Sebastian Vettel im Interview über die Bedeutung von WM-Titeln und Rennsiegen, über Buhrufe und Kritik sowie seine Zukunftsplanung
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Sebastian Vettel steht kurz vor seinem vierten WM-Titel. Mit 26 Jahren wäre der Red-Bull-Pilot der jüngste Fahrer der Formel-1-Geschichte, der sich viermal die Krone aufsetzt - noch dazu in Folge.
Im kleinen Kreis spricht Vettel über den Stellenwert eines WM-Titels im Vergleich zu einem Rennsieg, über die größte Befriedigung beim Fahren eines Formel-1-Boliden, über Buhrufe und Kritik an seiner Person und über seine Zukunftsplanung.
Frage: "Sebastian, am zurückliegenden Rennwochenende hast du sinngemäß gesagt, dass ein Rennsieg schöner sei als ein Titelgewinn. Wie hast du das gemeint?"
Sebastian Vettel: "Wenn man in der Startaufstellung steht, dann denkt man nur daran, das Rennen gewinnen zu wollen. Natürlich hat man über die gesamte Saison gesehen ein größeres Ziel. Normalerweise findet man recht schnell heraus, ob man um den Titel kämpfen kann oder nicht. Die Weltmeisterschaft hat sicherlich mehr Gewicht, aber ein Rennsieg ist trotzdem etwas anderes, denn man feiert ihn am selben Tag. Den Titel kann man nicht in einem Rennen gewinnen. Natürlich wird es unterm Strich ein Rennen geben, mit dem man den Titelgewinn sicherstellt. Man kann aber auch ein schlechtes Rennen haben, beispielsweise Siebter werden und trotzdem den Titel gewinnen. Das habe ich gemeint."
Frage: "In der Saison 2010 hast du den Titel mit einem Sieg sichergestellt. So gesehen war das doch perfekt oder?"
Vettel: "Ja, aber damals war es schwierig. Es hat Zeit gebraucht, das zu realisieren. Egal, ob man den Titel gerade gewonnen oder verloren hat: Es ist, als würde man auf eine Mauer treffen. Plötzlich ist es vorbei und der ganze Druck fällt ab, nachdem man sich vorher so lange damit beschäftigt hat und immer auf das nächste Rennen vorausgeblickt hat."
Frage: "Du hast kürzlich erwähnt, dass du dir bei deiner ersten Formel-1-Testfahrt beinahe in die Hosen gemacht hast. Wann hattest du das letzte Mal Angst im Auto?"
Vettel: "Ich würde es nicht Angst nennen, aber es ist natürlich unmöglich, nach all den Jahren dasselbe zu empfinden wie beim ersten Test. Wenn ich heute ins Auto einsteige, weiß ich, was mich erwartet: Ich kenne die Leistung des Autos und weiß, wie schnell ich eine Kurve durchfahren kann. Als ich das allererste Mal ein Formel-1-Auto fuhr, war ich wirklich verängstigt. Es war einfach viel extremer als man sich vorstellen konnte."
"Inzwischen ist es anders, weil man einfach eine gewisse Erwartung hat und diese dann bestätigt wird. Dennoch hat man immer einen gewissen Respekt. Es gibt auch heute noch Momente, in denen ich mich überwinden muss, speziell in schnellen Kurven wie etwa im ersten Sektor von Suzuka. Wenn es schiefgeht, ist das nicht gut. Wenn es aber gutgeht, fühlt es sich einfach fantastisch an. Grundsätzlich versuchen wir natürlich immer, das Limit auszuloten."
Das spezielle Gefühl im Formel-1-Cockpit
Frage: "Was ist für dich die größte Befriedigung beim Fahren?"
Vettel: "Das ist schwer zu sagen. Ich denke, es ist einfach das Gefühl, das Auto zu spüren - gerade auf einer Strecke wie Suzuka mit ihren vielen schnellen Kurven. In einer Haarnadelkurve kann man vielleicht spät auf die Bremse gehen und hat am Ausgang eine fantastische Traktion. Das ist aber nicht mit dem Gefühl zu vergleichen, das man in einer schnellen Kurve mit 250 oder 260 km/h im fünften Gang und mit dem Gefühl der Querbeschleunigung hat. Das ist schon sehr befriedigend."
"Doch es gibt noch andere Arten der Befriedigung: Zum einen, wenn man im Qualifying die perfekte Runde hinlegt und in jeder einzelnen Kurve das Optimale herausholt. Das fühlt sich großartig an. Zum anderen, wenn man im Rennen viele Runden hintereinander konstant unterwegs ist und keine Fehler macht. Schließlich noch, wenn man aus einem Zweikampf mit einem anderen Fahrer als Sieger hervorgeht."
Frage: "Fährst du seit Saisonmitte einfach besser oder woran liegt es, dass du laufend gewinnst?"
Vettel: "Ich weiß es nicht. Dazu müsste man die anderen befragen. Grundsätzlich braucht man in der Formel 1 natürlich das richtige Auto, um gewinnen zu können. Daran besteht kein Zweifel. Doch ganz so einfach ist es nicht. Wichtiger ist es, dass das Gesamtpaket stimmt. Das Team muss sich in guter Verfassung befinden und der Fahrer muss auf der Strecke seine Leistung abliefern. Es muss einfach alles zusammenpassen. Wir waren in der ersten Saisonhälfte sehr gut, wenn es darum ging, das Auto zu verstehen, darauf zu reagieren und das Setup im Detail zu verbessern. Bei den zurückliegenden Rennen waren wir einfach sehr fokussiert und haben es immer geschafft, das Auto am Samstag noch besser zu machen als es am Freitag war. Unterm Strich sind es Kleinigkeiten wie diese, die den Unterschied ausmachen."
Frage: "Du hast kürzlich erwähnt, wie sehr dir die Formel-1-Historie am Herzen liegt. Inwiefern beschäftigst du dich mit den Dingen, die im Hintergrund laufen - Stichwort Concorde-Agreement, Geldverteilung und so weiter?"
Vettel: "Um ehrlich zu sein, interessiert es mich mehr, was die Fahrer auf der Strecke geleistet haben. Wo zu welchem Zeitpunkt welches Geld geflossen ist, interessiert mich nicht so sehr. Natürlich hat auch das Auswirkungen auf den Sport, aber vielleicht bin ich einfach noch zu jung oder andererseits zu altmodisch. Für mich stehen einfach die Helden im Vordergrund."
Buhrufe kein Problem, wenn...
Frage: "In jüngster Vergangenheit gab es viele Buhrufe und Kritik bezüglich deiner Fingergeste. Wie reagierst du darauf?"
Vettel: "Es ist natürlich nicht schön. Andererseits ist es nicht so, dass ich da draußen unterwegs bin, weil es mein Ziel wäre, dass mich die Leute mögen. Es natürlich schön, wenn man positive Rückmeldungen bekommt, aber man muss die Dinge richtig einordnen. Was ich damit sagen will: Wenn es Buhrufe gibt, dann buhen ja nicht alle. Sagen wir mal, es sind hundert Leute. Von denen buhen zehn und neunzig jubeln. Dann sprechen alle über die zehn, aber keiner spricht über die neunzig, die glücklich waren."
"Unterm Strich kommt es darauf an, mit sich selbst im Reinen zu sein. Wenn man selbst mit seiner Leistung zufrieden ist und es trotzdem Leute gibt, die buhen, dann ist das kein Problem. Ich würde ohnehin sagen, dass es ein Luxusproblem ist. Wenn ein und derselbe Fahrer wieder und wieder gewinnt, dann gefällt das den Leuten nun mal nicht. Doch letzten Endes muss man die Leistung anerkennen und respektieren, auch wenn man es nicht mag. Wir haben in den vergangenen drei Jahren viele Rennen gewonnen. Natürlich ist man da als Ferrari-Fan nicht gerade glücklich, zumal es zweimal sehr knapp war. Ich bin mir aber sicher, wenn Fernando (Alonso; Anm. d. Red.) die nächsten 30 Rennen allesamt gewinnen würde, dann würde es leider auch Leute in Red-Bull-Shirts geben, die buhen."
Frage: "Was war der letzte Kauf, für den du richtig viel Geld ausgegeben hast?"
Vettel: "Das weiß ich gar nicht mehr. Ich kaufe jedenfalls keine Handtaschen, denn es könnte die falsche sein (lacht; Anm. d. Red.). Ich mag Werkzeuge und Dinge, mit denen man draußen hantieren kann. Ich habe mir eine Kettensäge gekauft. Sie war zwar nicht gerade teuer, aber das ist es, was mir auf Anhieb einfällt."
Frage: "Hast du überhaupt eine Ahnung, wie viel Geld du hast?"
Vettel: "Ich weiß es nicht. Wenn man einen 26-Jährigen fragt, wie viel Geld er hat, bekommt man wahrscheinlich nicht unbedingt eine ehrliche Antwort. Man hat aber natürlich eine ungefähre Vorstellung. Ich bin sehr glücklich mit dem, was ich habe und mit der Situation, in der ich mich befinde. Das weiß ich zu schätzen."
Frage: "Hast du dich schon jemals dabei erwischt, wie du gedacht hast, 'Wow, ich bin 26 Jahre alt und habe schon so viel erreicht'?"
Vettel: "Nein. Natürlich blickt man von Zeit zu Zeit zurück. Grundsätzlich denke ich aber, dass es besser ist, nach vorn zu schauen. Ich habe schon oft gesagt, dass ich hoffe, den besten Tag meines Lebens noch vor mir zu haben. Es wäre doch schade, wenn ich mit 26 sagen würde, der beste Tag meines Lebens liegt drei Jahre zurück. Mir stehen noch einige Jahre bevor. Ich denke, man sollte immer etwas haben, auf das man sich freut."
Frage: "Möchtest später irgendwann einmal Kinder haben?"
Vettel: "Babys kosten Geld (lacht; Anm. d. Red.). Im Ernst: Ich denke, ich habe noch etwas Zeit. Im Moment ist das noch zu weit weg. Wenn ich an meine eigene Kindheit zurückdenke, dann weiß ich es zu schätzen, dass meine Eltern viel Zeit mit mir verbracht haben. Ich denke, Zeit ist das Beste, was man Kindern geben kann - ganz gleich, was sie später einmal werden wollen."