Weltrekord-Pilot Raphanel: "Die Formel 1 braucht Grenzen"

, 14.09.2012

Als Jungspund konnte es Pierre-Henri Raphanel nicht schnell genug gehen, heute hält er die technische Bändigung der Höchstgeschwindigkeiten für sinnvoll

Wenn Pierre-Henri Raphanel am Wochenende in Oschersleben als Promi-Gaststarter im Volkswagen Scirocco R-Cup ins Lenkrad greift, muss er sich an Schneckentempo gewöhnen. Denn der Franzose ist als Bugatti-Testfahrer mit Geschwindigkeiten vertraut, die selbst viele seiner Motorsportkollegen in ihrem Leben nicht erreicht haben. Durchschnittlich 431,072 Stundenkilometer fuhr Raphanel bei seinem Weltrekord für straßenzugelassene Serienfahrzeuge im Veyron 16.4 Super Sport.

Es war eine Grenzerfahrung, die der Ex-Formel-1-Fahrer auf dem Volkswagen-Testgelände in Ehra-Lessien machte. "Diese Geschwindigkeiten", grübelt er im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com', "sogar, wenn man das beste Auto der Welt hat, ist es nichts, was man jeden Tag machen will. Man spielt am Limit und das liegt ziemlich hoch", sagt Raphanel. "Man fährt 120 Meter in der Sekunde - mehr als ein ganzes Fußballfeld. Und das 20 Sekunden lang. Es ist also schnell und dauert."

Höchstgeschwindigkeit als mentale Aufgabe

Aber ist ein solches Rekordtempo auch das, was der Motorsport braucht? Muss etwa die Formel 1 die technischen Grenzen voll ausreizen? "Du bist mehr Passagier als Fahrer. Als Rennfahrer muss man aber die Kontrolle über das haben, was man tut", warnt Raphanel. "In dieser Situation hast du diese Kontrolle aber nicht mehr, versuchst sanft zum Auto zu sein. Es ist eine mentale Aufgabe, die es in einem Rennen so nicht gibt. Du fährst geradeaus, es ist nicht schwierig", so der 51-Jährige.

Raphanel weiß, dass diese Geschwindigkeiten keine Fehler erlauben, gerade die gehören im Motorsport aber dazu. "Es darf nichts schief gehen, da man nicht korrigieren kann - sonst schlägt man massiv ein." Technisch wären in einem Formel-1-Boliden ähnliche Werte denkbar, wie der Weltrekord der damaligen Honda-Mannschaft im Geschwindigkeitsmekka Bonneville in der Salzwüste Utahs zeigte: 397,481 Stundenkilometer im Mittel fuhr Alan an der Merwe im Jahr 2006 - ohne Heckflügel.

Unbekümmert nur als junger Rennfahrer

Raphanel erklärt, warum die FIA dem einen Riegel vorschieben will. "Man versucht, die Geschwindigkeiten niedriger zu halten, weil es ohne Regeln und Limits immer nur höher, höher, höher ginge", so der Mann, der 1989 in Monaco seinen einzigen Formel-1-Grand-Prix bestritt und sich für Lola, Coloni und Rial 17 Mal zu qualifizieren versuchte. Es gibt auch eine Kehrseite der Medaille: "Die Leute fasziniert die Geschwindigkeit. Es gibt Autos, die ganz andere sind als vor 20 Jahren", argumentiert er.

Als Motorsport-Rentner glaubt er eine distanziertere Sichtweise als die aktiven Jungspunde zu haben: "So war das in Le Mans mit der Hunaudieres-Geraden - da haben sie eine Schikane eingebaut. Ich habe mich damals gefragt, warum das gemacht wird? Um die Geschwindigkeit zu reduzieren?", erinnert sich Raphanel, der 13 Mal am 24-Stunden-Klassiker teilnahm. "Damals war ich jünger und habe argumentiert, dass man nicht Le Mans fährt, wenn man es zu gefährlich hält."

Flexible Regeln wirkungsvoller als starre

Im zarten Alter von 54 Jahren sieht er die Dinge mit anderen Augen: "Mit mehr Erfahrung sage ich, dass man Regeln braucht, die Fahrer für gewöhnlich nicht mögen. Aber sie sind nötig, um Kraft und Geschwindigkeit im Zaum zu halten." Technische Regeln, meint Raphael. Denn wenn es um sportliche geht, schlägt das Rennfahrerherz doch wieder. "Das Problem ist, dass mehr Strafen weniger Action zulassen. Der Clou besteht darin, die Grenze zu kennen", meint er.

Und so hält es Raphanel für unabdingbar, dass Sportkommissare Fingerspitzengefühl beweisen. "Gibt es zu viele Strafen, tut man gar nichts mehr, überholt höchstens noch, wenn man sich zu 150 Prozent sicher ist." Die Konsequenz, die er zieht, ist eine andere, als sie mit dem Ruf nach verbindlichen Richtlinien für Zweikämpfe oft gefordert wird. Es muss weiter Möglichkeiten der Interpretation geben, nicht nur starre Regeln. Fehler gehören dazu", meint Raphanel.

Mehr Gefühl bei niedrigeren Geschwindigkeiten

Eingegriffen werden soll nur dann, wenn es "vorsätzlich oder gefährlich ist", findet der schnellste Serien-Sportwagenfahrer der Welt. Konkret bedeutet das die Suche nach der goldenen Mitte: "Es geht darum, einen Kompromiss zu finden. Vielleicht war der Start in Monza zu passiv, der in Spa-Francorchamps zu aggressiv. Die Mitte wäre gut für den Motorsport." Das allerdings liegt längst hinter Raphanel, der für den Gaststart als Promi im Volkswagen Scirocco R-Cup ein Comeback nach zwölf Jahren Rennabstinenz wagt.

Auch, wenn in Oschersleben im Volkswagen Scirocco R keine Rekordgeschwindigkeiten möglich sind: "Wenn man gewohnt ist, den Bugatti zu fahren, der das Vierfache an Pferdestärken hat, da ist man von nichts mehr beeindruckt. 1200 PS zu kontrollieren - bekämpft man ganz andere Kräfte als im frontgetriebenen Scirocco, der aber herausfordernder ist", erklärt Raphanel, der dem handlichen Bio-Erdgas-Renner dennoch etwas abgewinnen kann. "Wenn ich Motorsport erleben will, ist der Scirocco das bessere Auto."

Der Volkswagen Scirocco R-Cup, das ist wieder etwas für die französische Rennfahrerseele, der Bugatti Veyron 16.4 Super Sport hingegen der ultimative Kick. "Für mich war es eine Herausforderung, schließlich aktiviert es das Adrenalin wie kaum etwas anderes. Ich kann schließlich keinen Weltmeistertitel mehr gewinnen", sagt der dreimalige Podiumsgast in Le Mans. und resümiert: "Der Bugatti ist kein Rennwagen, sondern für die Straße gebaut." Ein Pierre-Henri Raphanel aber eben auf Dauer nicht.

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