Kolumne: Der feine Unterschied

, 24.03.2014

Der letzte WTCC-Test vor Saisonbeginn: Redakteur Stefan Ziegler schildert seine Eindrücke zum neuen Kräfteverhältnis und vergibt die Favoritenrolle für 2014

Liebe WTCC-Fans,

rien ne va plus - nichts geht mehr. Was der Croupier beim Roulette zu sagen pflegt, trifft auch auf die Situation der WTCC-Teams zu. Denn die Wintertests vor der Rennsaison 2014 sind abgeschlossen. Das, was sich die Marken in den vergangenen Wochen erarbeitet haben, ist also auch das, womit sie im April ins erste Rennwochenende gehen. Und die jeweiligen Umstände sind sehr unterschiedlich.

Davon habe ich mich vor Ort in Valencia überzeugt. Denn unter der spanischen Sonne wurde noch einmal deutlich, dass sich die WTCC in diesem Jahr sehr verändert: Die neuen Autos sind lauter als ihre Vorgänger, sehen interessanter aus - und sie sind auch wesentlich schneller. Um mehr als sechs Sekunden, wie ein Vergleich zwischen der Pole-Position von 2012 und der jüngsten Bestzeit belegt.

Erstmals sind die WTCC-Testzeiten öffentlich

Beim bisher letzten Auftritt der WTCC in Valencia fuhr Yvan Muller im Qualifying in 1:42.2 Minuten an die Spitze. Sein französischer Landsmann Sebastien Loeb markierte am letzten Testtag in 1:35.6 Minuten einen neuen Topwert. Das zeigt: Die Vorgabe der FIA, wonach die neuen TC1-Autos pro Kilometer um 1,0 bis 1,5 Sekunden schneller sein sollen, hat sich zumindest in Valencia optimal erfüllt.

Dass ich überhaupt von den Rundenzeiten schreiben kann, ist der Tatsache zu verdanken, dass in den Boxen erstmals Zeitenmonitore aufgestellt waren. Zur Erinnerung: Bei den Tests in Le Castellet war noch Geheimniskrämerei angesagt. Auf Bitten der Hersteller Citroen und Honda hatte man dort die offizielle Zeitnahme abgestellt. In Valencia hingegen waren die Zeiten für jedermann ersichtlich.

Vor allem Citroen dürfte beim Blick auf die Bildschirme viel Freude gehabt haben. Mit dem C-Elysee hatte die französische Marke das Geschehen klar im Griff, belegte souverän den ersten Platz und lag auch bei der Topspeed-Wertung weit vorn. Der Vorsprung auf Honda in Zahlen ausgedrückt: 1,3 Sekunden, vier bis fünf km/h! Realistisch? Vielleicht. In jedem Fall ein Warnsignal an die Konkurrenz.

Der neue TC1-Cruze überrascht

Und noch einen Aha-Moment hielten die Tests in Valencia bereit: Der von RML gebaute Chevrolet Cruze war gleich bei seiner ersten Ausfahrt gut dabei. Okay, am ersten Tag spielte die Halterung des Heckflügels nicht mit . Aber als der neue TC1-Cruze (in repariertem Zustand) tags darauf erst einmal ins Fahren kam, war er auf Anhieb schnell: bester Topspeed - und nur zwei, drei Zehntel hinter Honda!

Fehlt nur noch Lada. Doch die haben auf das kollektive Aufeinandertreffen in Spanien verzichtet, testen in dieser Woche lieber noch einmal alleine in Magny-Cours. Rundenzeiten? Fehlanzeige! Wo die russische Marke steht, zeigt sich wohl erst beim Saisonauftakt in Marrakesch. Dann werden einige WTCC-Fahrer übrigens erstmals ins Lenkrad ihrer neuen Autos greifen, die jetzt noch nicht fertig sind.

Doch zurück zum letzten Wintertest und zur Frage, ob die Zeitentabelle aus Valencia wirklich als Anhaltspunkt für das neue Kräfteverhältnis gelten kann. Antwort: ja und nein. Ja, weil (fast) alle Marken zum ersten und einzigen Mal unter gleichen Bedingungen und bei offizieller Zeitnahme unterwegs waren. Und weil es sicher sinnvoll wäre, die letzte Testmöglichkeit vor Saisonbeginn optimal zu nutzen.

War das schon alles oder kommt noch was?

Außerdem standen Tiago Monteiro bei Honda und Loeb bei Citroen zum ersten Mal die fertigen Einsatzautos für die Saison 2014 zur Verfügung. Mit dieser Spezifikation werden der Portugiese und der Franzose auch beim Auftakt in Marrakesch fahren. Und vorher würde man sich doch sicherlich eine Standortbestimmung wünschen - und einen Härtetest, ob der Neuwagen überhaupt mitspielt.

Andererseits: Der neue Chevrolet hat zum Beispiel gerade mal seine ersten Kilometer abgespult. Und das in den Händen von Tom Chilton und Hugo Valente. Ein WTCC-Routinier wie Tom Coronel holt vielleicht ganz automatisch noch etwas mehr aus dem Auto heraus. Genau das haben wiederum die Werksfahrer von Citroen und Honda bewusst nicht getan: Nicht jede schnelle Runde wurde beendet.

Das Rätselraten geht also in die nächste Runde. Eine Auflösung gibt es wohl erst in Marrakesch. Oder, weil das ein untypischer Stadtkurs ist, eher in Le Castellet, der ersten klassischen Rundstrecke im Kalender. Was wir dort sehen werden? Ich glaube: Rennen, die von Citroen bestimmt werden. Die französische Marke hat so unfassbar viel getestet, dass alles andere eine gewaltige Überraschung wäre.

Citroen vor Honda - oder doch ganz anders?

Und nicht vergessen: Neben Loeb, auf den sich die Berichterstatter stürzen wie die Fliegen aufs Obst, fährt da ja noch ein gewisser Yvan Muller. Der wird schon dafür sorgen, dass der Citroen C-Elysee von Anfang an ein solides Tempo vorlegt. Honda sehe ich deshalb "nur" in der Rolle des Verfolgers. Der vergleichsweise späte Testeinstieg wird seine Spuren hinterlassen - und Rückstand bedeuten.

Habe ich bisher Lada als große Unbekannte betitelt, so muss ich diese Bezeichnung nach Valencia auf zwei Marken erweitern. Denn neben dem TC1-Granta ist wohl auch der TC1-Cruze eine große Wundertüte, beide mit Chancen auf eine Überraschung. Leid tut es mir nur um die TC2-Autos: Die werden nämlich von Anfang an hoffnungslos hinterhergondeln, vielleicht sogar überrundet werden...

Das kann nur die Zukunft zeigen. Und darauf bin ich schon mächtig gespannt! Denn was ich Euch, liebe Leser, bereits mit Sicherheit an die Hand geben kann: Vorfreude! Die neuen TC1-Autos sind nämlich wirklich toll und machen schon beim Zuschauen viel Spaß! Wollen wir hoffen, dass sich das auch auf das Renngeschehen erstreckt. Dafür müssen wir aber nun wirklich Marrakesch abwarten.

Beste Grüße & auf einen tollen Saisonstart!

Euer



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