Hintergrund: Eine Rennserie auf Weltreise (2/2)

, 06.11.2014

In 35 Containern um die Welt: Redakteur Stefan Ziegler schildert, wie sich eine komplette Rennserie entpackt und am neuen Rennplatz einrichtet - Teil 2

Die ersten zaghaften Sonnenstrahlen spielen über den Horizont. Es ist kurz vor sechs Uhr früh in Schanghai. Ich sitze in einem Taxi, auf dem Weg zur Rennstrecke. Die Fahrt ist kurz und erlebnisreich: Gurte gibt es hier nicht, wohl aber "interessante" Verkehrsregeln. Zum Glück ist der Weg bis zum Shanghai International Circuit im Stadtteil Anting nicht weit. Dort steigt Teil zwei meines Abenteuers.

Im ersten Teil habt Ihr erfahren, wie sich eine komplette Rennserie verpackt und was das bedeutet. Seither sind zwei Tage vergangenen, in denen die Teams die rund 1.200 Kilometer von Peking nach Schanghai gereist sind. Mit dem Flugzeug oder - wie ich - mit der Schnellbahn. Knapp fünf Stunden hat es gedauert. Und jetzt stehe ich pünktlich und ausgeruht auf der Matte. Es kann weitergehen!

Das denkt sich wohl auch mein Taxifahrer. Nachdem ich dem Sicherheitsmann an der Schranke meinen WTCC-Medienpass gezeigt habe, dürfen wir passieren und ins Fahrerlager der riesigen Anlage einfahren. Dort treffe ich Holger Krätzig von DHL und Ralf Weischedel von Eurosport. Sie zeichnen für die Logistik der Meisterschaft verantwortlich. Und erneut darf ich sie hinter die Kulissen begleiten.

Die Rennstrecke schaltet auf stur

Wir atmen kühle Morgenluft und stehen zu dritt auf einer gewaltigen Freifläche im Fahrerlager. Doch nichts tut sich. Dabei hatten die lokalen Spediteure noch am Abend vorher betont, exakt um "5:58 Uhr" früh mit dem Abladen beginnen zu wollen. Keine Spur von ihnen. Auch sonst ist nicht viel los. Einzig die Container der chinesischen Meisterschaft sind schon da, auch die Asian-Le-Mans-Series ist schon eingezogen.

Nicht so die WTCC. Denn die Verwaltung des Shanghai International Circuits schaltet an diesem Mittwochmorgen spontan auf stur: kein Einlass vor sieben Uhr. Die Container, die nach wie vor auf ihren Lastwagen stehen, die wiederum vor der Rennstrecke abgestellt sind, können vorerst nicht bewegt werden. Eine ganze Stunde geht verloren. Zeit, die den Beteiligten später vielleicht fehlen wird.

Wir warten. Und wir warten lange. Denn erst mit fast zweistündiger Verspätung fahren die ersten Lastwagen vor. Nach einer bestimmten Reihenfolge: Die Container sollen gemäß dem Plan von Holger und Ralf im Außenbereich des Fahrerlagers abgesetzt werden. Um acht Uhr ist es schließlich so weit: Der Kran hievt HLXU 6376390 von der Ladefläche. Es ist der erste von insgesamt 35 Behältern der WTCC.

Die Teams warten schon auf ihre Fracht

Vier Minuten später haben die Mitarbeiter des lokalen Spediteurs den Container an der richtigen Stelle abgesetzt. Holger und Ralf haben sie entsprechend instruiert, nachdem sie zuvor - ich war dabei - das große Areal abgegangen sind und die Aufstellung festgelegt hatten. Doch es läuft schleppend: Der Kranwagen muss zu oft umparken, die Container kommen nicht so rasch auf den Boden wie geplant.

Und die Teams warten schon. Sie sind bereits gegen neun Uhr mit dem Charterbus an der Strecke angekommen, haben sich dort erst einmal mit Gabelstaplern eingedeckt und ihre Boxen erkundet. Nun lauern die Mechaniker am Rande des Ladeareals und warten, dass sie ins Geschehen eingreifen können. Auch sie brauchen an diesem Vormittag Geduld: Erst um 10:20 Uhr dürfen sie loslegen.

Bis dahin hat der lokale Spediteur so viele Container gesetzt, dass es gefahrlos möglich ist, die ersten Behälter zu öffnen und mit dem Entladen zu beginnen. Und da steht Honda auf der Pole-Position: Ihre drei Container sind die ersten in der Reihe. Damit fängt auch für mich der "Arbeitstag" an. Ihr erinnert Euch an die Abläufe beim Verpacken? Ganz zum Schluss kam die Plombe. Die muss jetzt natürlich wieder weg.

Wie kriege ich die Plombe ab?

Aber wie? Das frage ich mich. Ralf hat die Antwort und drückt mir einen Bolzenschneider in die Hand. "Versuch's mal damit", sagt er mir und grinst. Kurz darauf ist mir klar, warum. Ganz schön unhandlich das Teil, aber irgendwie wird es schon gehen. Also setze ich die Zangen an, links und rechts der Plombe, drücke mit beiden Armen zu. Es tut sich - nichts. So ganz hab' ich den Dreh also nicht raus.

Es ist noch kein Heimwerker-König vom Himmel gefallen. Zumindest nicht in Schanghai. Mit ein paar Tipps, wie ich den Bolzenschneider richtig halte, um maximal Druck auszuüben, gelingt es mir aber doch: Die Plombe ist hin, der Container auf. Und ich bin ziemlich bedient. Das war ein Kraftakt, doch man gönnt mir keine Pause: "Das machst Du jetzt noch 34 Mal", sagt Ralf. Und er meint es ernst.

Doch so weit kommt es gar nicht. Ich darf mich zwar noch an einigen weiteren Plomben versuchen, aber die meisten Teams übernehmen diese Aufgabe der Einfachheit halber selbst. Darüber bin ich nicht unfroh: Nach dem dritten Container hat mich tatsächlich die Kraft verlassen, an der vierten Plombe in rascher Folge scheitere ich glatt. Rien ne va plus. Nichts geht mehr. Der Stachel sitzt tief...

Rushhour im Fahrerlager

Ich habe aber gar keine Zeit, mich ob meiner handwerklichen Leistung zu grämen. Um mich herum passiert viel zu viel. Die Mechaniker, die gerade noch ein Schläfchen auf ihren Gabelstapler absolviert hatten, wuseln auf einmal herum wie die Ameisen. Hier wird ein Container aufgemacht, dort schon ein Auto herausgerollt, drüben nach einem Brecheisen gesucht und ganz hinten arbeitet immer noch der Kran.

Schanghai an einem Mittwochmorgen um elf Uhr. Geschäftiger geht es zu dieser Zeit selbst in Pudong nicht zu. Alles, was am Sonntagabend in Peking in die Container verladen wurde, muss jetzt wieder raus - und rüber in die Boxenanlage. Das ist durchaus eine Herausforderung für die Teams. Denn in Peking standen die Container noch direkt hinter den Garagen. In Schanghai aber ist das nicht möglich.

Ihr erinnert Euch vielleicht? Der Shanghai International Circuit ist auf einem Sumpfgebiet gebaut, wurde für die Errichtung der Gebäude und der Rennbahn teilweise mit Styropor unterfüttert. Und der Platz hinter den Boxen ist offenbar nicht stark genug, als dass er einen Kranwagen samt Container-Last tragen würde. Pech für die WTCC: So ist das Container-Areal ein gutes Stück weg vom Schuss.

Es geht drunter und drüber beim Entladen

Und so pendeln die Gabelstapler zwischen Container und Box hin und her. Mal mit einem Auto am Haken hintendran, mal mit unförmigen Kisten hinter dem Fahrersitz, mal mit einigen Mechanikern als Trittbrettfahrer. Vor allem die Kollegen der chinesischen Meisterschaft erweisen sich als kreativ: Wie im Straßenverkehr, so beim Ausladen, scheint mir. "Abenteuerlich" ist es, angsteinflößend auch...

Kritisch wird es auch für die WTCC-Teams beim Zugang zum eigentlichen Fahrerlager. Zwei schmale Tore gibt es dort, da muss alle Ladung durch. Das stellt vor allem Citroen vor Probleme: Manche ihrer Behälter (da steckt die Boxenausrüstung drin) sind bis zu sieben Meter breit. Als wäre das alleine nicht schon eine schwierige Aufgabe. Im Durcheinander des Ladeverkehrs wird es nicht einfacher.

Und hinter den Boxen geht es nicht minder lebhaft durch. Die Asian-Le-Mans-Series hat dort ihre Zelte aufgeschlagen, weshalb die Rangierfläche ohnehin klein ausfällt. Jetzt aber fahren auch noch Stapler auf und nieder, Behälter stehen hinter den Garagen, andere werden herbeigeschoben. Zwischendurch fährt ein Chinese im privaten Pkw mittendurch. Der ganz normale Wahnsinn beim Aufbau in Übersee.

Sicherheitsabstand ist was Schönes...

Für ein paar Minuten setze ich mich auf die Bank am Eingang zum Fahrerlager und schaue einfach nur zu. Ich sehe, wie Luca von ROAL mit einem Affenzahn den Gabelstapler hin- und wieder herfährt, so viel Fracht bewegt wie niemand sonst. Ich sehe, wie es manchmal ziemlich eng wird. Und ich höre vor allem zwei Geräusche: das Piepen der Stapler im Rückwärtsgang und natürlich das obligatorische Hupen.

Ich bin froh über die leuchtend gelbe Warnweste, die ich erneut trage, halte mich aber trotzdem bewusst aus dem Geschehen heraus. Drüben an der Containerfläche schaue ich noch einmal den Absetzarbeiten zu. Ein bisschen Müdigkeit ist da, als ich mich für einen Moment in die Sonne setze. Kein Wunder: Die Nacht war kurz, ich bin schon lange auf den Beinen, habe sogar schon Sonnenbrand.

Und vor meinen Augen tut sich nicht viel: Um elf reißt der Strom an Lastwagen plötzlich ab. Der Kran steht einfach nur rum, hat keine neue Ware. Erneut kostet es Holger und Ralf wichtige Zeit und auch Nerven, bis die Probleme geklärt sind. Ich beziehe in der Zwischenzeit Stellung am Tunnel zum Fahrerlager. Und eben dort traue ich meinen Augen kaum, wie knapp die Chinesen kalkulieren!

Autos aus dem Container holen - mit dem Brecheisen!

Inzwischen kommen wieder Lastwagen. Sie alle müssen durch die 4,20 Meter hohe Unterführung. Und viel Luft ist da nicht, als wieder ein Auflieger heranrollt. Doch die Handbreit reicht dem Fahrer wohl aus. Er zottelt mit seinem Hänger heran und sorgt für den Fortgang der Arbeiten. Die ziehen sich bis 13 Uhr hin. Dann setzt der Kran den letzten Container ab und die WTCC ist endgültig angekommen.

Und auch ich darf wieder ran: Man drückt mir ein Brecheisen in die Hand. Damit soll ich die "geschossenen" Fahrzeuge von den am Boden verankerten Holzbalken befreien. Also versuche ich mich daran. Sieht sicher ulkig aus, aber es klappt! Das gleiche Spiel veranstalten Holger, Ralf und ich dann auch beim Safety-Car, das ganz zum Schluss entladen wird. Inzwischen habe ich richtig Übung!

Das ist auch gut so, denn vorbei ist mein "Praktikum" noch nicht: Wir sammeln die Holzbalken ein und rücken ihnen mit Hammer und Brecheisen zu Leibe, um die Nägel zu entfernen. Schon am Sonntag wird das Holz wieder verwendet, wenn die WTCC erneut verladen wird, um nach Suzuka transportiert zu werden. Doch das ist am Mittwochnachmittag noch ferne Zukunftsmusik für die arbeitenden Teams.

Die Rennreise ist zu Ende

Sie schuften, sie ackern, sie laden. Am Abend aber ist der Spuk vorbei. Das vorher gähnend leere Boxengebäude ist gefüllt mit Garagenutensilien, auch die Autos parken schon an Ort und Stelle. Die Container stehen ausgeräumt und mit geschlossenen Türen auf dem Ladeplatz - dieses Mal ohne Plomben. Es kehrt Ruhe ein am Shanghai International Circuit. Zumindest bis zur Testsession am Freitag.

Und am Sonntagabend beginnt alles von neuem: zurück in die Container! Auch ich bin wieder dabei. Ich will noch ein weiteres Mal hinter die Kulissen blicken, genieße dieses interessante Schauspiel, helfe nochmals mit. Zum ersten Mal in meinem Leben bewege ich einen Gabelstapler und werde sofort warm mit diesem Gefährt! Nach ein paar Versuchen gelingt es mir sogar, ganz ordentlich zu rangieren.

Die von mir mit dem Stapler vorbereiteten Rampen lade ich selbst in den DHL-Container, wo sie von Holger und Ralf verzurrt und fixiert werden. Ein letztes Mal hebe ich daraufhin die Metallbügel an den Türen, raste sie ein und drücke zu. Holger reicht mir die letzte Plombe, ich schiebe sie in die Halterung und sie klackt ein. Passt! See you at Suzuka, auf der nächsten Station der WTCC-Weltreise 2014.

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