Kolumne: Demolition-Derby statt WM-Finale

, 18.11.2013

Redakteur Stefan Ziegler schreibt über das Saisonfinale der WTCC in Macao, das alles andere als WM-würdig war und etliche Fragen aufgeworfen hat

Liebe Leser,

das glaube ich einfach nicht. Dieser Gedanke schoss mir durch den Kopf, als ich das Saisonfinale der WTCC in Macao aus dem Pressezentrum des Guia Circuits verfolgt habe. Denn während es mich dank der auf "ewiger Winter" eingestellten Klimaanlage selbst in meiner Jacke noch fröstelte, lief es mir beim zweiten Rennen auch eiskalt den Rücken runter. Das hatte aber ganz andere Gründe.

Es war nicht mal der Massencrash in der ersten Runde, der zwar durchaus furchterregend, aber in gewisser Weise auch erwartet worden war. Ihr wisst schon: Die Chancen, dass alle Autos die erste Rennrunde in Macao überstehen, sind äußerst gering. Spätestens an der Lisboa-Ecke knallt's in jedem Rennen das erste Mal so richtig. Weshalb Lauf eins eine sehr überraschende Ausnahme war.

Zum Glück geht alles glimpflich aus...

Der Mega-Unfall im zweiten Rennen dagegen hatte irgendwie in der Luft gelegen. Wenngleich ich nicht vor der schnellen Mandarin-Kurve mit dem großen Crash gerechnet hatte. Aber wie auch immer: Das war leider ein typischer Rennauftakt in Macao. Was darauf folgte, war das blanke Chaos und einer Weltmeisterschaft absolut unwürdig! Man kann von Glück reden, dass niemand verletzt wurde.

Ein so glimpflicher Ausgang der Zwischenfälle war nicht unbedingt abzusehen. Man denke nur an den Streckenposten, der sich zwischen den havarierten Fahrzeugen bewegte, nachdem Eurico de Jesus den langsam fahrenden Rennwagen von Tom Chilton aufs Korn genommen hatte. Wohl lebensmüde? Anders kann ich mir dieses Verhalten nicht erklären. Zumal es gleich darauf erneut heftig schepperte.

Und das unter Gelb. Oder kurz darauf sogar unter Rot! Was muss die Rennleitung denn bitteschön noch tun, um die Herren Rennfahrer dazu zu bewegen, sich auf einem der schwierigsten Stadtkurse der Welt mit verminderter Geschwindigkeit einer Gefahrenstelle zu nähern? Die Nummer war zu viel des Guten. Und sie ist auch auf den Umstand zurückzuführen, dass in Macao viele Gastpiloten mitfuhren.

...und die 107-Prozent-Regel ist plötzlich egal?!

Die sind beim traditionellen WTCC-Saisonfinale ein Problem. Und das ist nicht neu. Auch an diesem Wochenende waren Schwierigkeiten vorprogrammiert. Denn die Gastpiloten waren zum Beispiel im Qualifying bis zu 16,6 Sekunden (!) langsamer als die Spitze. Müßig zu erwähnen, dass dieser Wert außerhalb der 107-Prozent-Marke lag. An den Rennen durften Kam San Lam & Co. aber trotzdem teilnehmen!

Schon alleine das ist eigentlich ein Skandal, vor allem in Macao. Und bei einer Veranstaltung, bei der für gewöhnlich die Entscheidungen in den Gesamtwertungen fallen. In diesem Jahr waren die Plätze zwar größtenteils schon vergeben, doch braucht man wirklich ein "künstlich" aufgestocktes Starterfeld auf 34 Fahrzeuge? Nichts anderes ist es beim Saisonfinale der WTCC. Und da klingelt auch die Kasse.

Wer einen Gaststart in der Weltmeisterschaft absolvieren will, der muss beim Automobil-Weltverband (FIA) natürlich eine gewisse Gebühr entrichten. Macao unterstützt die einheimischen Fahrer dabei, die nötigen Finanzmittel aufzubringen. Wer unter der Flagge der ehemaligen portugiesischen Kolonie in der WTCC antritt, bekommt zudem einen fetten Bonus. Aber halt nur, wenn man auch im Rennen startet.

Bis zu einer Million Euro an Schaden - nur am Sonntag!

Als wäre das alleine nicht Grund genug, Entrüstung zu wecken. Die aus Macao stammenden Piloten zählen häufig auch nicht gerade zu den erfahrensten Männern im Geschäft. Die WTCC kennen sie oft auch nicht, werden aber ohne großes Federlesen zum wichtigsten Rennwochenende auf der wohl gefährlichsten Strecke im Kalender zugelassen. Auch das ist einer Weltmeisterschaft nicht würdig!

Oder um einmal ein paar nackte Zahlen zu bemühen: Im unfallreichen zweiten Rennen sahen gerade einmal 15 Fahrzeuge die Zielflagge. 15, nachdem elf Runden zuvor 33 Fahrer den stehenden Start absolviert hatten! Die 18 verunfallten Autos hatten am Ende teilweise nur noch Schrottwert. Die Schäden belaufen sich, wie ich mir habe sagen lassen, auf etwa 500.000 bis eine Million Euro!

Und es wird noch besser: Ihr erinnert Euch daran, wie WTCC-Teenager Pepe Oriola gleich zweimal seine Gegner in die Leitplanken geschickt hat? Im ersten Rennen Tom Chilton, im zweiten Rennen James Thompson. Beide schieden als Folge dieser Unfälle aus, während Oriola am Ende sogar als Zweiter auf dem Podest stand. Klarer Fall, dachte ich mir, den wird er später nach einer Strafe verlieren.

Was macht eigentlich die Rennleitung?

Pustekuchen: Für den Chilton-Zwischenfall gab's eine nachträgliche 30-Sekunden-Strafe, für den Thompson-Zwischenfall nur eine Verwarnung. Wie bitte? Ja, in der Tat: Das ist eine nun wirklich sehr seltsame Entscheidung der Rennleitung. Sie wird aber nachvollziehbar, wenn man die Faktenlage kennt. Das zweite Rennen war schon peinlich genug. Dann auch noch eine nachträgliche Ergebniskorrektur?

Oriola hätte seinen zweiten Platz verloren, hätte die Pokale zurückgeben müssen. Nicht unbedingt das, was man im Nachklapp zum letzten Rennen des Jahres als Schlagzeile haben will. Auch nicht, wo Oriola doch seine aus Macao stammenden Sponsoren im Rennen und bei der Siegerehrung so schön im TV präsentiert hatte. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Es gab aber auch andere Strafen.

Zum Beispiel wurden in Macao diverse Piloten dafür belangt, dass sie an der Waage vorbeigefahren waren, dass ihr Auto beim Drei-Minuten-Signal vor dem Start nicht auf den Rädern stand oder dass sie unter Rot in die Boxengasse abgebogen waren. Und die Unfall-Verursacher im zweiten Rennen? Deren Taten wurden scheinbar nicht mal untersucht! Denn dazu liegen überhaupt keine Berichte vor.

Ob Gelb, ob Rot: Nicht mal eine Untersuchung wert?

Außer einem: Der Auffahrunfall von Eurico de Jesus, der die zweite Rotphase eingeleitet hat, ist tatsächlich von der Rennleitung bearbeitet worden. Mit dem Ergebnis, dass der Zwischenfall als "Rennunfall" eingestuft wurde. Aha. Und die ganzen Kasper, die nach diesem Crash unter Gelb und unter Rot in die stehenden Fahrzeuge reingedonnert sind, haben also alles richtig gemacht?

Bildet Euch selbst eine Meinung. Die Rennleitung scheint es jedenfalls nicht für nötig empfunden zu haben, die angekündigten Untersuchungen gegen neun Fahrer (!) vollständig in die Tat umzusetzen. Vielleicht auch deshalb nicht, weil die WTCC in Macao am Rennsonntag unter Zeitdruck stand. Um 13:48 Uhr fiel die Zielflagge, um 19 Uhr wurden die Beteiligten zur offiziellen Siegerehrung erwartet.

Eben diese Veranstaltung findet traditionell am Sonntagabend statt - am anderen Ende der Stadt, beim markanten Fernsehturm. Das darf man sich doch nicht entgehen lassen, weshalb sich also über Gebühr mit den Vorfällen beschäftigen? Nur: Bei anderen Gelegenheiten saßen meine Kollegen und ich auch schon bis tief in die Nacht im Pressezentrum vor Ort, um auf Entscheidungen zu warten.

Kein gelungener Abschied in die Winterpause...

Ihr seht also: Diese letzte Rennveranstaltung der WTCC-Saison 2013 war alles andere als ein Ruhmesblatt für die Meisterschaft. Und das auch noch beim letzten Rennen unter den aktuellen Regeln, die zur Saison 2014 durch neue ersetzt werden. Werbung dafür und für die WTCC geht aber anders, meine ich. Mit dieser Vorstellung hat sich die Rennserie jedenfalls keinen Gefallen getan.

Natürlich kann man an dieser Stelle einwerfen: Wer sein Saisonfinale freiwillig in Macao austrägt, dem ist nicht mehr zu helfen. Und wer unerfahrene oder etwas bessere Hobbypiloten beim WM-Endspiel auflaufen lässt, der braucht sich nicht zu wundern. Punkt. Den Ruf, weniger eine Rennserie, sondern vielmehr eine Motorsport-Lachnummer zu sein, wird man dadurch aber ganz bestimmt nicht los.

Doch genug der Meckerei. Zum Schluss noch ein Wort zur Saison 2013, die für mich auf dem Flughafen von Hongkong allmählich zu Ende geht. Mit den Eindrücken aus Macao, dem wohl verrücktesten Rennplatz auf dieser Welt. Mit den Erinnerungen an eine Saison voller Höhen und Tiefen. Und mit der Gewissheit, dass es auch 2014 wieder viele kuriose Szenen geben wird.

In diesem Sinne: Ich verabschiede mich ans Gate und von dort in die WTCC-Winterpause. Aber keine Sorge: Bis zum Saisonstart 2014 seid Ihr auf Motorsport-Total.com natürlich bestens aufgehoben! Es gibt einige spannende Entwicklungen, von denen ich Euch in den kommenden Tagen noch berichten werde. Auch Macao wird erneut ein Thema sein. Aber erst nach dem elfstündigen Flug in die Heimat!

Beste Grüße & kommt gut rein in die WTCC-Winterpause!

Euer



PS: Folgt mir bei Twitter unter @MST_StefanZ!

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