Weltmeister Sebastian Vettel beschreibt Empfindungen und Handlungen im Cockpit: Das Gefühl für die Zehntelsekunde und das Spiel "Runde für Runde"
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Die Piloten der Formel 1 sind abseits der Cockpits womöglich Gewohnheitsmenschen, beim Rennfahren jedoch ist ständige Anpassung an neue Bedingungen gefragt. In jeder einzelnen Runde eines Grand Prix ändern sich gleich mehrere Faktoren: Zustand der Reifen, Gummibelag auf der Strecke, Gewicht des Fahrzeuges, Wind und Luftströmungen aufgrund von anderen Fahrzeugen zum Beispiel. Konsequenz: Die Piloten sind enorm gefordert, können niemals ein "Standardprogramm" abspulen.
"Würde man all die Änderungen, die man während eines Rennens vornimmt, protokollieren, dann ergäbe das mehrere Seiten", erklärt Sebastian Vettel im Interview mit dem 'Red Bulletin'. Es sei ständige Wachsamkeit, immer wieder neue Anpassung des Fahrstils gefragt. Allein der Verschleiß der Reifen bringt in jeder einzelnen Runde neue Vorgaben mit sich. "Dann heißt das, dass ich nicht mehr am gleichen Punkt bremsen kann, weil ich sonst rausfliege", sagt der Champion.
"Ich könnte jetzt langsamer werden, was ich aber nicht will. Daher muss ich die Situation mit jenen Parametern, die ich aktiv beeinflussen kann, lösen", erklärt Vettel. Das Spiel mit dem Gaspedal, das Drehen am Lenkrad, das Betätigen der Bremse, der Schaltpunkt wird immer angepasst. Zusätzlich nutzen die Piloten die Verstellmöglichkeiten im Auto. Die Bremsbalance wird verändert, oder ein anderes Mapping für den Betrieb des Motors gewählt.
Eine Zentelsekunde ist "viel Zeit"
"Das ist das Spiel. Das spielen wir Runde für Runde, Kurve für Kurve", meint der Red-Bull-Star. Konkret beschreibt er: "Lassen die Vorderreifen nach, dann kann ich nicht mehr so viel Tempo mit in die Kurve nehmen. Ich muss also versuchen, spitzer in die Ecke zu fahren, stärker zu bremsen, stärker einzulenken und früher wieder auf das Gas zu gehen, um die tatsächliche Kurvenphase, in der ich Grip auf der Vorderachse brauche, möglichst kurz zu halten."
Ein Display im Cockpit zeigt die jeweiligen Rundenzeiten an. Hier wird deutlich, ob die schnelle Anpassung an veränderte Verhältnisse etwas gekostet hat oder nicht. Vettel braucht das Display nicht einmal. Das Gespür für die Rundenzeit ist extrem ausgeprägt. "Ja, eine Zehntelsekunde ist viel Zeit", meint er. Im Kopf des Piloten tickt die Stoppuhr mit, das Empfinden für die Geschwindigkeit ist hingegen fast komplett ausgeschaltet. "Man hört nur den Motor. Und der klingt in jedem Gang gleich."
Zum ständigen Justieren des Fahrstils gehört nicht nur das feine Gespür in Händen und Hintern ("Popometer"). Vor allem bei der Fahrt im dichten Verkehr ist Erfahrung gefragt. Dann, wenn vorausfahrende Autos regelrechte Luftlöcher aufreißen. "Man sieht diese 'Dirty Air' nicht. Ist ja nicht so, dass sich die Luft hinter dem Vordermann grün einfärben würde. Das muss man zu einem gewissen Grad erahnen", schildert Vettel, der die Erlebnisse aus einem Rennen nur bruchstückhaft an Beispielen darstellen kann.
Wie könnte man einem Laien dieses Erlebnis noch näher bringen? Mit einer Taxifahrt im Renntempo. "Es fallen einem natürlich Menschen ein, denen man seine Arbeit mal zeigen möchte", sagt der Weltmeister, der sich allerdings nicht sicher ist, ob er dies jemandem zumuten möchte. "Die Schläge, die Fliehkräfte, das Balancieren am großen Unfall, das Unglamouröse bei der tatsächlichen Arbeit: Vielleicht ist es gut, dass sich die Frage nicht stellt. Vielleicht bekämen sie Angst um mich."