Wo er herkommt, was ihn antreibt, wo er hin will: Der dreimalige Tourenwagen-Weltmeister Jose-Maria Lopez im ausführlichen Porträt
© Foto: Citroen Racing
Jose-Maria Lopez? Wer ist das eigentlich? Stellen auch Sie sich diese Frage, dann sind Sie hier genau richtig. Denn 'Motorsport-Total.com' stellt ihn vor, den neuen Tourenwagen-Weltmeister, und erklärt, wo er herkommt, was ihn antreibt und wo er noch hin will. Es ist die Geschichte eines Mannes, der schon einmal an der Schwelle zum ganz großen Erfolg stand, aber auf Umwegen dorthin kam.
Am bekanntesten ist vermutlich die Episode über seinen geplanten Formel-1-Einstieg mit USF1 zur Saison 2010. Im Januar war er noch als einer der Fahrer des neuen Rennstalls vorgestellt worden, im März wurde der Vertrag jedoch bereits aufgelöst. Das Team selbst trat nie zu einem Rennen an. Und Lopez' großer Traum von einer internationalen Rennkarriere, auf die er hingearbeitet hatte, platzte.
Schon von frühester Kindheit an hatte sich Jose-Maria "Pechito" Lopez für den Motorsport begeistert. Der am 26. April 1983 in Rio Tercero geborene Rennfahrer sauste alsbald über die Kartbahnen in seiner Heimat. Schon bald aber wanderte er aus: Wie viele südamerikanische Nachwuchspiloten zog es auch Lopez nach Europa. Und es dauerte nicht lange, bis er sich dort einen Namen gemacht hatte.
Auf dem besten Weg in die Formel 1
Sein Einstieg in den Formelsport gelang bravourös. Nach einem Lernjahr in der Formel Renault holte er 2002 den Titel in der italienischen Meisterschaft - vor einem gewissen Robert Kubica, der später als erster Pole einen Formel-1-Grand-Prix gewinnen sollte. Und auch für Lopez lief es vielversprechend: 2003 legte er den Gesamtsieg im Formel-Renault-Eurocup nach und testete für Renault in der Formel 1.
Im Jahr darauf zählte Lopez zu den Stammpiloten in der Formel 3000, die zur Saison 2005 von der GP2 abgelöst wurde. Auch dort war Lopez aktiv, stand gleich beim ersten Rennen als Zweiter auf dem Podest und feierte bereits am zweiten Rennwochenende seinen ersten und einzigen GP2-Laufsieg in zwei Jahren in der Meisterschaft. Parallel dazu wurde er 2006 zum offiziellen Renault-Testfahrer bestellt.
Mehrere Podestplätze in der GP2 reichten aber nicht aus: Lopez sah keine Perspektive mehr im Formelsport und wandte sich ab von Europa, zog zurück in seine Heimat Argentinien. Und dort wurde er binnen weniger Monate zu einem Tourenwagen-Star: Er fuhr zeitgleich in mehreren Rennserien und gewann 2008 seinen ersten Meistertitel in der Turismo Carretera. Weitere Erfolge stellten sich ein.
Der Grand-Prix-Traum platzt
Und auf einmal sorgte sein Namen international für Schlagzeilen, als ihn das USF1-Team als Fahrer für das angestrebte Formel-1-Debüt nominierte. Die Freude währte aber nur kurz. Und Lopez bestritt weiter Tourenwagen-Rennen in Südamerika. Fast an jedem Wochenende. Und überaus erfolgreich. Die Motorsport-Welt hatte ihn aber bereits wieder vergessen. Doch dann schlug seine große Stunde.
Als die WTCC 2013 erstmals Termas de Rio Hondo ansteuerte, bot sich Lopez die Möglichkeit für einen Gaststart bei Wiechers-BMW. "Manchmal", so sagt Lopez heute, "kommen im Leben Dinge einfach zum richtigen Moment." Dieser Gaststart war einer dieser Momente. Denn Lopez überzeugte auf Anhieb und mit eigentlich unterlegenem Material: Er gewann gleich sein zweites WTCC-Rennen.
Argentinien feierte seinen Helden. Und Europa wurde wieder auf ihn aufmerksam. Vor allem WTCC-Neueinsteiger Citroen warf sogleich ein Auge auf den heute 31-Jährigen und lud ihn zu Testfahrten im neuen C-Elysee ein. Wenige Wochen später wurde Lopez unter Vertrag genommen. Einige Monate danach holte er beim Saisonauftakt 2014 die Pole-Position und siegte im ersten Rennen für Citroen.
Lopez überrascht alle - und sich selbst
Das war aber erst der Anfang. Denn Lopez, von Anfang an WM-Spitzenreiter, zeigte im gesamten Jahr keine Schwäche und war ein Muster an Konstanz. Das trieb selbst WTCC-Rekordchampion Yvan Muller zur Verzweiflung: Als WM-Favorit in die Saison 2014 gegangen, musste Muller nämlich alsbald erkennen: Lopez würde ihm nicht nur die Show, sondern am Jahresende auch den Titel stehlen.
Am 26. Oktober 2014 war es schließlich so weit. Lopez, der seinen Vorsprung in der Gesamtwertung über das Jahr hinweg kontinuierlich ausgebaut hatte, sicherte sich in Suzuka vorzeitig den WM-Titel. Als erster Argentinier seit Juan-Manuel Fangio 1957 und als erster Südamerikaner seit Ayrton Senna 1991. Nicht Topfavorit Muller und auch nicht Rallyelegende Sebastien Loeb, sondern "Pechito" Lopez.
"Das war eine Überraschung für mich", sagt Lopez in seiner so typisch offenen und ehrlichen Art. Er habe nach seinem Gaststart in Termas de Rio Hondo "nicht im Traum" daran gedacht, 2014 einen Platz in der WTCC zu erhalten. "Ich war zwar auf der Suche nach einer neuen Herausforderung, aber dass sie so schnell kommen würde, hätte ich nicht gedacht." Und Lopez setzte alles auf eine Karte.
Das lange Warten auf die große Chance
Nach den ersten Testfahrten für Citroen musste er sich in Geduld üben. "Ich hatte ein gutes Gefühl, musste aber sehr, sehr lange warten. Das", so sagt er heute, "hat mich fast umgebracht. Ich hatte nämlich bereits viele Anfragen von Teams aus Argentinien erhalten. Ich habe jedoch allen abgesagt. Ich wollte unbedingt in Europa oder in der WM fahren." Und dann kam der erlösende Anruf aus Versailles.
Der Rest ist Motorsport-Geschichte, das Ergebnis harter Arbeit und eines bedingungslosen Einsatzes. "Ich bin wegen der WTCC aus Argentinien weg. Weg von meiner Familie", sagt Lopez. "Jetzt wohne ich zusammen mit meiner Freundin in der Schweiz und fühle mich wohl dort." Viel Freizeit habe er aufgrund seiner Verpflichtungen für Citroen nicht. Wenn, dann fährt er gern Fahrrad und bestreitet auch mal Triathlons.
Über die Formel 1 denkt er inzwischen nicht mehr nach, auch wenn er hin und wieder im Grand-Prix-Fahrerlager gesichtet wurde. "Viele Argentinier meinen noch immer, ich sollte in der Formel 1 fahren", sagt Lopez. "Dafür gibt es aber einen bestimmten Zeitpunkt. Und ich glaube, dass der hinter mir liegt." Er konzentriere sich nun auf die WTCC.
Seit 2014 in der WTCC das Maß der Dinge
Und das mit großem Erfolg. "Für 2014 hatte ich mir vorgenommen, mich zu etablieren und möglichst viel Erfahrung zu sammeln", erklärt Lopez. "Rennen zu gewinnen war nicht auf Anhieb mein Ziel, geschweige denn, dass ich jemals an den Titelgewinn gedacht habe. Ich wollte einfach eine so gute Leistung zeigen, dass mich Citroen weiter behält. Und ich glaube, das hat auch ganz ordentlich geklappt."
Wenn das mal keine Untertreibung ist. Denn 2015 bewies Lopez, dass sein Titelgewinn im Vorjahr keine Eintagsfliege war. Bereits beim Auftaktrennen in seinem Heimatland Argentinien machte "Pechito" klar, dass der Weg zur Meisterschaft auch 2015 nur über ihn geht. Vom ersten bis zum letzten Moment führte er die Meisterschaftswertung an, und nach dem Sieg im ersten Rennen von Buriram durfte er Titel Nummer zwei feiern.
Wer geglaubt hatte "Pechito" sei damit statt, der sah sich getäuscht. Auch machte der Argentinier klar, dass er der Fahrer ist, den es im Kampf um die Meisterschaft zu schlagen gilt. Doch die Konkurrenz hatte aufgeholt und machte Lopez das Leben in der ersten Saisonhälfte schwerer als je zuvor. Vor allem in Honda-Pilot Tiago Monteiro erwuchs Lopez ein neuer Rivale. Dann kam aber das Rennen auf der Nürburgring-Nordschleife, und "Pechito" war zur Stelle, als die anderen strauchelten.
Neue Herausforderung in der Formel E
Ihm gelang das Kunststück, beide Rennen auf der Nordschleife zu gewinnen. Zum Lohn wurde er von Kollege Tom Chilton als "Ayrton Senna der Tourenwagen" geadelt. Nach seinem Doppelsieg nahm er klar Kurs auf WM-Titel Nummer drei, von dem er auch in einer schwierigen Zeit zur Saisonmitte nicht abkam, als er erstmals in seiner WTCC-Karriere bei fünf Rennen in Folge nicht auf dem Podium stand. In Motegi war dann der Titel-Hattrick perfekt.
Da stand aber schon fest, dass es der dritte WM-Titel für Lopez auch sein letzter sein wird. Nach drei Jahren, in denen er in der WTCC alles gewonnen hat, was es zu gewinnen gibt, suchte er sich eine neue Herausforderung und fand diese in der Formel E, der Rennserie für elektrisch angetriebene Formelfahrzeuge. Die Formel E wird immer stärker, und ich freue mich besonders über die Rückkehr nach Buenos Aires", begründet Lopez seinen Wechsel.
In der WTCC wird er in der kommenden Saison fehlen. Vergessen wird man den sympathischen, (fast) immer lächelnden Argentinier jedoch nicht. Denn nicht nur als Rennfahrer, sondern auch als Mensch hat er in der Tourenwagen-WM nachhaltig Eindruck hinterlassen. "Als Pechito in die WTCC kam, war er der Prinz der Tourenwagen in Argentinien. Ende 2016 wird er sie als König der Tourenwagen-WM verlassen." Diesen Worten von Serienchef Francois Ribeiro ist nichts hinzuzufügen.