Vettel vs. Button: Hart, aber gerecht

, 22.07.2012

Nur Red Bull kann die Strafe gegen Sebastian Vettel nicht verstehen, doch ansonsten sind sich die Experten einig, dass die FIA-Kommissare richtig entschieden haben

Anstatt endlich seinen Deutschland- und Juli-Fluch zu beenden, verlor Sebastian Vettel heute in Hockenheim am Grünen Tisch auch noch seinen auf der Strecke herausgefahrenen zweiten Platz. Denn beim Überholmanöver gegen Jenson Button in der vorletzten Runde verließ er mit allen vier Rädern die Strecke, was einen unwiderlegbaren Verstoß gegen das Reglement darstellt.

"Verlassen der Strecke mit vier Rädern, also über die weiße Linie drüberfahren, ist okay, wenn du keinen Vorteil hast. Wenn du einen Vorteil hast, ist es nicht okay", erläutert Alexander Wurz, für die FIA gelegentlich als Rennkommissar im Einsatz und somit bestens mit den sportjuristischen Tatsachen vertraut. "Dann müsstest du dich zurückfallen lassen, auf deinen Vorteil verzichten. Das hat er nicht gemacht."

Wäre aber im Nachhinein betrachtet deutlich klüger gewesen, denn selbst Button gibt zu: "Da meine Hinterreifen am Ende waren, hätte er sicherlich in den verbleibenden zwei Runden die Chance gehabt, mich zu überholen." Red Bull entschied sich aber dagegen, Vettel via Funk anzuweisen, die Position freiwillig zurückzugeben - und der hätte so eine Anweisung seines Renningenieurs Guillaume Rocquelin wohl auch nicht ohne Zähneknirschen zur Kenntnis genommen.

Vettel ist sich keiner Schuld bewusst

Denn der auf den fünften Platz rückversetzte Lokalmatador ist überzeugt davon, nichts falsch gemacht zu haben: "Ich wusste nicht, ob Jenson noch innen ist oder nicht, und habe dann genug Platz gegeben, weil man den Fahrer auf der Innenseite in dem Moment nicht wirklich sieht. Ich habe mich dann entschieden, die Strecke zu verlassen. Meine einzige Absicht war, ihm genug Platz zu lassen", argumentiert Vettel.

Sein Teamchef Christian Horner nimmt den Weltmeister der vergangenen beiden Jahre ebenfalls in Schutz: "Jenson ist ein bisschen über die Linie hinausgerutscht und hat Sebastian keinen Platz gelassen. Da kann er sich ja nicht einfach in Luft auflösen. Wir erleben es ständig, dass Autos die Strecke verlassen. Ich glaube nicht, dass er durch dieses Manöver einen unfairen Vorteil erlangt hat. Für mich war es ein normaler Rennzwischenfall."

Bei McLaren sieht man die Sache naturgemäß anders: "Hätte er die Strecke nicht verlassen, hätte er das Überholmanöver nicht abschließen können. Die Kommissare sahen es genauso und haben ihn deshalb bestraft", sagt Sportdirektor Sam Michael. Oder, in anderen Worten: Wäre in der Spitzkehre eine Mauer anstelle einer asphaltierten Auslaufzone gewesen, hätte Vettel zurückstecken müssen - und zwar ohne irgendeine Diskussion.

Michael applaudiert den Kommissaren

"Jenson ließ ihm jede Menge Platz und drängte Vettel überhaupt nicht von der Strecke", gibt Michael weiter zu Protokoll. "Vettel traf seine Entscheidung schon sehr früh. Bereits am Scheitelpunkt der Kurve entschied er sich dafür, die Rennlinie zu verlassen. Es war kein Bemühen seinerseits erkennbar, auf der Strecke zu bleiben. Aus diesem Grund trafen die Kommissare die Entscheidung im Sinne von Jenson."

Experte Marc Surer, eigentlich kein Freund von asphaltierten Auslaufzonen, ergreift für Vettel Partei: "Im Zweifelsfall sollte man, anstatt eine Kollision zu riskieren, auch dort hinausfahren dürfen." Und McLaren-Testfahrer Gary Paffett findet, dass es eine "grenzwertige" Entscheidung war: "Seb hat offensichtlich zu viel DTM geschaut: Verwende die ganze Strecke und ein bisschen mehr, wenn nötig", twittert der Tourenwagen-Stammfahrer nicht ohne Selbstironie.

Vergleich mit der DTM nicht zulässig

Tatsächlich ist es in der DTM Usus, dass sich die Fahrer weiter neben die Streckenbegrenzung treiben lassen als in der Formel 1 - besonders in der ersten Kurve und bei der Ausfahrt aus der Spitzkehre. Aber DTM ist eben nicht Formel 1: "Meiner Meinung nach holte sich Sebastian die Position, indem er neben der Strecke voll beschleunigte. Das Einfachste wäre es gewesen, hätte er seine Position sofort wieder an Jenson abgetreten", findet Damon Hill.

Auch für Button ist klar: "Die weiße Linie ist nun mal die Streckenbegrenzung." Trotzdem meint Horner, dass "die Strafe dem Vergehen nicht angemessen" ist, "aber leider war die 20-Sekunden-Strafe die einzig mögliche, die die FIA in ihrem Reglement vorgesehen hat". Denn weil Vettel nicht sofort reagiert und die Position wieder aufgegeben hat, war nur noch eine Durchfahrstrafe möglich. Kann die nicht während des Rennens angetreten werden, werden 20 Sekunden aufaddiert.

Trotz der Meinungsverschiedenheit - zwischen zwei Rennfahrern bei solchen Zwischenfällen quasi ein gottgegebenes Naturgesetzt - gibt es keinen Stunk: "Ich kenne Jenson ziemlich gut und glaube, wir kommen ziemlich gut miteinander aus. Da herrscht beidseitiger Respekt", hält Vettel fest. Das konnte man auch vor und nach der Siegerehrung sehen, als die beiden trotz der strittigen Situation völlig entspannt miteinander umgingen.

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