Toto Wolff erklärt, wieso ihm die Entscheidung gegen Williams wehtat, wie sein erster Eindruck vom Mercedes-Team aussieht und wieso ihn der "Schleudersitz" reizt
© Foto: Williams
Der blitzartige Seitenwechsel von Toto Wolff von Williams zu Mercedes überraschte selbst Branchenkenner. Der Österreicher war im November 2009 beim britischen Traditionsteam als Investor eingestiegen, führte es an die Börse und wurde 2012 zum geschäftsführenden Direktor befördert, wodurch seine Zusammenarbeit mit dem 70-jährigen Teamchef Frank Williams noch enger wurde - der 41-Jährige wurde bereits als potenzieller Nachfolger des "Rollstuhlgenerals" gehandelt.
Doch dann folgte Anfang 2013 der große Paukenschlag, als Wolff plötzlich als Nachfolger des ehemaligen Motorsportchefs Norbert Haug präsentiert wurde. Rund um Weihnachten soll sich der Frontenwechsel Wolffs konkretisiert haben. Auch für den Wiener war es nach eigenen Angaben keine leichte Entscheidung, Williams nach drei Jahren wieder zu verlassen und zur Konkurrenz zu gehen.
Wie Frank Williams auf Wolffs Entscheidung reagierte
"Das wahre Problem waren die Jungs bei Williams", erklärt Wolff gegenüber 'Formula1.com'. "Ich war dort drei Jahre lang - im vergangenen Jahr in unterschiedlichen operativen Funktionen -, und die Leute fingen an, mir zu vertrauen." Laut eigenen Angaben stellte sich das menschlich gesehen als größte Hürde heraus: "Ich wurde bereits als Nachfolger genannt. In Wahrheit wird es nie einen Nachfolger für Frank Williams geben, aber ich hätte das Team führen sollen. Wie sollte ich das Frank sagen? Das war wirklich schwer."
Also nahm sich Wolff etwas Bedenkzeit, um einen klaren Kopf zu bekommen. "Nach dem dritten Tag hätte ich fast entschieden, bei Williams zu bleiben", gibt er zu. "Ich mag die Leute dort so gerne - alle, vom Rennteam über die Marketingabteilung bis zu Frank selbst. Sie alle waren irgendwie Teil meiner Familie. Ihnen zu sagen, dass ich jetzt gehe, war sehr schwierig."
Am Ende rang er sich aber doch dazu durch, bei Williams alle operativen Funktionen zurückzulegen und sich der Herausforderung Mercedes zu stellen. "Die Gelegenheit war so gut", schildert er den ausschlaggebenden Grund. Sein Ex-Team reagierte laut Wolff ohne Groll auf die Entscheidung: "Ich habe es dem Aufsichtsrat mitgeteilt. Alle wünschten mir Glück, und meine Beziehung zu ihnen ist absolut intakt. Franks erster Kommentar war: 'Das ist interessant. Ich würde diese Gelegenheit an seiner Stelle auch nutzen!'"
Positives Bauchgefühl in Brackley
Bei Mercedes hat der Österreicher jetzt mehrere Funktionen inne. Als Motorsportchef trägt er die Gesamtverantwortung für die Rennsportaktivitäten der Marke mit dem Stern. Zudem ist er geschäftsführender Direktor beim Formel-1-Team in Brackley, wo er Anteile besitzt. Der Erfolgsdruck, der auf seinen Schultern lastet, ist also enorm.
Dennoch will er zunächst abwarten, wie sich die Situation beim bisher mäßig erfolgreichen Rennstall entwickelt und sich dann ein Bild machen, wo eventuell Änderungen notwendig sein könnten. In den vergangenen zwei Wochen traf sich Wolff aus diesem Grund mit allen Mitarbeitern des Teams: "Das klingt nach einem kurzen Zeitraum, aber man hat sofort ein Gefühl, ob man sich mit jemandem versteht oder nicht. Und mein Bauchgefühl ist positiv." Sollte er aber Problemzonen orten, werde er die nötigen Schritte in die Wege leiten, um die Struktur des Teams zu optimieren.
Das Ende des Schattenmannes
Wolffs Motivation ist enorm, denn eine Niederlage wäre für ihn doppelt bitter, da er auch finanziell am Rennstall beteiligt ist. Das ist auch einer der Gründe, warum Mercedes sich für dieses Modell entschieden hat. "Es geht darum, dass ich dafür meinen Kopf hinhalte", erklärt der Österreicher. "Daher wissen sie, dass ich mir kein Versagen leisten kann. Ich habe nicht nur ein persönliches Risiko auf mich genommen, indem ich Williams verlassen habe, wo ich gerne gearbeitet habe, es gibt auch die finanzielle und die wirtschaftliche Seite."
Ihm ist durchaus bewusst, dass er nun vor der größten Herausforderung seiner Karriere steht, schließlich setzt er sich mit seiner Führungsrolle den medialen Angriffen für eventuelle Misserfolge aus. "Davor hatte ich ein schönes Leben als Firmeninvestor und konnte den Leuten für ihre Fehler die Schuld geben, oder die Früchte ernten, wenn sie gute Arbeit geleistet haben", blickt er zurück. "Jetzt bin ich in einer operativen Funktion tätig und sitze auf dem Schleudersitz."
Dem kann er aber positives abgewinnen: "Ich habe jetzt die Hand am Abzug, und ich hätte mich nie zu etwas entschlossen, wenn ich nicht glauben würde, dass ich dem gewachsen bin. Ich weiß, dass die Vorgabe von Mercedes ist, ein Topteam zu sein. Wenn das nicht der Fall ist, dann wird es schwierig, meine Arbeit zu rechtfertigen."
Wolffs Ziele
Dass Mercedes Weltmeister wird, erwartet aber niemand von Wolff. Noch nicht. In seinem ersten Jahr als Motorsportchef lautet die Zielvorgabe, "mit dem Team in den Top-4 zu rangieren und regelmäßig vorne mitzufahren und in der DTM zu gewinnen".
Skeptiker trauen es Wolff nicht zu, beim Formel-1-Rennstall rechtzeitig das Ruder herumzureißen - der früher erfolgsverwöhnte Teamchef Ross Brawn konnte in den vergangenen Jahren kaum Erfolge erzielen, auch die vielen Neuzugänge in der Technikabteilung brachten nur geringe Fortschritte. Und entscheidet sich Wolff zu einer massiven Umstrukturierung, müsste sich das neue Personal erst aufeinander einspielen, was Zeit kostet. Doch all das kümmert Wolff wenig. Der neue starke Mann bei Mercedes ist sicher, dass seine Rechnung aufgeht: "Ich bin der Überzeugung, dass wir in ein paar Jahren über die aktuelle Diskussion lachen werden."