Sepp Wiegand ist die große deutsche Nachwuchshoffnung im Rallye-Sport - Im Interview blickt der 22-jährige Skoda-Fahrer auf seinen steilen Aufstieg
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Ein Blick auf den WM-Stand der WRC2-Wertung verrät, dass Sepp Wiegand mit 40 Punkten auf dem ersten Platz liegt. Die große deutsche Nachwuchshoffnung hat eine steile Karriere hingelegt. Erst im Jahr 2010 begann der 22-Jährige mit dem Rallye-Sport. Im Vorjahr startete er in der Intercontinental Rallye-Challenge (IRC) erstmals auf internationaler Ebene und wurde auf Anhieb Meisterschaftsvierter. In diesem Jahr sorgte Wiegand für große Schlagzeilen: Der Skoda-Fahrer feierte bei der berühmten Rallye Monte Carlo den Klassensieg und bei der Winterrallye in Schweden bestätigte er sein Talent mit Platz drei. Vor der Rallye Portugal blickt Wiegand im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com' auf seine steile Karriere und die kommenden Herausforderungen.
Frage: "Sepp, an diesem Wochenende steht die Rallye Portugal auf dem Programm. Wie hast du dich auf diesen Schotter-Lauf vorbereitet?"
Sepp Wiegand: "Grundsätzlich bekommt man im Vorfeld direkt von den Veranstaltern Videos. Damit habe ich einen Eindruck von den Strecken bekommen, denn ich war noch nie hier. Ansonsten habe ich viel für die Fitness gemacht, weil ich seit Schweden nicht mehr im Auto gesessen bin. Es ist natürlich schwierig, die Zeit ohne Test oder eine Rallye zu fahren zu überbrücken."
"In der Vorwoche trainierte ich im Fitness-Workshop. Ich bin auch Motorrad gefahren, was meine alte Leidenschaft ist. Ich bin aber nur einmal dazugekommen, weil ich in der Zwischenzeit viele Termine hatte. Enduro-Fahren ist auch sehr gut für die Fitness und die Reaktion. Das mache ich sehr gerne und bringt auch für den Rallye-Sport sehr viel."
"Der Test am Montag ist sehr gut verlaufen. Ich war natürlich sehr glücklich, dass ich wieder im Auto gesessen bin. Ich habe Schotter am liebsten, das ist mein geliebter Untergrund. Ich habe ein paar Kilometer gebraucht, um wieder ein gutes Gefühl und ein gutes Vertrauen im Rallye-Auto zu bekommen. Dann lief es sehr gut. Wir haben beim Test auch ein gutes Setup gefunden. Ich kann es kaum noch erwarten, die Rallye zu starten."
Frage: "Worauf wird es in Portugal ankommen und wo liegen dort die Schwierigkeiten?"
Wiegand: "Ankommen ist sehr, sehr wichtig. Ich bin auch gespannt auf Robert Kubica. Er hat schon beim Europameisterschaftslauf gezeigt, dass er sehr schnell Autofahren kann. Ich bin gespannt, wie er sich jetzt auf Schotter schlägt. Das ist komplett anders als die Formel 1. Von den Strecken habe ich noch nicht viel gesehen, weil erst am Dienstag die Recce losgeht. Die Eindrücke kann man nur live sehen. Auf den Videos ist es schwierig zu erkennen. Soweit ich gesehen habe, ist es ein sehr guter Mix zwischen engen, winkeligen und schwierigen Schotterwegen."
"Im Gegensatz dazu gibt es sehr breite und schnelle Straßen. Ich schätze, dass sich der Rhythmus sehr ändern wird. Teilweise wird es so sein, dass man in den engen Abschnitten vorsichtig sein muss, damit man keinen Fehler macht. In den schnellen Abschnitten kann man pushen und das Auto laufen lassen. Das wird nicht einfach zu kontrollieren. Teilweise gibt es blinde Kuppen. Es ist sehr hügelig. Diesbezüglich ist der Aufschrieb auch sehr wichtig. Beim Test habe ich auch gesehen, dass mit der Zeit auch viele Steine herausgefahren werden. Teilweise kommen große Steine hervor. Ich hoffe, dass wir vor großen Problemen verschont bleiben und große Steine keine technischen Schwierigkeiten bereiten."
Harte Konkurrenz in der WRC2
Frage: "Du hast Robert Kubica angesprochen. Durch ihn ist auch das öffentliche Interesse an der WRC2 größer. Was erwartest du von ihm?"
Wiegand: "Für mich ist das schwierig einzuschätzen. Ich glaube, dass er wirklich hart pushen wird. Auf Schotter kann ich ihn überhaupt nicht einschätzen. Auf Asphalt haben wir gesehen, dass er wirklich schnell ist und den Ton vorgeben kann. Für mich ist es ein kleines Fragezeichen und ich bin gespannt, wie er sich schlagen wird. Ich glaube, dass er schnell sein wird, und ich glaube, dass er vorne bei der Musik dabei sein wird."
Frage: "Du hast in den vergangenen Jahren mit verschiedenen Co-Piloten zusammengearbeitet. Wie läuft es derzeit mit Frank Christian?"
Wiegand: "Die Zusammenarbeit ist wirklich sehr, sehr gut. Wir verstehen uns sowohl menschlich, privat als auch im Auto wirklich super. Am Montag sind wir zum ersten Mal gemeinsam mit dem S2000 auf Schotter gefahren. Das hat wieder von Anfang an super funktioniert. Wir haben gegenseitiges Vertrauen, was sehr wichtig ist. Ich fühle mich wohl und ich bin happy mit ihm. Ich kann nichts Negatives behaupten, denn es läuft wirklich sehr gut mit ihm."
Wiegand führt WRC2-Wertung an
Frage: "Deine Saison ist bisher sehr gut gelaufen. Du hast in Monte Carlo gewonnen und bist in Schweden auf das Podest gefahren. Blick bitte kurz auf diese beiden Rallyes zurück."
Wiegand: "Monte Carlo bleibt lange in meiner Erinnerung. Ich hatte im Vorfeld der Rallye Monte Carlo wirklich viele Fragezeichen. Ich hatte einen neuen Co-Piloten, mit dem ich noch keine Rallye gefahren war. Ich war auch noch nie auf Schnee und Eis gefahren. Die Rallye Monte Carlo ist berühmt und berüchtigt für ihre Tücken und blinden Eisstellen."
"Sie ist schwierig und abwechslungsreich. Ich hatte viel Respekt und bin auch dementsprechend herangegangen. Dass es dann so mit dem Sieg in der WRC2 und dem achten Gesamtplatz endet, hätte ich mir nie gedacht. Da war ich selbst von mir und dem gesamten Team überrascht. Ich habe auch eine gewisse Zeit gebraucht, um das zu verarbeiten. Ich war super glücklich."
"In Schweden hat man gesehen, dass man auf Schnee viel Erfahrung braucht. Es war meine erste richtige Schnee-Rallye mit Spike-Reifen. Da habe ich gesehen, dass ich noch ein bisschen lernen muss. Es war auch erst die zweite Rallye mit Frank, das hat man auch gemerkt, denn es fehlte noch Erfahrung zwischen uns, aber auch beim Fahren auf Eis und Schnee. Man hat speziell beim ersten auf den zweiten Durchgang gemerkt, wie ich mich verbessert habe."
"Ich habe mehr Gefühl gewonnen und den Reifen und dem Auto mehr vertraut. Für mich wäre es besser gewesen, wenn die Schweden-Rallye noch zwei Tage länger gegangen wäre, denn dann hätte ich den Speed der Vorderleute mitgehen können. Ich glaube, dass es eine reine Erfahrungssache war. Trotzdem glaube ich, dass wir uns gut geschlagen haben. Mit dem dritten Platz haben wir gute Punkte mitgenommen und den Meisterschaftsplatz verteidigt."
Frage: Du fährst jetzt schon länger mit dem Skoda Fabia S2000. Es ist ein ausgereiftes und konkurrenzfähiges Fahrzeug. Wo liegen die Stärken des Autos?"
Wiegand: "Dadurch, dass es schon so lange dabei ist und von Skoda direkt so gut entwickelt worden ist, ist das Auto sehr standfest. Ich hatte auch im Vorjahr in der IRC keine technischen Probleme. Auch in diesem Jahr lief das Auto in Monte Carlo und Schweden problemlos. Andere Konkurrenten hatten kleinere Probleme. Davor sind wir verschont geblieben. Die Standfestigkeit ist sicher eine der Stärken. Grundsätzlich denke ich, dass alle Hersteller ihr Bestes geben. Beim Motor wird das Auto den anderen sehr ähnlich sein. Ich glaube, dass die Standfestigkeit die größte Stärke ist."
Wiegand sammelt Erfahrung
Frage: "Wo siehst du bei dir als Fahrer deine Stärken und wo gibt es noch Nachholbedarf?"
Wiegand: "Ich denke, dass ich ein relativ gutes Gemüt habe. Ich bin sehr fokussiert und kann mich auf die wesentlichen Dinge konzentrieren. Ich lasse mich nicht leicht ablenken und versuche auf dem Boden zu bleiben und es realistisch zu sehen. Dadurch bin ich relativ ruhig und verfalle nicht in übermäßige Aufregung. Meine Konzentration ist sehr gut. Da ich zwölf Jahre lang Motorrad gefahren bin, habe ich eine gute Reaktion. Das habe ich auch in brenzligen Situationen gemerkt, denn ich konnte das Auto wieder gut einfangen. Dadurch sind wir auch noch nicht durch einen Unfall ausgefallen. Das bleibt hoffentlich auch so."
"Zu den Schwächen: Zwischen Schweden und Portugal waren acht Wochen Pause. Wenn ich mich dann wieder ins Auto setze, merke ich, dass ich noch ein paar Kilometer brauche. Ich merke, dass es sich dann nicht ganz wie zu Hause anfühlt. Man merkt schon, dass es besser wäre, wenn ich mehr fahren könnte. Auch im Aufschrieb kommen von Rallye zu Rallye neue Kleinigkeiten hinzu. Man lernt wirklich von Rallye zu Rallye und kann sich immer noch verbessern und Dinge optimieren."
"Allgemein muss ich mit dem Auto auf internationaler Ebene weiter Erfahrung sammeln. Ich bin noch keine Rallye zweimal gefahren. Natürlich ist das ein Nachteil, wenn man die Strecken nicht kennt. Ich denke, es ist sehr wichtig, dass ich in Zukunft mehr im Auto sitze und Erfahrung sammeln kann. Ich muss im Gesamtpaket mehr Erfahrung sammeln."
Frage: "Ist Erfahrung im Rallye-Sport alles?"
Wiegand: "Es ist auf jeden Fall viel wert. Wenn man zum Beispiel eine Schweden-Rallye fährt und weiß, was auf einen zukommt, wenn man genau weiß, was man zu tun hat, dann geht man ganz anders an die Rallye heran. Da reist man schon viel relaxter an. Du weißt, wie das geht, und man kennt die Abläufe. Dadurch kann man mit einem freieren Kopf in die Rallye starten. Wenn man natürlich nicht genau weiß, wie alles abläuft, und man alles erst herausfinden muss, dann ist es viel schwieriger und nervenaufreibender. Ich glaube schon, dass Erfahrung viel bringt. Das sieht man auch oft im Rallye-Sport, gerade wenn es schwierige Bedingungen gibt, dann sind die Fahrer mit Erfahrung vorne. Im Rallye-Sport kann man nie genug Erfahrung haben."
Frage: "Hast du Vorbilder?"
Wiegand: "Ein großes Vorbild von mir ist Colin McRae. Nicht weil er immer gecrasht ist, sondern weil mir sein Fahrstil unglaublich gut gefallen hat. Ich habe ihn früher als kleines Kind im Fernsehen verfolgt und natürlich auch seine PlayStation-Spiele gespielt. Als Mensch fand ich ihn super toll und seine spektakuläre Fahrweise war fantastisch. Er ist genauso wie ich früher Motocross gefahren. Deswegen war er mein Idol. Natürlich auch unser deutscher Weltmeister Walter Röhrl. Er war und ist der deutsche Vertreter im Rallye-Sport. Es ist nicht einfach, sich im internationalen Geschäft zu behaupten. Von daher ziehe ich wirklich den Hut. Er ist natürlich auch mein Vorbild."
Frage: "Walter Röhrl hat dich vor Kurzem als großes Talent gelobt. Das muss für dich eine Ehre sein?"
Wiegand: "Auf jeden Fall. Das war eine riesen Ehre. Viele Fans und die Medien fragen bereits, ob ich der neue Walter Röhrl bin - oder ob ich es nicht bin. Ich würde mich noch nicht mit Walter Röhrl vergleichen. Ich fahre erste mein erstes Jahr in der Weltmeisterschaft und er hat zwei WM-Titel gewonnen. Ich fange gerade erst an. Das sind zwei verschiedene Welten. Ich sollte mich auf mich konzentrieren und sollte nicht von der Zukunft träumen. Auf der einen Seite ist es natürlich sehr schön, wenn man hört, dass ich der neue Walter Röhrl sein kann, aber das kann man jetzt noch nicht sagen. Ich stehe erst am Anfang meiner Karriere und Walter Röhrl hat unglaublich viel erreicht. Das kann man jetzt nicht vergleichen."
Über Motocross in den Rallye-Sport
Frage: "Du bist lange Motocross gefahren und bist ein Quereinsteiger im Rallye-Sport. Was fasziniert dich an Rallyes?"
Wiegand: "Ich war schon im Rallye-Sport dabei, als ich zwei Jahre alt war. Ich komme aus einer Motorsport-Familie. Mein Vater fährt schon seit 30 Jahren Rallyes und ich habe ihn immer begleitet. Dadurch habe ich von klein auf gesehen, wie der Rallye-Sport funktioniert. Ich wollte natürlich schon immer fahren. Es war schon immer mein Traum und mein Ziel, einmal im Rallye-Auto zu sitzen. Ich habe dann mit sieben Jahren angefangen Motorrad zu fahren, weil man bei uns in diesem Alter nicht mit dem Auto fahren kann. Ich war dann auch im Enduro und Motocross sehr erfolgreich und habe einige Titel eingefahren. Ich war auch auf dem Weg Richtung Europameisterschaft und habe auch schon in die Weltmeisterschaft hineingeschnuppert."
"Ich war auf dem Weg in die WM und da Erfolge und Talent vorhanden waren, wollten wir schauen, wie weit es geht. Dann haben wir von 2009 zu 2010 ein Angebot von einem anderen Team mit einer anderen Motorradmarke bekommen. Das haben wir auch angenommen, weil es ein sehr gutes Angebot war. Mit diesem Motorrad hatten wir nur Probleme, denn ich bin bei jedem Rennen mit technischem Defekt ausgefallen. Dadurch habe ich die Motivation verloren. Es war doof zu wissen, dass man zu einem Rennen fährt, viel Geld ausgibt und schon im Vorfeld weiß, dass man ohnehin ausfällt. Das machte keinen Spaß mehr."
"Einmal mussten wir zehn Wochen auf einen Ersatzzylinder warten. In dieser Zeit war in der Nähe eine Rallye und mein Vater machte gerade Pause. Sein Volkswagen Lupo war frei. Ich wollte fahren und mein Vater hatte nichts dagegen. Also bin ich gefahren, auch um unseren Sponsoren etwas zu bieten. Das hat von Anfang an super funktioniert. Ich hatte sofort ein gutes Gefühl und ich wusste von der ersten Rallye an, dass das mein Sport ist."
"Von da an habe ich das Motorrad in die Ecke gestellt und mich auf die Rallyes konzentriert. Das war 2010 auf privater Ebene noch nicht so viel. Ich bin 2010 mit dem Lupo vier oder fünf nationale Rallyes gefahren, die über 35 Kilometer gingen. 2011 ging es dann für mich richtig los. Seit meiner 'Schnupper-Rallye' habe ich beim Motorrad alles Rennmäßige stehen und liegen gelassen."
Frage: "Welche Ziele hast du dir für diese Saison gesteckt?"
Wiegand: "Mein wichtigstes Ziel ist, dass ich näher und näher an die Topfahrer herankomme, speziell wenn bei den Rallyes starke Konkurrenz vorhanden ist. Für mich ist es auch sehr wichtig, dass ich sehe, dass es voran geht, dass mit steigender Erfahrung die Stage-Zeiten sinken. Ich möchte immer besser werden und nicht auf einem Punkt stehenbleiben. Natürlich wäre es ein Wunsch und ein Traum, dass ich am Ende der WRC2-Saison auf dem Podium stehe - egal auf welchem Platz. Wenn ich denke, wo ich 2010 angefangen habe, hätte ich mir nie erträumen lassen, dass ich jetzt im S2000 sitze. Jetzt fahre ich schon im zweiten Jahr im S2000. Ich bin gespannt, wo die Reise hingeht. Hoffentlich komme ich weit. Vielleicht werde ich doch eines Tages Weltmeister. Das ist mein größter Traum, aber das ist derzeit noch weit entfernt."