Kimi Räikkönen ist dafür bekannt, nichts von sich preiszugeben - Hier verraten Familie und Freunde so manches Geheimnis über den Mann hinter der dunklen Sonnenbrille
© Foto: Lotus
Ein Interview mit Kimi Räikkönen - das ist für Journalisten eine der größten Herausforderungen, die es im Formel-1-Fahrerlager gibt. Als der Finne 2001 bei Sauber debütierte, meinten böse Zungen, dass der damals 21-Jährige nur drei englische Aussagen beherrsche: "Yes", "No" und "I don't know". Dennoch zählt der nunmehrige Lotus-Pilot zu den interessantesten Persönlichkeiten in der "Königsklasse" - eben, weil er sich nicht verbiegen lässt und es ihm egal ist, wie die Öffentlichkeit über ihn denkt. Und weil er einer der letzten Piloten ist, der den alten Rennfahrertypus verkörpert - ein Vollgastier, das auch dem Zigaretten- und Alkoholkonsum nicht abgeneigt ist.
Und weil er eben selbst nicht besonders auskunftsfreudig ist, zahlt es sich aus, sich in seinem Umfeld umzuhören, um der Person Kimi Räikkönen auf die Spur zu kommen. Schon in seiner Kindheit waren bei ihm die Züge erkennbar, die ihn heute zu einem der schnellsten Rennfahrer der Formel 1 machen.
Wegen seiner Coolness hatte ihn Ex-McLaren-Teamchef Ron Dennis einst "Iceman" getauft - und selbst seine Mutter Paula Räikkönen kann sich nur an ein einziges Mal erinnern, als ihr Sohn die Fassung verlor - damals war er sechs Jahre alt. Schauplatz war eine Klinik, wo er mit seiner Mutter vor der Routineuntersuchung etwas warten musste. Als sich seine Mutter und der Arzt schließlich unterhielten, wand sich ihr Sohn plötzlich verstört von den Spielsachen ab und biss aufgeregt an seinen Fingernägel.
Als ein kleiner Junge die Fassung verlor
Dem Doktor fiel das ungewöhnliche Verhalten des Kindes auf. "Er dachte, dass Kimi vielleicht ein Konzentrationsproblem hat", erinnert sich Paula Räikkönen, "dabei lag es nur an den Spielsachen." Doch rechtfertigen die falschen Spielsachen bei einem Kind tatsächlich eine derartige Reaktion? Kimi Räikkönen war schon damals anders, bestätigt seine Mutter.
"Damals interessierte sich Kimi für Puzzles, und die Puzzles, die es in der Klinik gab, waren für ihn zu einfach", sagt sie. "Dann sah er ein Puzzle für Ältere - für 10- bis 15-Jährige -, aber er kam nicht ran. Der Assistent des Doktors gab es ihm nicht und sagte, dass das für ältere Kinder ist und nicht für ihn." Doch wie so oft bekam der kleine Kimi Räikkönen am Ende doch, was er wollte: "Er fügte die Puzzleteile zusammen und lächelte", blickt seine Mutter mit Stolz zurück. "Der Doktor lachte. Er war nun überzeugt, dass dieses Kind keinerlei Konzentrationsprobleme hatte."
Seine Sturheit machte es seinem Umfeld nicht immer leicht - das erforderte schon seiner Mutter in Räikkönens Kindheitstagen einiges ab: "Er geht immer seinen eigenen Weg. Was auch immer du tust, du kannst ihn nicht davon abbringen, wenn er einmal eine Entscheidung getroffen hat." Sie erzählt eine Anekdote: "Als er ein kleines Kind war und ich wollte von ihm, dass er mir im Haushalt hilft - zum Beispiel, dass er den Müll raustragt - und ich sah, dass er das nicht tun möchte, dann musste ich ihn von der anderen Seite fragen. Ich sagte also zu ihm: 'Lass den Müll stehen, ich werde es selber machen'. Meistens machte es Kimi dann."
Mit "Sisu" in die Formel 1
Schon früh wurde Räikkönens Leidenschaft für den Motorsport offensichtlich - bereits als Sechsjähriger lernte er das Autofahren. Ein paar Jahre später sorgte der Junge aus Espoo bereits bei Kartrennen in Finnland für Aufsehen. Während seine Eltern Mühe hatten, sein Talent einzuschätzen, wurde sie bald von anderen Eltern auf ihren Sohn angesprochen. "Die ersten ermutigenden Zeichen gab es, als Kimi zehn Jahre alt war und in den Junioren-Go-Kart-Klassen in Finnland antrat", erzählt seine Mutter. "Ein Vater eines Konkurrenten - er hatte viel Erfahrung als Mechaniker seines Sohnes - begann zu fragen: 'Wer ist dieser Junge mit der Nummer 104?'. Er sagte, dass er es mit dieser Einstellung und mit diesem Speed weit bringen würde - und er hatte recht."
Was er damit meinte? "Er hatte einen irren Siegeswillen und gab nie auf - das ist Kimi", erklärt Paula Räikkönen, dass die Charaktereigenschaften ihres Sohnes schon damals stark ausgeprägt waren. "Seit er Rennen fährt, dreht er so lange am Lenkrad, solange sich die Räder drehen. Ich denke, das ist dieser typisch finnische, hartnäckige Kampfgeist, denn wir 'Sisu' nennen."
So gut Paula Räikkönen ihren Sohn kennt, so sehr gelingt es ihm aber nach wie vor, sie zu überraschen. Dass der nach zwei Jahren in der Rallye-WM in die "Königsklasse" des Motorsports zurückkehren würde, drang lange nicht zu ihr durch: "Es war eine Überraschung. Seine Freunde erzählten mir, dass er genug hatte von der Formel 1, aber plötzlich kehrte er zurück. Ehrlich gesagt war ich erstaunt. Kimi spricht mit mir nie über seine Arbeit, wenn ich ihn nicht zuerst frage, aber ich hatte einige Gerüchte über Verhandlungen mit Williams gehört und fragte ihn darüber. Er antwortete, dass er zu Lotus gehen würde, weil es für ihn die bessere Wahl ist."
Kimi, der Familienmensch
Räikkönen liebt die Konkurrenz. Davon kann auch sein Bruder Rami Räikkönen, der als Rallyefahrer ebenfalls im Motorsport tätig ist, ein Liedchen singen. Zumal er als Familienvater von seinen zwei Söhnen Justus und Tiitus ständig an seine eigene Kindheit erinnert wird. "Die Jungs sind auf eine gewisse Art und Weise wie ich und Kimi es waren", fällt ihm auf. "Sie konkurrieren auf jede erdenkliche Weise."
Kimi Räikkönen ist Patenonkel von Justus, dem älteren der beiden - und überrascht mit seinem Familiensinn. "Kimi rüstet die beiden stets mit allerhand Rennfahrersachen für Kinder aus", gibt Rami Räikkönen Einblicke. Auch die beiden Brüder sind nach wie vor in engem Kontakt: "Wir sprechen fast jede Woche miteinander, spielen Eishockey und betreiben gemeinsam Sport. Wir haben natürlich beide unsere Arbeit, und das benötigt Zeit. Vor allem Kimi arbeitet und reist sehr viel."
Formel-1-Comeback überraschte Familie und Freunde
Die vielen Reisen rund um den Erdball sind nicht nur anstrengend, sie erfordern auch Anpassungsfähigkeit. Und damit ist Kimi Räikkönen definitiv gesegnet. Das bewies er bereits als Rookie 2001, als er mit nur 23 Autorennen Erfahrung den Sprung in die "Königsklasse" wagte und auf den neuen Strecken nach nur wenigen Runden mit enormen Speed aufhorchen ließ - eine Eingewöhnungsphase schien das Naturtalent aus dem hohen Norden nicht zu benötigen.
Das bestätigt auch sein langjähriger Weggefährte Toni Vilander - die beiden lernten sich als zehnjährige Kartfahrer kennen und verbrachten auch den Wehrdienst gemeinsam. 2012 sicherte sich Vilander mit Ferrari den WEC-WM-Titel in der GT-Klasse. "Kimi ist Kimi", fällt auch ihm kein Mensch ein, mit dem man seinen Kumpel vergleichen könnte. "Egal, wie unterschiedlich die Autos, die Reifen und die Regeln sind - er braucht nur ein paar Runden, und er befindet sich innerhalb einer Sekunde mit den Schnellsten. Das hat er auch zu Beginn seiner Lotus-Ära gezeigt."
Dass Kimi Räikkönen, der übrigens auch Patenonkel von Vilanders Sohn Luukas ist, ein Formel-1-Comeback beim Team aus Enstone geben würde, hielt auch er zunächst für ausgeschlossen: "Als er aufhörte, da hatte er so die Nase voll von der Formel 1. Er hat immer wieder gesagt: 'Nie Wieder!'. Es war vielleicht gut, dass er dann etwas Distanz zu allem hatte und etwas anderes getan hat, wie das Rallyefahren. Das ändert deine Denkweise."
Der James Hunt der Gegenwart
Dass er nun wieder in der Formel 1 Gas gibt, hat auch etwas mit seinem Umfeld zu tun: Bei Lotus fühlt er sich wohler als noch bei Ferrari oder McLaren, wo er den Großteil seine Karriere verbracht hat. Er genießt den Freiraum, nicht ständig PR-Termine wahrnehmen zu müssen und sich so geben zu dürfen, wie er eben ist.
Diesen Eindruck hat auch Uffe Tägtström, sein langjähriger Helmdesigner. Er weiß, dass Räikkönen seinen eigenen Kopf hat. "Ich würde nicht sagen, dass er sehr künstlerisch ist, aber er weiß, was er will. Und er ist sehr modebewusst. Er passt zu seiner Generation", beschreibt er eine wenig bekannte Facette des Formel-1-Piloten. "Manchmal passiert es, dass Kimi etwas an seinem Helmdesign verändert, und es dauert nicht lange, und man sieht die gleiche Idee auch auf dem Helm eines anderen."
Für Aufsehen sorgte dieses Jahr in Monaco vor allem das James-Hunt-Design, mit dem Räikkönen an den Start ging. Der verwegene Brite galt wie Räikkönen als Lebemann, der gerne einen über den Durst getrunken hat - bei einem Kartrennen trat der Finne einmal sogar unter dem Pseudonym seines Idols an. Helmdesigner Tätström verrät nun, dass Räikkönen die Idee, mit Hunts Farben anzutreten, schon länger mit sicher herumträgt, aber erst bei Lotus die Möglichkeit hatte, dies auch umzusetzen: "Bei McLaren oder Ferrari gab es keine Gelegenheit, aber im Vorjahr passte es perfekt und auch das Feedback war großartig", freut sich Räikkönens Vertrauter. Das gilt vermutlich auch für den Rennfahrer selbst, der bei Lotus endlich eine Heimat in der Formel 1 gefunden hat.