Haben die WTCC-Teams in der Testsession in Marrakesch taktiert oder sind sie schon voll gefahren? Und was sagt der Freitag über das neue Kräfteverhältnis aus?
© Foto: Citroen
1,957 Sekunden. So groß war der Vorsprung von Citroen auf die Konkurrenz. Und das bei der ersten Testsession der Saison 2014 in Marrakesch. Was wiederum die Frage aufwirft: War das schon alles? Oder anders gefragt: Haben Citroen und Co. in der halben Stunde am Freitagnachmittag ihre Karten schon aufgedeckt? Wer hat vielleicht noch Reserven? Und was bedeutet das für das Kräfteverhältnis?
Zumindest Citroen wähnt sich schon am Anschlag, wie Teamchef Yves Matton betont. "Wir haben auf jeden Fall alles gegeben. Wir wollten nämlich wissen, wo wir stehen." Antwort: An der Spitze, mit allen drei Fahrzeugen. WTCC-Rekordchampion Yvan Muller war in 1:44.513 Minuten der Schnellste, Jose-Maria Lopez (+ 0,432 Sekunden) und Sebastien Loeb (+0, 648) folgten auf den weiteren Positionen.
Was Matton aber nicht in Euphorie versetzt: "Es war ein gutes Ergebnis, aber es war auch nur der erste Schritt. Wir wissen ja nicht, was die anderen Teams gemacht haben", so der Franzose. Ihm und seiner Mannschaft sei es nur darum gegangen, "ein gutes Gefühl zu bekommen und mit Zuversicht in das weitere Wochenende zu gehen", wie er sagt. Dieses Ziel dürfte Citroen am Freitag erreicht haben.
Muller glaubt: Die Zeiten fallen noch
Und auch WM-Titelverteidiger Muller bestätigt, dass man sich nicht zurückgehalten habe. "Wir fahren mit Vollgas, um unser Potenzial zu überprüfen", meint der Citroen-Pilot. Demnach müsste seine schnellste Runde in der 30-minütigen Testsession auch das Maximum gewesen sein. Doch Muller relativiert: "Die wahre Leistung zeigt sich erst im Qualifying am Samstag. Vielleicht fallen die Zeiten noch."
Gut möglich, schließlich handelt es sich bei der WTCC-Strecke in Marrakesch um einen nicht permanenten Stadtkurs, der zu Beginn der Veranstaltung aufgrund des Staubs und des feinen Wüstensands noch ziemlich "grün" ist. Schon alleine deshalb werden sich die Bedingungen im Laufe des Fahrbetriebs sukzessive verbessern und somit wohl auch noch schnellere Zeiten zulassen.
Den aktuellen Rundenrekord, aufgestellt von Pepe Oriola im SEAT Leon vor zwei Jahren, hat Muller übrigens bereits unterboten. Aber nicht so deutlich, wie das von der neuen Generation der WTCC-Autos erwartet worden war. Muller war lediglich ein Zehntel schneller als Oriola in Marrakesch 2012. Was auch auf die veränderten Rahmenbedingungen durch die neuen Fahrzeuge zurückzuführen ist.
Mehr als 1,9 Sekunden Vorsprung für Citroen
"Die größte Änderung ist, dass wir mit den TC1-Autos nicht mehr sehr über die Randsteine räubern können, wie wir das in der Vergangenheit gemacht haben", sagt Muller und fügt hinzu: "Das hat hier schon zwei bis drei Sekunden pro Runde ausgemacht. Die Autos an sich sind zwar definitiv schneller als im vergangenen Jahr, aber die Strecke ist deutlich langsamer." Deshalb der geringe Unterschied.
Groß waren die Unterschiede hingegen von Hersteller zu Hersteller. Dem Chevrolet Cruze fehlten am Freitag knapp 1,9 Sekunden auf den Citroen C-Elysee, der Honda Civic lag ebenfalls 1,9 Sekunden zurück. 2,2 Sekunden betrug der Abstand des Lada Grantas auf die Spitze. Das scheint auf ein leichtes Spiel für Citroen hinzudeuten. Zumal die Konkurrenz wohl ebenfalls nicht mit angezogener Handbremse fuhr.
Honda-Pilot Tiago Monteiro sieht beispielsweise noch "eine halbe Sekunde Luft nach vorn", aber nicht mehr. Bleiben 1,4 Sekunden, die sein Civic langsamer ist als der C-Elysee. Das sind nur für Citroen gute Nachrichten, nicht aber für die Verfolger. Und in dieser Rolle befinden sich Chevrolet, Honda und Lada nach der Testsession von Marrakesch zweifelsfrei. Was sich bei den Wintertests bereits angedeutet hatte.
Ein klares Bild zum Kräfteverhältnis gibt's in Le Castellet
Schon bei den Probefahrten hatte sich zudem gezeigt: Die neue TC1-Klasse ist pro Kilometer etwa 1,2 bis 1,5 Sekunden schneller als die bisherigen Fahrzeuge, die nun in der TC2-Kategorie fahren. Franz Engstler im BMW 320 TC bestätigte diese Werte fast auf das Zehntel genau, indem er auf dem 4,5 Kilometer langen Marrakesch-Stadtkurs mit 1:50.549 Sekunden fast exakt 6,0 Sekunden langsamer war als Muller.
"Das entsprach den Erwartungen", meint der deutsche Routinier. Und das trifft auch auf die Leistung von Citroen zu. Die WTCC-Neulinge aus Frankreich hatten schließlich das erste TC1-Auto auf der Strecke - und das schon im Juli 2013! Und wie es scheint, hat Citroen nach insgesamt mehr als 10.000 Testkilometern nicht nur dabei klar die Nase vorn. Ob das so bleibt, wird sich bald zeigen.
Ist das Kräfteverhältnis der WTCC also nach dem Qualifying oder spätestens nach den beiden Rennen in Marrakesch schon in Stein gemeißelt? Wohl kaum, weil der Saisonauftakt für viele Piloten die erste Gelegenheit ist, ausführlich mit den neuen Autos zu fahren. Hinzu kommt die Charakteristik des schnellen Stadtkurses. Und das wiederum bedeutet: Eine bessere Antwort gibt's in Le Castellet.