Wolff: "Ich bin bereit für 30 Rennen"

, 08.05.2013

Der Mercedes-Motorsportchef im Exklusiv-Interview über Kubica, Frauen in der Formel 1 und Chancen für Neulinge: "Experimentieren nicht mit Rookies"

Etwas mehr als drei Monate sind vergangenen, seitdem Toto Wolff seinen Job als Mercedes-Motorsportchef angetreten hat. Sein Einstieg kam nicht nur zu einer Zeit, in der die Silberpfeile in der Formel 1 massive sportliche Fortschritte unternommen haben, sondern auch in richtungsweisenden Tagen für die Königsklasse. Im Exklusiv-Interview mit 'Motorsport-Total.com' spricht der 41-jährige Österreicher über den zukünftigen Fahrerkader, den Rennkaldender und die Technologie der Zukunft.

Frage: "Herr Wolff, seitdem Sie Ihren neuen Job bei Mercedes angetreten haben: Hat sich etwas verändert an Ihrer Einstellung zum Motorsport?"

Toto Wolff: "Nein, an meiner Herangehensweise an den Motorsport hat sich nichts geändert. Was ich nicht so erwartet habe, ist, dass ein großer Bereich hinzugekommen ist: Das ist die gesamte Medienarbeit. In dieser Position ist man sehr exponiert. Man kann nicht sprechen, wie einem der Schnabel gewachsen ist. Man muss einfach an das Thema anders herangehen."

Frage: "Liegt Ihnen das nicht? Empfinden Sie es als anstrengend?"

Wolff: "Ich empfinde es nicht als anstrengend, aber es ist nichts, was man auf die leichte Schulter nehmen kann. Du endest schnell in einer Ecke, in die du eigentlich nicht willst. Ich will um jeden Preis vermeiden, ein Big-Brother-Phänomen zu erzeugen und demnächst zum 'Dschungelcamp' eingeladen zu werden. Die Marke verlangt, Präsenz zu zeigen. Für mich ist das etwas, das anders ist. Damit muss ich lernen, umzugehen."

Kein Job für Jahrzehnte

Frage: "Haben Sie Ihren Traumjob gefunden oder gab es schon den Moment, in dem sie am liebsten die Brocken hingeworfen hätten?"

Wolff: "Es ist ein Job, der mir sehr großen Spaß macht und zwar 24 Stunden am Tag. Es ist großer Stress, 100-Stunden-Wochen und etwas, das man nur machen kann, wenn man Spaß daran hat. Ich hatte noch nicht den Gedanken."

Frage: "Ist Motorsport also nur noch ein Beruf für Sie oder auch noch ein Hobby?"

Wolff: "Motorsport ist ein Beruf, aber es muss auch eine Leidenschaft sein. Man darf sich aber nie durch die Leidenschaft leiten lassen oder davon, dass man im Grunde seines Herzens auch Fan ist. Es geht darum, langfristig richtige Entscheidungen im Sinne der Marke zu treffen."

Frage: "Können Sie sich vorstellen, diesen Job solange wie Norbert Haug zu machen?"

Wolff: "Ich muss den Hut vor Norbert Haug ziehen und der Tatsache, dass er 22 Jahre lang in dieser Position war. Das ist nicht etwas, was ich Jahrzehnte lang machen könnte. Man muss sehr organisiert sein und mit seinen Kräften haushalten. Das wird jedem anderen, der hart arbeitet - in welchem Job auch immer - genauso gehen. Man muss auch auf sich schauen."

Frage: "Ist es für Sie eine Perspektive, eines Tages auf den Posten als Teamchef zu wechseln?"

Wolff: "Diese ganzen Titel sind etwas, womit ich ein Problem habe. In meiner Rolle muss ich meinen Fokus auf das Formel-1-Team und seine Geschäftsführung legen. Mir liegt nichts an Titeln und wir haben einen Teamchef, der 15-mal die WM gewonnen hat, der viel Erfahrung hat, von dem ich jeden Tag lerne. Ich sehe mich nicht in dieser Rolle."

Frage: "Auch langfristig nicht?"

Wolff: "Auch langfristig nicht."

Kubica ist noch nicht bereit für die Rundstrecke

Frage: "Erst ein DTM-Test, jetzt ein Gastspiel im Formel-1-Simulator: Welchen Plan verfolgen Sie mit Robert Kubica?"

Wolff: "Ich versuche, mich da auf mein Gefühl zu verlassen. Robert Kubica ist jemand, der unglaublich talentiert ist und durch einen extrem blöden Unfall aus seiner Karriere gerissen wurde. Dieses Talent hat er nicht verloren. Wir unterstützen uns gewissermaßen gegenseitig, weil er wertvollen Input bringen kann. Es ist zu früh, um zu diesem Thema etwas Genaues zu sagen. Er fährt Rallye und darauf liegt sein Hauptaugenmerk. Alles, was die Rundstrecke betrifft, ist sehr weit weg und das hat er auch selbst gesagt."

Frage: "Gibt es bei ihm noch eine mentale Blockade nach seinem Unfall?"

Wolff: "Er hat sich im DTM-Fahrzeug nicht schwergetan, er war verdammt schnell. Und das nicht nur auf einer Runde, sondern auch auf den Longruns. Ich glaube, er will es einfach noch nicht. Das ist seine Entscheidung und die müssen wir respektieren, er geht damit auf seine eigene Art und Weise um."

Frage: "Warum haben Sie sich nicht dazu entschieden, mit einem fixen Testfahrer, sondern mit einem ganzen Kader zu arbeiten?"

Wolff: "Es gibt zwei Strategien. Entweder du holst dir einen sehr erfahrenen, fixen Testfahrer - so wie Gary Paffett bei McLaren, Pedro de la Rosa bei Ferrari. Oder du versuchst, dir einen Kader von jungen Piloten aufzubauen und sie an das Thema heranzuführen - so, wie wir es in der DTM machen. Wir haben Anthony Davidson, Sam Bird und Brendon Hartley - das nutzen wir nicht nur zur Weiterentwicklung des Fahrzeugs, sondern auch zur Ausbildung."

Mercedes hat "beste Fahrerpaarung der Formel 1"

"Es gibt die, die ihren Fokus sehr stark auf den Simulator richten, wie McLaren oder Red Bull. Sie haben in diesem Bereich sehr fortschrittliche Technologie. Da sind wir noch nicht auf dem neuesten Stand und deshalb ist es etwas, woran wir noch arbeiten müssen - im positiven Sinne."

Frage: "Angesichts des Fahrerduos Lewis Hamilton und Nico Rosberg: Gibt es auf absehbare Zeit die Chance, ein Mercedes-Einsatzcockpit zu erobern?"

Wolff: "Das ist zu weit weg. Es sollte sich jeder auf sein Hauptbetätigungsfeld konzentrieren und den Job gut machen, dann kann sich diese Tür schon öffnen. Wir haben die beste Fahrerpaarung in der Formel 1 und diese langfristig unter Vertrag. Wichtig ist es, eine nachhaltige Strategie zu haben."

Frage: "Was ist mit Valtteri Bottas? Wie nah ist er noch an Ihnen dran und inwiefern hat er eine Perspektive bei Mercedes?"

Wolff: "Valtteri kenne ich seit vielen Jahren, er ist ein großes Talent. Er hat eine langfristige Vereinbarung mit Williams und ist dort an einem guten Ort, um zu lernen und sich zu entwickeln. Für mich ist Williams im Moment so weit weg, dass ich mich nach Rennende nach den Ergebnissen erkundigen muss."

"Das betrifft sowohl Valtteri als auch Pastor (Maldonado, Anm. d. Red.), weil ich versuche, mich voll und ganz auf meine Aufgabe zu konzentrieren. Aber Fahrer sind bei Mercedes so stark kein Thema, dass ich noch keine Sekunde darüber nachgedacht habe, weil wir Lewis und Nico unter Vertrag haben. Wenn man als Team den Anspruch hat, vorne mitzumischen, braucht man erfahrene Piloten. Das ist etwas, was alle tun. Ob es Ferrari ist oder Red Bull: Sie experimentieren nicht mit Neulingen und das werden wir auch nicht."

Frauen im Motorsport: Es mangelt an der Breite

Frage: "Warum hat sich bislang noch keine Frau in der Formel 1 durchgesetzt?"

Wolff: "Es fehlt an der Breite. Wenn man sich ein Bambini-Kartrennen anschaut, sieht man ein oder zwei Mädels gegen 28 Jungs. Diese Breite fehlt. Sobald es sie gibt, werden Frauen in der Formel 1 landen. Sie haben das Zeug dazu. Es gibt keinen Grund, warum nicht, wenn die Ausbildung, die Basis, das Talent und die finanzielle Unterstützung vorhanden sind."

Frage: "Ist es nicht von kommerzieller Seite für Mercedes interessant, eine Frau zu verpflichten?"

Wolff: "Nein. Eine Frau war viele Jahre in unserem DTM-Auto und das ist eine, die ich näher kenne. Eine Frau auf dem Niveau der Spitzenpiloten in der Formel 1 muss man erst finden. Wir unterscheiden nicht nach Geschlecht. Wenn sie auf dem Level Lewis Hamiltons oder Nico Rosbergs fahren kann, dann würden wir auch eine Frau ins Auto setzen. Das wäre dann auch kommerziell interessant. Aber das muss man erstmal finden."

Frage: "Wann fällt die Marke von 20 Rennen im Formel-1-Rennkalender?"

Wolff: "Ich bin dafür, dass wir viel mehr Rennen fahren. Die Formel 1 kommt bei den Fans auf allen Kontinenten sehr gut an. Es ist eine Frage der Logistik. Bei 20 Rennen sind wir bei einem Limit angelangt, was einem einzelnen Rennteam zuzumuten ist in Sachen Reisen. Wenn wir mehr Grands Prix fahren, werden wir mehr Personal brauchen. Das heißt: Mit zwei Mannschaften arbeiten. Das ist etwas, was man organisieren kann und das wäre spannend. Ich bin bereit für 30 Rennen."

Wolff verlässt sich beim Thema Sicherheit auf FIA & Co.

Frage: "Wie ist das mit dem Ziel vereinbar, den Motorsport kostengünstig zu halten?"

Wolff: "Wenn wir mehr Rennen fahren, haben wir mehr Einnahmen. Dann können wir auch eine zweite Mannschaft mitfinanzieren. Es ist eine logistische und menschliche Thematik. Wir sind jetzt schon so sehr am Limit, dass man sich anders organisieren müsste."

Frage: "Wie sehen Sie die Zukunft des Gastspiels in Bahrain?"

Wolff: "Wenn wir in Bahrain Rennen fahren, müssen wir uns auf die Auskünfte der kompetenten Stellen verlassen. Das ist das Auswärtige Amt, das ist die FIA und das sind die Verträge mit dem Rechteinhaber. Das tun wir. Wenn die FIA ein Formel-1-Rennen ausschreibt und wir sind dazu verpflichtet, teilzunehmen, dann werden wir fahren. Keine der kompetenten Stellen wird einen Grand Prix veranstalten, wo es eine Gefahr für unsere Mitarbeiter gibt."

Frage: "Was ist mit Südkorea: Wird dieses Rennen ausgetragen?"

Wolff: "Ich habe noch nichts Gegenteiliges gehört. Das Rennen ist noch so weit weg, am Ende der Saison. Auch da vertraue ich auf die kompetenten Stellen."

Frage: "Ist mit Blick auf die Regelnovelle 2014 der Konkurrenzkampf um das technische Personal härter geworden?"

Wolff: "Ich glaube, der Konkurrenzkampf ist sehr hart, weil wir einen Umbruch haben in der Philosophie. Nicht nur in der Philosophie der Motoren, sondern auch des gesamten Fahrzeugkonzepts. Es geht darum, junges, akademisches Talent mit Formel-1-Erfahrung zu verbinden. Es ist der Wettkampf, die intelligentesten und am härtesten arbeitenden Mitarbeiter zu finden. Ob es härter ist als in der Vergangenheit, das weiß ich nicht. Dazu bin ich noch nicht lange genug dabei."

Regelnovelle 2014 als "gewaltiger Schritt"

Frage: "Sie entwickeln mit zwei Teams parallel für 2013 und 2014. Was machen Sie mit den Mitarbeitern, wenn beim aktuellen Auto alles abgeschlossen ist?"

Wolff: "Das ist alles sauber strukturiert. Wir haben jedes Jahr schrittweise einen Übergang auf das nächste Auto. Der beginnt im Frühjahr, wenn ein Teil der Designabteilung auf das neue Modell wechselt, dann ein Teil der Fertigung und des Aerodynamikteams. So passiert das 2013 auch. Natürlich abreitet ein Teil am jetzigen Auto weiter. Aber die Entwicklung wird schrittweise zurückgefahren und dann ganz beendet."

Frage: "2014 ist ein Schritt hin in Richtung einer 'grüneren' Formel 1. Markieren diese Innovationen für Mercedes das Ende der Fahnenstange oder wünschen Sie sich noch mehr?"

Wolff: "Wir fahren heute mit 150 Kilogramm Sprit los, im nächsten Jahr mit 100 Kilogramm. Das heißt - und das ist die Wahnsinnsinnovation - wir werden eine Formel 1 erleben, die bis zu einem Drittel Hybrid fahren wird. Das sind Technologien, die wir in Straßenfahrzeuge übernehmen werden. Der Schritt ist sehr gewaltig und spannend, aber den muss man erst stemmen."

Frage: "Können Sie sich vorstellen, dass eines Tages alternative Antriebstechnologien in der Formel 1 Einzug erhalten?"

Wolff: "Ich glaube, dass unsere Kinder eines Tages sagen werden: 'Es kann doch nicht sein, dass ihr mit fossilen Brennstoffen gefahren seid. Wir sehen das schon jetzt im innerstädtischen Bereich. Meine persönliche Meinung ist, dass sich diese konventionellen Antriebe über die nächsten Jahrzehnte hinweg sehr stark reduzieren werden."

Frage: "Inwiefern ist Mercedes an der Formel E interessiert?"

Wolff: "Wir beobachten, was die Formel E macht. Aber nicht, weil es ein unmittelbares Interesse gäbe, daran teilzunehmen. Wir bauen Formel-3-Motoren, wir fahren GT, wir machen Kundensport, wir machen DTM und fahren Formel 1. Da besteht zum jetzigen Zeitpunkt keine Kapazität, unsere Spielfelder noch zu erweitern."

Frage: "Ist Mercedes nach dem Porsche-Einstieg daran interessiert, nach Le Mans zu gehen?"

Wolff: "Nein."

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