Red-Bull-Motorsportchef Helmut Marko und Technikgenie Adrian Newey über die Stärken von Sebastian Vettel: Schlauer Bursche, der "seinem Alter immer voraus ist"
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Sebastian Vettel ist der erfolgreichste Casting-Kandidat aller Zeiten. Der dreimalige Formel-1-Weltmeister hat die harte Schule des Red-Bull-Förderprogramms durchlaufen und sich an der Spitze behauptet. Nur Vettel ist dies gelungen. Andere stolperten auf diesem steinigen Weg: Jaime Alguersuari, Sebastien Buemi, Neel Jani, Scott Speed, Mirko Bortolotti - die Liste könnte an dieser Stelle nahezu endlos fortgeführt werden.
"Die überragenden Leistungsträger fallen nicht von den Bäumen", beschreibt Red-Bull-Motorsportchef Helmut Marko seine Sicht gegenüber 'Welt online'. Der Österreicher, der das Förderprogramm des Energydrink-Herstellers leitet, regiert im Lager der aussichtsreichen Nachwuchskräfte mit harter Hand. Die Junioren bekommen konkrete Leistungsvorgaben, müssen sich Woche für Woche beweisen, um weiter in den Genuss der umfangreichen Unterstützung zu kommen.
"Große Leistungen sind bei allem Talent das Ergebnis harter Arbeit. So ist das auch bei Sebastian Vettel", sagt Marko, der den Weg des Heppenheimers mit großer Genugtuung betrachtet. Der gemeinsame Weg des österreichischen Ex-Formel-1-Piloten und früheren Le-Mans-Siegers und dem jungen Piloten aus Hessen begann vor etwa zehn Jahren. Marko beobachtete Vettel bei einem Auftritt mit der Formel BMW in Österreich. Es war die erste Saison im Formelsport des damals 16-Jährigen.
"Vorher hatte er wie alle talentierten Nachwuchsfahrer in seinem Alter schon eine fast zehnjährige Laufbahn als Kartfahrer hinter sich. Bis dahin war nichts Besonderes an ihm zu entdecken", erklärt Marko. Dennoch war der Red-Bull-Nachwuchsförderer begeistert. Vettel rückte in den Juniorenkader. "Er war zwar noch ein Junge. Aber wenn du in seine Augen geschaut hast, verrieten sie, dass er das, was er tat, sehr ernst meinte."
Vom Kart ins Formel-1-Stammcockpit: Nur vier Jahre
Die Ernsthaftigkeit seiner Herangehensweise wurde bereits im Folgejahr mehr als deutlich. Vettel holte 2004 den Titel in der Formel BMW - und wie! Von 20 Wertungsläufen entschied er 18 für sich. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war vielen Beobachtern klar, dass der junge Blonde - damals mit Zahnspange - ein außergewöhnliches Talent ist. "Sebastian besorgten wir ein Formel-3-Engagement für die Jahre 2005 und 2006. Dabei übertraf er alle meine Erwartungen", sagt Marko.
"Abgesehen von den Resultaten entwickelte er sich von Jahr zu Jahr zu einer immer gefestigteren und kompakteren Persönlichkeit. Damit meine ich auch seinen Charakter abseits des Rennwagens. Doch auch seiner sportlichen Entwicklung von Rennen zu Rennen zuzusehen, war faszinierend", erinnert sich der Österreicher an die Erfolge von Vettel. 2005 Rookie des Jahres in der Formel-3-Euroserie, 2006 Vizechampion.
"Sebastian sprach die Dinge an, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass Nachwuchsfahrer eine andere Rolle spielen sollten im Vergleich zu den Teamchefs. Doch die Rangordnung, wie sie in der Vergangenheit gewesen war, interessierte ihn überhaupt nicht. Er begann schon damals damit, zielorientiert und souverän zu arbeiten. Diese Entwicklung hält bis heute an", sagt Marko. "Das war genau das, was wir bei Red Bull von ihm erwartet hatten."
"Somit war der Aufstieg von der Formel 3 in die Formel 1 irgendwann der logische Schritt. Da wir bei Red Bull zu diesem Zeitpunkt noch keine konkreten Formel-1-Pläne hatten und es uns in erster Linie um die Unterstützung von Sebastians Karriere ging, vermittelte ich ihm ein Engagement als Testfahrer bei BMW. Das war 2006", schildert der Förderer. Vettel absolvierte Testfahrten für die Münchener, kam in Istanbul 2006 zu seinem ersten Einsatz im Freitagstraining.
Monza-Sieg 2008 als besonderer Schub
"Zwischen diesem Schritt und unserer ersten flüchtigen Begegnung auf dem Österreichring lagen gerade einmal knapp drei Jahre. Das zeigt die dramatisch schnelle Entwicklung dieses jungen Mannes zu einem Rennfahrer. Doch wie ich später merken sollte, war das alles erst der Anfang", sagt Marko. Vettel holte bei seinem ersten Renneinsatz für BMW (USA 2007) als Achter einen Punkt. Red Bull reagierte und setzte den Youngster ab dem Grand Prix in Ungarn in ein Toro-Rosso-Cockpit.
"Sein Vertrag mit BMW enthielt die Klausel, dass wir im Falle eines Formel-1-Engagements von Red Bull und unter bestimmten Leistungskriterien jederzeit das Vorrecht gehabt hätten, Sebastian als Fahrer für unser eigenes Projekt einzusetzen", erklärt der Red-Bull-Motorsportchef. BMW hatte versucht, um das junge Talent zu kämpfen, denn man war sich bewusst, dass man einen künftigen Weltmeister an der Angel hatte. Keine Chance: Bullen sind stärker als BMW.
Vettel war in seinem Vorwärtsdrang nicht mehr aufzuhalten. In seiner ersten vollen Formel-1-Saison sorgte er für die erste Sensation: Sieg beim Grand Prix von Italien in Monza im Toro Rosso. "Monza gab ihm eine neue, bisher auch uns nicht bekannte Form der Selbstsicherheit und hat ihn mental noch stärker stabilisiert", blickt Marko zurück. "Erstaunlich ist, dass seine Leistungskurve bei Red Bull bis heute ansteigt. In den vergangenen drei Jahren, den Jahren seiner drei WM-Titel, hat er noch intensiver dazugelernt."
"Für mich hat sich Sebastian längst zu einem absoluten Weltklassefahrer entwickelt. Das mag in Anbetracht von drei WM-Titeln sehr naheliegend klingen, ist es aber nicht", meint der Österreicher, für den zum Prädikat "Weltklasse" mehr gehört als nur ein schwerer Gasfuß. "Ein weiterer Pluspunkt von Sebastian ist, dass er sich auf der technischen Seite ebenso fordernd gegenüber den Ingenieuren und dem Team verhält, wie er es in Bezug auf sich und seine Leistung hält."
Vettel als zusätzlicher Sensor im Auto
Mit seinen klaren Ansagen bezüglich seiner technischen Wünsche macht sich Vettel keine Feinde. Im Gegenteil: Red-Bull-Designer Adrian Newey und sein Team sind froh, wenn sie klare Ansagen bekommen. "Das Tolle am Motorsport ist, dass es um eine Kombination von Mensch und Maschine geht. Man kann kaum bemessen, welcher Faktor wichtiger ist. Du kannst das beste Auto haben, aber mit einem schlechten Fahrer erreichst du auch dann nichts", sagt der britische Ingenieur gegenüber 'Autosport'.
"Die Beziehung zwischen einem Piloten und den Ingenieuren und Mechanikern ist enorm wichtig. Wir haben Hunderte von Sensoren am Fahrzeug, die alle möglichen Informationen liefern. Aber es kommt letztlich auf das Feedback der Fahrer an", sagt Newey. "Ein Pilot passt seinen Fahrstil oft an das jeweilige Fahrzeug an. In diesem Moment können dich die Daten der Sensoren in die Irre führen. Die Daten zeigen nur das Ergebnis, aber nicht die Ursache. Sebastian hat ein sensibles Gespür für gewisse Bereiche."
"Eine weitere Erklärung für seine großen Erfolge lautet ohne Zweifel, dass Sebastian sich schon zu Beginn seiner Karriere nie mit Mittelmaß zufrieden gegeben hat", meint Marko. "Ist er deswegen ein Streber, sozusagen ein Klassenprimus auf höchstem Niveau? Nein. Sebastian hat nur erkannt, auf was es ankommt. Dass es zu seinem Vorteil ist, wenn er die Angelegenheiten, die für ihn wichtig sind, umsichtig und mit Nachdruck angeht. Er war seinem Alter immer weit voraus."