Vettel: "Dieses Jahr war das schwierigste"

, 18.11.2012

"Der Weg ist das Ziel": Sebastian Vettel steht unmittelbar davor, zum dritten Mal Weltmeister zu werden, und vergleicht im Interview seine bisherigen Titelgewinne

Wenn Sebastian Vettel heute von der Pole-Position aus den Grand Prix der USA in Austin gewinnt und Fernando Alonso nicht mindestens Vierter wird, krönt sich der deutsche Red-Bull-Pilot im 100. Formel-1-Rennen seiner Karriere zum jüngsten Dreifach-Weltmeister der Geschichte. Und es würde sich ein Kreis schließen: In jenem Land, in dem er 2007 in der Königsklasse debütiert hat, kann er fünf Jahre später Champion werden. Kleine Randnotiz: Vettel wäre bei seinem dritten Titelgewinn jünger als Michael Schumacher bei dessen erstem WM-Triumph in Australien 1994.

Frage: "Sebastian, du bestreitest deinen 100. Grand Prix in jenem Land, in dem du 2007 dein Formel-1-Debüt gegeben hast. Eine entzückende Randnotiz, nicht wahr?"

Sebastian Vettel: "Ja, stimmt. Wenn du anfängst, kannst du nicht erahnen, dass du einmal 100 Grands Prix schaffen wirst, aber du erinnerst dich ans erste Rennen natürlich besser als an jedes andere. Ich war nach dem Rennen damals ziemlich platt und wusste, dass ich hart trainieren muss. Gleichzeitig wusste ich von da an aber auch, was ich im Leben tun will. Es war ein schöner Tag, eine schöne Erinnerung."

Frage: "Ausgerechnet in den USA kannst du jetzt in deinem 100. Grand Prix zum dritten Mal innerhalb von drei Jahren Weltmeister werden. Hast du es jemals zugelassen, diese Erfolge einwirken zu lassen, seit du begonnen hast, Rennen zu gewinnen und so erfolgreich zu sein?"

Vettel: "Bitte nicht falsch verstehen, aber als ich angefangen habe, war das Ziel natürlich nicht, irgendwann einmal ein Rennen zu bestreiten und darin Zehnter zu werden. Das Ziel war schon immer, ein Rennen in der Formel 1 zu gewinnen und dann auch Weltmeister zu werden. Das war der ultimative Traum meines Lebens."

Ein Schritt nach dem anderen

"Das geschafft zu haben, ist unglaublich und bedeutet mir viel. Man beweist sich damit wahrscheinlich am allermeisten sich selbst, und es im Vorjahr noch einmal geschafft zu haben, war fantastisch. Dieses Jahr habe ich die Chance, es ein drittes Mal zu schaffen. Jetzt vorherzusagen, wie sich das anfühlen würde, ist schwierig. Ich konzentriere mich auf jeden einzelnen Schritt, der dafür notwendig ist, um unsere Chancen zu maximieren."

Frage: "Ich schätze, Weltmeisterschaften zu gewinnen ist so, als würde man Rockalben schreiben: Das erste Album geht leicht von der Hand, das zweite ist schon schwieriger, aber das dritte ist dann richtig hart. Wie schwierig war dieses Jahr für dich mental und aus der Sicht des Rennfahrers, nicht nur im Hinblick auf die Weltmeisterschaft, sondern seit Saisonbeginn?"

Vettel: "Es war das schwierigste Jahr. Das vergangene Jahr war eine andere Geschichte. Im Nachhinein betrachtet könnte man sagen, dass wir dominiert haben. Es war eine reibungslose Saison, in der fast alles nach Plan gelaufen ist."

"Warum es so ein gutes Jahr war? Weil wir uns immer auf das Hier und Jetzt konzentriert haben, auf jeden einzelnen Schritt, der notwendig war, um zum gegebenen Zeitpunkt erfolgreich zu sein. Die einzelnen Rennen waren manchmal ziemlich knapp - viel knapper, als man sich heute erinnert. Jetzt blickt man zurück und denkt, dass es ein Spaziergang war, aber das war es nicht. Die Erwartungen, die wir vor dem vergangenen Jahr und ein bisschen auch vor diesem hatten, waren so, dass man nicht wissen konnte, was man kriegen würde. Das Ziel war, um die Weltmeisterschaft zu kämpfen."

Seit 2010 viel cleverer geworden

"Dieses Jahr war das schwierigste Jahr mit vielen Höhen und Tiefen. Ich finde, wir waren viel cleverer als vor zwei Jahren, als sich die Weltmeisterschaft ähnlich entwickelt hat. Wir haben weniger Fehler gemacht. Das ist mit ein Grund, warum wir jetzt zwei Rennen vor Schluss viel besser dastehen als vor zwei Jahren. Ich bin sehr glücklich darüber."

"Aber wenn du 99 Rennen gefahren bist, weißt du genau, wie schnell sich die Dinge ändern können - ein paar Stunden an einem Sonntagnachmittag reichen, um alles ganz anders aussehen zu lassen. Es gibt keinen Grund, jetzt schon aufgeregt zu sein. Zu diesem Zeitpunkt ist es wirklich wichtig für uns, mit beiden Füßen auf dem Boden zu bleiben und sich daran zu erinnern, was notwendig ist. Wir wissen das ja, denn wir haben schon einmal gewonnen. Man muss nur aufpassen, dass man nicht die vielen kleinen Schritte auf dem Weg dorthin vergisst."

Frage: "Was ist für dich befriedigender: Wenn du mit dem besten Auto immer ganz vorne bist oder wenn du um jede Position kämpfen, auch mal von ganz hinten nach vorne fahren musst?"

Vettel: "Du willst immer fighten und dann gewinnen. Angenommen, du legst mir jetzt einen Zettel her, und wenn ich den unterschreibe, bin ich Weltmeister. Wo bleibt da der Nervenkitzel, wo bleibt da die Aufregung?"

Saison besteht nicht nur aus einem Moment

"Es klingt vielleicht dumm, aber wenn ich auf 2010 zurückblicke, dann kommt einem natürlich der Moment in den Sinn, als ich über die Ziellinie gefahren bin. Es ist aber nicht nur dieser eine Moment, der dieses Jahr definiert. Es ist das ganze Jahr, alle Rennen zusammen, die eine Saison definieren. Darum macht es so viel Spaß. Es ist eine Reise."

"Natürlich ist es ein Happyend, wenn letztendlich das Ergebnis dabei rauskommt, das man sich gewünscht hat, aber man realisiert auch, dass der Weg das Ziel ist. Wir hatten dieses Jahr viele Höhen und Tiefen. Darum finde ich es toll, in der Situation zu sein, in der wir jetzt sind, und immer noch um die Weltmeisterschaft kämpfen zu können. Aber wie gesagt: Schwer zu sagen, wie es sich anfühlen wird, falls es hinhauen sollte."

Frage: "Reden wir über Abu Dhabi. Dir wurde oft vorgeworfen, dass du gewinnst, wenn du vorne wegfahren kannst, aber Fehler machst, wenn du von hinten angreifen musst. In Abu Dhabi bist du von ganz hinten gekommen - und das gleich zweimal. Wie fühlte es sich für dich im Auto an? Hat es so viel Spaß gemacht, wie es beim Zuschauen aussah?"

Vettel: "Ich war natürlich nicht glücklich, als ich im schlechtestmöglichen Moment wieder zurückfiel, gerade als das Safety-Car das Feld eingesammelt hatte! Versteh mich bitte nicht falsch, aber ich war trotzdem entschlossen, auf das Podium zu fahren. Vor dem Rennen haben mich einige deswegen ausgelacht. Ich will jetzt nicht wie ein ... klingen. Das Wort darf ich leider nicht sagen."

In Abu Dhabi nie ganz aufgegeben

Frage: "Dann würdest du Probleme mit der FIA bekommen."

Vettel: "Genau. Ich will also nicht zu klugscheißerisch klingen, aber das Ziel war immer da. Als ich am Morgen aufwachte, hatte ich das Gefühl, dass es ein guter Tag werden könnte, und ich wollte auf das Podium fahren."

"Es war innerhalb des Autos natürlich ein sehr aufregendes Rennen. Ich fightete jede Runde, holte das nächste Auto ein, ging daran vorbei, versuchte wieder, zum nächsten Auto aufzuschließen. Und wenn du dann den Führenden sehen kannst, wird dir klar, dass du richtig viele Autos überholt und immer noch eine Chance hast, noch ein, zwei zu überholen. Am Ende war es genauso: Es waren noch ein paar Runden zu fahren und ich hatte Jenson vor mir. Ich wusste, dass ich schneller war, und wollte ihn überholen."

"Einige hätten vielleicht zurückgesteckt und gesagt: 'Okay, vom letzten Platz auf Platz vier zu fahren, das reicht. Jetzt nehme ich die Punkte mit.' Aber ich habe nicht groß darüber nachgedacht, sondern war überzeugt, dass ich noch einen und noch einen Platz aufholen kann. Als ich die Zielflagge sah, war die Erleichterung groß, zu wissen, dass wir auf dem Podium waren und davor so viel Spaß hatten."

Großer Respekt vor Alonso

Frage: "Fernando ist dein Gegner, auch er kann hier zum dritten Mal Weltmeister werden. Man hat den Eindruck, zwischen euch herrscht großer Respekt, fast Freundschaft. Wie viel Spaß macht es, gegen Fernando um diesen Titel zu kämpfen, die ihr zwei der größten Rennfahrer eurer Generation seid?"

Vettel: "Es ist eine große Herausforderung. Ich respektiere ihn als Fahrer sehr."

"Er ist einer der besten Fahrer, die wir haben. Wenn du Speed, Beständigkeit, Cleverness im Auto bewertest, dann hat er viel Positives. Es wird sehr schwierig, vor ihm zu bleiben, aber ich weiß, dass wir eine große Chance haben. Es wäre definitiv etwas ganz Besonderes. Die Tatsache, dass er schon lange dabei und auch sehr erfolgreich dabei ist, macht es nicht einfacher, aber das ist wieder eine dieser Herausforderungen, nach der du suchst."

"Noch einmal der Vergleich: Wenn du mir ein Blatt Papier auf den Tisch legst und ich nur unterschreiben muss, um ihn zu schlagen, dann wäre es langweilig. Ich will nicht vorher wissen, was passiert. Deswegen sind wir ja hier, deswegen wollen wir es alle herausfinden."

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