In 35 Containern um die Welt: Redakteur Stefan Ziegler schildert, wie sich eine komplette Rennserie verpackt und wie aufwändig das ist - Teil 1
© Foto: Ziegler/smg
20 Uhr Ortszeit an einem Sonntagabend, irgendwo in Peking. Vor wenigen Augenblicken habe ich meine letzten WTCC-Berichte über die Rennen am Goldenport Circuit veröffentlicht. Mein Laptop ist schon heruntergefahren, mein Arbeitstag ist vorbei. Doch ich starte noch einmal neu durch. Denn in dieser Nacht bin ich zu Gast hinter den Kulissen der Meisterschaft - als "Praktikant" der Logistik.
Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie sich eine komplette Rennserie verpackt, um in Übersee von A nach B zu gelangen? Was das überhaupt bedeutet? Und mit welchem Aufwand es verbunden ist? Fragen dieser Art haben mich dazu bewogen, mir einmal selbst ein Bild davon zu machen. Und in Peking ist es schließlich so weit: Ich darf mir alles genau anschauen und auch selbst mit anpacken!
Vorfreude und Spannung sind groß, als ich das Pressezentrum verlasse und mich im Fahrerlager hinter der Boxengasse mit meinen "Vorgesetzten" für diese Nacht treffe. Es sind Holger Krätzig von WTCC-Serienpartner DHL und Ralf Weischedel von Eurosport. Als Experten für Motorsport-Logistik sind meine beiden deutschen Landsleute zuständig für den Transport von Autos und Ausrüstung.
Ich werde "Lehrling" bei der WTCC-Logistik
Erst einmal aber kümmern sie sich um mich: Im DHL-Container werde ich ausstaffiert, damit ich mich ins Gewühle stürzen kann. Ich erhalte eine leuchtend gelbe Warnweste, eine Taschenlampe und ein Paar Arbeitshandschuhe. Damit geht es hinaus in die Nacht. Und mitten hinein in ein scheinbar total wirres Chaos. Denn der Abbau in Peking ist schon in vollem Gange. Was genau passiert denn hier?
Ganz einfach: Kaum sind die Rennen gefahren, kennen die Teams nur ein Ziel: alles so schnell wie möglich verpacken und reisefertig machen. Und das wirkt ein bisschen so, als hätte jemand die Lego-Box im Kinderzimmer umgestoßen: Überall stehen Kisten, hier liegen in Schutzfolie verpackte Flügel, dort werden Reifen gebündelt und im Slalom fahren immer wieder Gabelstapler durch die Szenerie.
Kein Wunder: Es gilt insgesamt 35 40-Fuß-Highcube-Container zu befüllen. So viele hat die WTCC in Übersee zur Verfügung, um von einem Rennplatz zum nächsten zu kommen. Vier Tonnen wiegt ein solcher Container - ohne Ladung. Die Ausrüstung bringt natürlich ebenfalls einiges auf die Waage: Spitzenreiter an diesem Abend ist ROAL-Chevrolet mit 10.622 Kilogramm Fracht im Container HLXU 6462040.
Citroen reist mit fast 50 Tonnen Fracht
Ein Auto, ein Container. Das ist der Deal. Und die meisten Teams kommen damit aus. Ausnahmen bilden die Werksteams: Honda bringt es mit einem zusätzlichen Container auf insgesamt drei, Citroen hat - bei vier Autos in Asien - nicht weniger als acht (!) Container. Die unterschiedliche Menge zeigt sich auch beim Gewicht der Ladung: Honda schifft 20 Tonnen um die Welt, Citroen reist mit der 2,5-fachen Fracht, mit 49 Tonnen!
All das muss in dieser Nacht verpackt werden. Das braucht seine Zeit. Und viele Helfer. Wie die Container aber befüllt werden, das bleibt den Teams überlassen. Holger und Ralf überwachen und koordinieren die Abläufe. Denn es treten immer wieder Fragen auf: Ist die Fracht so gut gesichert? Wohin mit dem nicht verbrauchten Sprit? Können wir noch eine Lampe haben? Und habt Ihr noch Spanngurte?
Manchmal ist es mit Ratschlägen alleine aber nicht getan. Dann packen Holger und Ralf selbst mit an. Auch ich werde spontan mit eingespannt. Denn alsbald sind die ersten Teams mit dem Verladen der Autos fertig. Wie das geht, habe ich mir angeschaut: Mit leerem Tank (wichtig!) werden die Fahrzeuge über Holzrampen in die Container gerollt und dort mit Spanngurten fixiert, an jeder der vier Felgen.
Wie Autos und Ausrüstung gesichert werden
Dann schlägt die Stunde von Holger und Ralf: Sie legen speziell angefertigte Holzstücke unter jedes Rad. Und damit die Rennwagen in den Containern später nicht verrutschen können, werden sie noch "geschossen", wie meine "Vorgesetzten" es nennen. Das wiederum heißt: Das Holz wird mit einem Druckluftnagler (dem ich besser nicht zu nahe komme...) am Holzboden des Containers festgemacht.
Maximal zwei Autos fasst ein Container, zusätzlich noch einige Teile der Ausrüstung, die die Teams in speziellen Boxen untergebracht haben. Ist alles drin und ordentlich festgezurrt - davon überzeugen sich Holger und Ralf nochmals -, wird der Container geschlossen. Ich bin dran! Also hoch mit den Metallbügeln, eingerastet und reingedrückt. Klingt einfach, ist es aber nicht! Was für ein Knochenjob!
Doch in dieser Nacht erfahre ich auch, dass nicht nur ich zu wenig Kraft in den Armen habe. Hin und wieder stemmt sich ein Mechaniker gegen den Container und drückt mit den Beinen. In Einzelfällen muss sogar der Gabelstapler ran, wenn sich die Türen verzogen haben, weil der Container beispielsweise auf unebenen Boden steht. Doch irgendwie geht es immer. Und dann kommt die Hauptsache: Mit einer Plombe wird der Container endgültig versiegelt.
Eine Plombe versiegelt den Container
Es ist ein kleiner Metallstift mit einer gesonderten Kappe. Beide Teile drückt mir Holger in die Hand. Ich darf mich daran versuchen. Also fädele ich den Metallstift wie angewiesen in die Metallbügel der rechten Türe ein, drücke von oben die Kappe drauf und warte auf das Klacken, das zu meiner Freude auch ertönt. Passt, das Ding ist zu! Wichtig für den Transport, denn geöffnet wird erst wieder in Schanghai.
Das Spielchen wiederholt sich oft in dieser Nacht. Immer mehr Teams werden fertig, immer mehr Container müssen geschlossen und verplombt werden. Das mache ich, damit ich mal merke, was das eigentlich bedeutet. Holger übernimmt die Buchführung. Wir gleichen ab: Für jeden Container, wie den HLXU 6462040 von ROAL, gibt es eine Plombe. Die heißt dann etwa G71943 - eine einmalige Kennziffer.
Plötzlich gibt es aber Probleme: Bei Campos ist der Metallbügel einer Containertüre so verbogen, dass der Container nicht richtig geschlossen werden kann. Ralf fackelt nicht lange und holt eine Flex - das kaputte Ding muss weg. Ich assistiere ihm dabei, ein bisschen mulmig ist mir durchaus. Während ich den Bügel halte, flext er das verbogene Stück ab. Spontanes Handeln gehört manchmal eben auch dazu.
Mitternacht ist lange durch...
Mitternacht ist lange durch als es langsam ruhiger wird im Fahrerlager. Citroen hat noch viel zu tun und etliche Container zu füllen, aber sukzessive geht es auch dort voran. Holger und Ralf beginnen derweil bereits damit, die Ausrüstung einzusammeln. Holzrampen für die Container werden von DHL gestellt, auch Halogen-Scheinwerfer für die Arbeit bei Nacht sowie einige Kabeltrommeln für Strom.
Und ich? Ich friere ein bisschen, zugegeben. Trotz vier Lagen obenrum ist es doch ziemlich frisch geworden in Peking. Die Nachtstunden haben es in sich, aber da muss ich jetzt durch! Ich helfe mit beim Aufräumen, drücke hier und da noch eine Containertür zu, setze kurz darauf noch die eine oder andere Plombe. Und dann sind die Teams allmählich auch durch. Nur: Feierabend ist noch lange nicht.
Holger und Ralf gehen mit mir in die Verlängerung. Noch ist nicht alles verpackt. Beim Container von Panta, dem WTCC-Spritlieferanten, zum Beispiel lagern noch die angebrochenen Benzinfässer. Die müssen in den Behälter bugsiert und dort fixiert werden. Ich wuchte ein, zwei Fässer auf die Palette, stecke am Ende die Plombe auf - fertig! Gleich nebenan geht's aber weiter: Das Safety-Car muss auch mit!
Auch das Safety-Car muss mit!
Nach dem Renneinsatz steht es manchmal mit laufendem Motor im Fahrerlager. Das hat auch einen Grund, wie ich in dieser Nacht erfahre: Die Transportvorschriften sagen, dass kein Benzin im Auto verbleiben darf. Das Safety-Car als normales Straßenauto kann nun mal nicht abgetankt werden. Und so schieben wir das Fahrzeug schließlich hinein in den Container. Holger sitzt hinter dem Steuer, Ralf und ich manövrieren und dirigieren. Gar nicht so einfach, eine solche Nummer!
Viel Platz ist nicht links und rechts, was das Aussteigen ziemlich schwierig macht. Übrigens auch bei den WTCC-Fahrzeugen, wo meist die Spiegel abmontiert werden, damit überhaupt an Vorbeikommen zu denken ist. Und wie die Rennwagen, so wird auch das Safety-Car an jeder Felge mit Spanngurten an den Ösen im Container festgezurrt und anschließend "geschossen", also am Holzboden verankert.
Noch eine Plombe, aber noch nicht die letzte. Es ist inzwischen zwei Uhr früh, zappenduster und gefühlt eiskalt, als Holger, Ralf und ich in die letzten Runden gehen: Rampen einsammeln und mit dem Gabelstapler aufhäufen, dann mit Spanngurten fixieren. Brecheisen, Nagelkanonen, Lampen und Kabeltrommeln sicher im Container verstauen. Und dann, ganz zum Schluss: die letzte Plombe.
Die Container gehen auf die Reise
Wir sind fertig. Ich bin geschafft. Und beeindruckt. Das war ziemlich intensiv! Aber Holger und Ralf winken ab: "So früh sind wir selten fertig!" Wie sie mir berichten, wird nach den Rennen schon mal durchgemacht, damit die Container am nächsten Morgen fertig sind. Dann kommt der lokale Spediteur, in diesem Fall Sinotrans, um die Behälter zu verladen und auf den Weg zu bringen.
Letzteres hat in Peking schon während des Abbaus begonnen. Nachdem einige Teams fertig waren, fuhren Kranwägen ins Fahrerlager. Nacheinander wurden die Container auf die Ladeflächen gehievt und abtransportiert. Diese Operation ist gerade noch im Gange, als wir uns von den chinesischen Kollegen verabschieden. Bleibt nur noch eine Frage zu klären: Wie kommen wir zurück ins Hotel?
Aber eines nach dem anderen. Erst einmal raus aus der Rennstrecke. Gar nicht so einfach, wie wir feststellen. Denn der Tunnel, der unter der Haupttribüne hindurch aus dem Fahrerlager herausführt, ist an seinem Ende mit Metalltoren verschlossen. Eine Klettereinlage später (Himmel hilf!) sind wir aber darüber hinweg. Und wir freuen uns, noch einen der Charter-Busse zu sehen, der auf uns gewartet hat.
Nicht nur an der Rennstrecke wird gearbeitet
Um 2:20 Uhr ist der Spuk vorbei. Wir verlassen den Goldenport Circuit. Und ich sehne mich in der Tat nach ein paar Stunden Schlaf. Das kriege ich auch, nach einem "Feierabend"-Bier mit Holger und Ralf in der Hotellobby. Wir besprechen noch das weitere Vorgehen. Nämlich, dass wir am Dienstag mit dem Zug nach Schanghai reisen, um am Mittwoch an der dortigen Rennstrecke die Container zu öffnen.
Urlaub haben Holger und Ralf auf der Reise aber nicht - nicht zwischen den Rennen und nicht in der Winterpause. Sie koordinieren nämlich nicht nur die Transportabläufe vor Ort, sondern kümmern sich auch um die gesamte Kalender-Logistik, arbeiten Reiserouten aus, planen Verkehrsmittel und den zeitlichen Rahmen, stellen sich dem Papierkrieg mit Behörden und Zoll. Die Arbeit an der Strecke: nur die Spitze des Eisbergs.
Und mehr davon lesen Sie am Donnerstag im zweiten Teil unseres Hintergrund-Berichts: Wie die WTCC-Container das Fahrerlager in Schanghai erreichen, welche "politischen" Hürden zu nehmen sind, wann der erste Behälter gesetzt wird, wie das große Chaos "im Rückwärtsgang" abläuft und wie lange es dauert, bis die Teams am Shanghai Circuit eingerichtet sind. Denn auch das hat Stefan Ziegler hautnah verfolgt!