahrer beim Titelfinale von der Leine gelassen hätte. "Wir hätten es uns vielleicht einfacher machen können, hätten sagen können: Bevor wir blöd dastehen, machen wir besser gar nichts. Damit gewinnst du allerdings nur Zeit, denn spätestens beim Saisonstart 2017 wäre das wieder auf den Tisch gekommen. Und da wäre Nico der erste gewesen, der gesagt hätte: Was bedeutet das jetzt für unsere Philosophie?"
Mercedes hätte sich damit also laut Wolff "in einen Teufelskreis" hineinmanövriert, der langfristig auf Kosten des Teams gegangen wäre. "Diese Rekorde, die wir aufgestellt haben, sind nur zustande gekommen, weil die Fahrer immer wieder Eigeninteressen zurückgestellt haben", erklärt er. "Das hat man gesehen, als Lewis in Monaco aus der Pressekonferenz kam und gesagt hat: Nico ist ein echter Gentleman. Insofern bin ich selbst noch zu keinem Entschluss gekommen, wie wir mit diesem Thema nächstes Jahr umgehen wollen."
Wolffs Plan: Instinkt des Fahrers muss berücksichtigt werden
Doch auf welche Gesichtspunkte will Wolff bei eventuellen neuen internen Regeln wertlegen? Der Mercedes-Motorsportchef verweist auf den Balanceakt, den maximalen Erfolg zu gewährleisten und dem Fahrer gleichzeitig seinen natürlichen Instinkt nicht zu verbieten. "Du kannst den Instinkt des Rennfahrers nicht löschen, und das willst du auch nicht", erklärt er. "Irgendwann kommt einfach der Zeitpunkt, an dem der Instinkt des Fahrers die Kontrolle übernimmt, und das muss man akzeptieren." Gerade deswegen überlege er eine Änderung der internen Regeln.
Das Ziel sei es dabei, nicht "wie ein Oberlehrer herumzulaufen, um deine Autorität durchzusetzen", sondern "aus den Fehlern lernen, wie alle am besten an einem gemeinsamen Strang ziehen". Da man aber 1.300 Angestellte beschäftigt und dem Daimler-Konzern in der Pflicht stehe, müsse das oberste Ziel sein, auch in Zukunft Konstrukteurs- und Fahrer-WM einzufahren.