Aus dem Dornröschenschlaf zu einem der größten Rennen der Welt: Wie Peter Geishecker die 24 Stunden vom Nürburgring zu dem machte, was sie heute sind
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Der Nürburgring und Erfolgsgeschichten? In der jüngsten Vergangenheit ist diese Symbiose abseits des sportlichen Geschehens eine mit Seltenheitswert. Doch es gibt sie noch, die Lichtblicke am "Ring" und die Gründe, warum die Traditionsrennbahn in den Augen von Fans und Fahrern weiterleben muss. Als am vergangenen Wochenende das 24-Stunden-Rennen auf der Nordschleife seine 41. Auflage erlebte, schlug dank 210.000 Besuchern und einem denkwürdigen Eifelmarathon so eine Stunde.
Danach allerdings sah es vor rund 15 Jahren nicht aus. Damals lag das motorsportliche Großereignis brach, ehe einige unerschütterliche Enthusiasten anpackten: Otto Flimm und Hermann Tomczyk, damals Präsident und Sportchef des ADAC, sowie Peter Geishecker. Der Kölner, heute noch immer Organisationsleiter, krempelte kräftig um und machte das Rennen in den folgenden Jahren zu dem, was es heute ist. Im Jahre 2000 übernahm er mit dem Mediendienstleister Wige, den er mitgründete, alle Produktions- und Vermarktungsrechte an dem Event.
Im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com' erinnert sich Geishecker an die Wiederauferstehung des 24-Stunden-Rennens. "Das war ein gewaltiges Risiko", sagt er rückblickend und spricht einer jungen und engagierten Mannschaft hinter den Kulissen für ihre unnachgiebige Arbeit ein Kompliment aus. "Das ist zu betrachten wie ein Unternehmen und nicht nach dem Motto: 'Wir machen mal eben ein Rennen'", unterstreicht das Urgestein die Wichtigkeit einer langfristigen sowie strategischen Planung.
International stärker als Le Mans
Schritte auf dem Weg zum Eifelmarathon, wie es ihn heute gibt, wurden in der zurückliegenden Dekade viele unternommen. Die wichtigsten waren die wiedergewonnene TV-Präsenz, neue sportliche Spannung durch die so genannte Balance of Performance und das Wecken des Interesses der großen Automobil-Hersteller. Standen 2013 im Fahrerlager wieder die Hospitalitys von Audi, Nissan und Porsche, nutzten auch Marken wie BMW oder Aston Martin die Plattform Nürburgring für ihren Auftritt.
"Praktisch jedes große Unternehmen ist vertreten, infolgedessen sind auch der Ausstellungsbereich und die Aktivitäten auf dem Ring-Boulevard gewachsen", unterstreicht Matthias Wurm, Mitglied der Geschäftsleitung bei Wige. Er betont die neu gewonnene Internationalität: "Wir brauchen uns nicht zu verstecken. In der Distribution im Ausland haben wir stärkere Werte als die 24 Stunden von Le Mans." Erstaunlich, denn der Nürburgring tritt immerhin gegen eine fast doppelt so lange Tradition und den Steve-McQueen-Bonus an.
Grund dafür sei, dass bei der TV-Vermarktung nicht der finanzielle Profit im Vordergrund stünde, sondern, eine Plattform für die Sportveranstaltung zu schaffen. Wige gibt Bewegtbild-Material an internationale Stationen teilweise lizenzkostenfrei ab. Doch nicht nur kluges Geschäftsgebaren trägt dazu bei, der Veranstaltung an der Sarthe ein Schnippchen zu schlagen. "Der Mythos Nürburgring", schwärmt Geishecker, "es gibt keine längere Strecke auf der Welt, keine landschaftlich schönere und keine, wo gleichzeitig über 200 Autos ein Rennen fahren können."
Balance of Performance: Nicht alle waren begeistert
Geishecker bringt es auf den Punkt: "Dieses 24-Stunden-Rennen funktioniert nur hier und nirgendwo anders." Trotzdem gibt es bereits Anfragen an die Organisatoren, das Konzept zu übertragen, etwa auf der arabischen Halbinsel. Man munkelt auch von Verbindungen nach Spa-Francorchamps. Die Nordschleife zieht eben. Beispiel Jim Glickenhaus: Der milliardenschwere Investmentprofi und Filmregisseur mit einem großen Autoherz rückte 2012 an, um mit seinem Sportwagen P4/5 an den 24 Stunden teilzunehmen.
Geishecker staunte damals nicht schlecht, als ihm die Ingenieure des US-Amerikaners im Vorfeld ihre Pläne für den Einsatz der Rarität auf vier Rädern offenbarten: "Damals sagten sie mir: 'Wir bauen das Auto, Mr. Glickenhaus hat uns schon mal 300 Millionen überwiesen.'" Mund offen, selbst bei einem, der mit fast allen Wassern gewaschen ist. Damit die Action auf der Strecke stimmt, verschrieb sich das Rennen unter Geishecker dem Credo Balance of Performance, das der heutige Aston-Martin-Geschäftsführer Ulrich Bez mitinitiierte.
Das heißt konkret: Viele unterschiedliche Fahrzeugkonzepte im GT3-Rahmen und eine Anpassung auf ein Leistungsniveau mittels Begrenzung unterschiedlicher technischer Parameter. Klingt kompliziert, funktioniert aber. Am Ende sollen gleichwertige Sportwagen stehen, was sich bewährt hat. Allerdings gab es Widerstände gegen die Novelle: "Manche sind da sehr arrogant", berichtet Geishecker, der für das Projekt die besten Ingenieure in Deutschland verpflichtete. Am Ende zogen doch alle Hersteller mit. Sie wollten dabei sein.
Noch viel ungenutztes Potenzial
Ein weiterer Schlüssel: ein neues Fernsehkonzept gemeinsam mit dem Sender 'SPORT1', der 2013 wieder 20 Stunden lang live das Geschehen auf dem Nürburgring auf die Bildschirme brachte. Geishecker sieht noch mehr Potenzial in vielen Bereichen und wünscht sich eine gelungenere Terminkoordination mit anderen internationalen Topserien. 2013 gab es zum zweiten Mal eine Überschneidung mit der für den deutschen Markt wichtigen DTM und auch mit der Tourenwagen-Weltmeisterschaft (WTCC).
An der Strecke schlummert ebenfalls noch Luft nach oben, wenn es um die 24 Stunden geht. "Der Boulevard ist doch noch nie vernünftig vermarktet und bespielt worden", meint er über die als Millionengrab verschriene Prunkanlage entlang der Start- und Zielgeraden. Geishecker will die Fans bewegen und zwar nicht nur an einem Wochenende im Mai: "Es gibt doch keine Sekunde ohne Fahrbetrieb auf der Nordschleife." Wurm fügt an: "Wir machen immer etwas Neues. So eine Veranstaltung darf nicht stehenbleiben."
In Sorge um die Zukunft
Er meint damit auch Kleinigkeiten, die große Wirkung haben können. Beispiel: neue Namenstafeln über den Boxen, auf der alle Fahrernamen verewigt waren. Für die Profis am Lenkrad Usus, ist eine solche Aufmerksamkeit für viele Amateurpiloten - und auch von ihnen lebt das 24-Stunden-Rennen - eine große Sache. Stehender Applaus in der Fahrerbesprechung war der Lohn. Nach der gelungenen Premiere am Pfingstwochenende 2013 könnte im kommenden Jahr ein neuer Termin erprobt werden, dann im Juni - die Planungen laufen bereits.
Doch findet die Erfolgsstory eine Fortsetzung? Der Nürburgring soll verkauft werden, daran hängt die Zukunft der Rennstrecke. Geishecker ist nicht gerade frohen Mutes bei dem Gedanken: "Sorgen muss man sich immer machen", pustet er durch, ohne die Lage einschätzen zu können. "Aber ich vermag gar nicht zu sagen, was ich jetzt fühle: Bin ich besorgt? Man weiß überhaupt nicht, was kommt." Fest steht für den Organisationsleiter, dass ein Aus für den Nürburgring die Eifel träfe wie ein Volltreffer mit dem Vorschlaghammer: "Dann ist die Region tot", warnt Geishecker. Er wird sich dagegenstemmen. Mal wieder.