Mehr technische Freiheiten bringen größere Gefahren einer Kostenexplosion in der Formel E: Wohin geht die Reise in der Zukunft der Elektroserie?
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Der Herstellerboom in der Formel E rückt die Elektrorennserie immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit. Die Marken wie Audi, BMW, DS (Citroen), Renault (bald Nissan), Jaguar oder Porsche nutzen die Formel E, um das Thema Elektromobilität auch im Motorsport zu besetzen - und: man möchte technische Kompetenz beweisen. Dies ist unter dem bisher strikten Regelwerk, das Entwicklungsmöglichkeiten erheblich beschränkt, kaum möglich, soll sich in Zukunft aber schrittweise ändern.
Auch wenn Audi ab der kommenden Saison 2017/18 als Werksteam an den Start geht, so kann bislang niemand behaupten, dass in der Formel E tatsächlich ein Audi gegen einen Renault fährt. Die Wahrheit ist eine andere. Die Ingolstädter fahren mit einem Spark-Einheitschassis, Einheitsbatterien und nur wenigen Eigenentwicklungen am Antrieb gegen die Konkurrenten. Technologische Kompetenz lässt sich kaum darstellen, jedenfalls noch nicht.
"Die Erweiterung der Entwicklungsfreiräume geht immer mit der Gefahr einher, dass die Kosten enorm steigen und es Dominanz eines Herstellers gibt, der am meisten Geld hinein wirft. Das glaube ich im Falle Formel E aber nicht. Ich glaube, dass die Öffnung des Reglements sehr vernünftig geschieht", meint Audi-Entwicklungsvorstand Peter Mertens im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'. Der erfahrene Techniker ergänzt allerdings: "Wir müssen die Kosten im Auge behalten, bei allen Freiräumen, die gewünscht sind."
Die zarte Pflanze, die zuerst noch wachsen muss
"Das ist ein Thema, das mir Sorgen macht", gibt Peter Gutzmer, Entwicklungschef des Audi-Partners Schaeffler, offen zu. Er erklärt: "Fängt der Wettbewerb auf diesem Niveau an, dann kommen solche Themen hoch. Das ist eine Sorge, die ich bei der Formel E habe. Ich hoffe aber, dass sie noch möglichst lange Zeit unbegründet sein wird." Die Verwendung von zahlreichen Einheitsbauteilen auch in der Zukunft soll der Schlüssel für einen fairen Wettbewerb bei überschaubaren Kosten sein.
"Wir müssen dieses zarte Pflänzchen mit aller Vorsicht pflegen und hegen, damit es gesund wachsen kann. Wir dürfen nichts überstürzen, nicht zu schnell zu viel erwarten. Und bei aller Euphorie und Freude dürfen wir niemals die Kosten aus den Augen verlieren", appelliert der neue Audi-Formel-E-Teamchef Allan McNish. "Wenn man Kosten kontrollieren will, dann muss man zunächst einmal die Erwartungen im Zaum halten", meint der Schotte.
"Wenn so viele namhafte Hersteller antreten, dann erwarten natürlich viele, dass die Entwicklung sofort enorm an Tempo zulegt. Aber genau das ist es, was die Kosten explodieren lässt. Da müssen wir insgesamt behutsamer und geduldiger herangehen. Die Entwicklung mit mit Augenmaß zugelassen und dann betrieben werden", so McNish. "Eines ist aber auch klar: Wenn viele Hersteller mit dem Anspruch zu siegen da sind, dann wird es immer viele enttäuschte und frustrierte Verlierer geben. Es besteht immer die Gefahr, dass sich dann einige wieder zurückziehen. Aber das ist immer und überall so."
Wie überall: Hersteller kommen, Hersteller gehen
"Wichtig ist, dass sich die Verantwortlichen dieser Serie der Gefahr bewusst sind und auf etwaige Abschiede gefasst sind, denn dann kann man entsprechend damit umgehen ohne unterzugehen", meint McNish. "Wenn man mehr als zehn Hersteller hat, dann kann es durchaus sein, dass man zehn Jahre lang keinen Titel holt. Die Rechnung ist eigentlich ganz einfach", schmunzelt Hans-Jürgen Abt, der sein Formel-E-Startplatz an Audi verkauft hat.
"Es kann gut gehen, vielleicht aber auch nicht. Es werden auch in der Formel E Hersteller kommen und gehen - je nach Interesse. Vielleicht läuft es aber auch nicht so", sagt der Kemptener. "Man muss sich nur andere Serien anschauen. Es gab immer mal Phasen mit vielen Herstellern. Das hat dann immer einen überschaubaren Zeitraum gedauert, bis der ein oder andere die Lust verloren und aufgehört hat. Das wird in der Formel E wahrscheinlich genauso sein", zeigt sich Audi-Motorsportchef Dieter Gass realistisch.
"Wir haben die Möglichkeit, einen eigenen Motor zu machen und ein eigenes Getriebe - quasi den kompletten Hinterwagen. Das ist neben dem Bereich Software jener Spielraum, den man hat. Mehr will ich derzeit auch gar nicht haben", sagt Gass. "In dem Moment, wo ich bei der Batterieentwicklung einsteigen kann, gehen die Kosten durch die Decke. Auch bei Aerodynamik würden die Kosten in die Höhe schnellen. Das ist aber ein Bereich, bei dem die Relevanz für Straßenautos wirklich überschaubar ist."
"Bis Saison sieben ist der Weg vorgeschrieben. Man tut gut daran, die Bereiche zu kontrollieren. Alle haben die Kosten im Blick. Bevor es signifikant teurer werden darf, muss auf Marketingseite einiges passieren. Solange das nicht passiert, muss man bei den Kosten sehr aufpassen", meint der Audi-Sportchef. "Wenn ich zurückblicke, dann gab es kaum mal eine Rennserie, in der gleichzeitig so viele OEMs unterwegs waren. Für eine aufstrebende Rennserie wie die Formel E ist das wunderbar, aber ein Risiko zugleich", mahnt Schaeffler-Entwicklungschef Peter Gutzmer.