So sieht's aus: WTCC-Chef Lotti im Interview

, 25.04.2013

WTCC-Serienchef Marcello Lotti im ausführlichen Interview: über die Situation der Meisterschaft, die neuen Regeln für 2014 und die Rennplanung der Zukunft

24 Autos, vier Weltmeister und viel Zuversicht. Das hat Marcello Lotti im Rennjahr 2013. Denn die WTCC präsentiert sich in ihrer bereits neunten Saison in gutem Zustand - und auch das Interesse der Hersteller ist neu entfacht. Was nicht zuletzt am Reglement liegt, das die WTCC im kommenden Jahr einführen wird, um die Meisterschaft spektakulärer zu machen. Ob das gelingt? Im exklusiven Interview mit 'Motorsport-Total.com' zeigt sich Lotti optimistisch, dass 2014 eine gute Saison wird...

Frage: "Marcello, die neue Saison hat mit 24 Fahrzeugen in der Startaufstellung begonnen, Honda ist neu dabei und Lada ist wieder da. Damit bist du sicher sehr zufrieden..."

Marcello Lotti: "(lacht; Anm. d. Red.) Wir können jedenfalls nicht behaupten, nicht zufrieden zu sein. Das ist klar. Vor allem nicht, wenn wir die nach wie vor schwierige Wirtschaftslage bedenken. Die Krise ist noch nicht überstanden. Deshalb sind wir sehr zufrieden."

"Ich freue mich nicht nur über die Anzahl von Autos in der Startaufstellung, sondern auch über das Engagement unserer langjährigen Teams. Auch einige neue Rennställe sind mit dabei. Münnich ist mit dem GT1-Weltmeister von 2012, Marc Basseng, zugestiegen. Das sieht alles sehr gut aus. Wir haben drei WTCC-Champions in der Startaufstellung - Yvan, Rob und Gabriele. Sie alle fahren unterschiedliche Autos. Das macht die Sache besonders spannend."

"Auch die Leistung von Lada hat mich bisher begeistert. Natürlich: In Monza hatten sie richtig viel Pech. Ich bin aber sehr gespannt, was Lada noch zeigt. Ich glaube, sie haben das Potenzial, um vorn mitzumischen. Alles in allem müssen wir zufrieden sein."

Lotti deutet baldige Ford-Rückkehr an

Frage: "Hand aufs Herz: Hättest du geglaubt, in diesem Jahr 24 Autos in der Startaufstellung zu haben. Hattest du es dir so vorgestellt? Mit wie vielen Fahrzeugen hast du gerechnet?"

Lotti: "Um ehrlich zu sein: mit 27 Autos (lacht; Anm. d. Red.). Das ist die Wahrheit. Wir arbeiten weiter daran, einen Weg zu finden, die Ford-Fahrzeuge zurückzukriegen. Wir werden sehen. Ich hoffe, sie finden eine Möglichkeit, einen Deal mit einem neuen Unterstützer zu machen, dass wir sie schon bald in der Meisterschaft sehen."

Frage: "Wie dürfen wir das verstehen? Sind die Ford-Autos bereits im Besitz eines neuen Teams? Was kannst du darüber sagen?"

Lotti: "Es gibt ein Projekt, um das gesamte Material zu übernehmen und es im Rennbetrieb einzusetzen. Es würde technische Hilfe von Ford geben. Sie sind bereit dazu. Im Augenblick ist aber noch nicht alles finalisiert. Hoffentlich wird es schon bald zum Abschluss gebracht."

Frage: "Wo wir gerade vom Finalisieren gewisser Dinge sprechen: Wie steht es denn um die Pläne, ein Rennen in Argentinien auszutragen? Zum Beispiel am 4. August 2013..."

Lotti: "Argentinien ist ein Land in Südamerika (lacht; Anm. d. Red.). Nun gut, sagen wir es so: In Brasilien haben wir ein Problem mit der Logistik. So viel kann ich verraten. Wir können Brasilien so nicht im Kalender halten. Für uns ist aber klar: Wir brauchen Brasilien."

"Es handelt sich um einen unserer Rennplätze, der Priorität genießt. 2014 werden wir dorthin zurückkehren. Daran arbeiten wir schon. Damit der südamerikanische Markt für unsere Partner nicht verloren geht, finalisieren wir gerade die Organisation einer Veranstaltung in Argentinien. Diese solle am 4. August 2013 stattfinden. Ich hoffe, schon bald eine Antwort vom Weltverband zu haben, der diese Kalenderänderung absegnen muss."

Frage: "Auf welcher Strecke soll diese Veranstaltung angehalten werden?"

Lotti: "Es wird wohl in der Provinz Santiago del Esteiro stattfinden. Dort gibt es eine schöne Strecke. Noch ist sie nicht homologiert, aber Grad zwei sollte kein Problem sein. Unsere Partner vor Ort sind jedenfalls sehr engagiert. Wenn wir all das offiziell machen, wird es eine erfolgreiche Sache werden. Gut ist auch: Die Strecke liegt recht nahe an der Location in Brasilien. Das macht es 2014 leichter, beide Veranstaltungen im Kalender unterzubringen."

Frage: "Brasilien kehrt also 2014 zurück. Ist der Ort dafür dann schon fix?"

Lotti: "Ich denke, Curitiba ist sicher eine Möglichkeit."

Frage: "Bleiben wir für einen Moment thematisch bei 2014: Die neue Saison wirft schon ihre Schatten voraus, doch das neue Reglement gibt es noch nicht..."

Lotti: "Warum sagst du das? Gehörst du etwa zur Arbeitsgruppe? (lacht; Anm. d. Red.) Aber ja: Die neuen Regeln wurden noch nicht publiziert, weil es dieser Tage ein letztes Meeting der Arbeitsgruppe gab, in dem es um die finale Version des Reglements ging. Alle Hersteller hatten aber schon vorher genug Informationen, um mit der Arbeit an den neuen Autos zu beginnen."

Frage: "Es gibt also kein Problem bei der Regelgebung und es besteht auch nicht die Notwendigkeit, die neuen Regeln auf 2015 zu schieben?"

Lotti: "Nein. Auf gar keinen Fall. Die neuen Regeln kommen 2014."

Frage: "Und wie ist das Interesse der Hersteller an diesem neuen Reglement? Bekommst du täglich Anrufe?"

Lotti: "Für einen Promoter ist es natürlich einfach, zu sagen: Dieser oder jener Hersteller ist interessiert. Deshalb bin ich da vorsichtig. Wir alle wissen ja schließlich: Alle Hersteller sind sehr große Unternehmen mit großen Vorstandsetagen. Und solange nichts unterschrieben ist, gibt es auch nicht sehr viel zu sagen. Vorsicht ist da besser als Nachsicht."

"Aber: Das Interesse ist sicherlich vorhanden. Wir reden von SEAT, von Honda, von Lada, die bereit dazu sind, das neue Auto zu bauen. Ob für ein Werksteam oder für den Kundensport, das ist ein anderes Thema. Das müssen die Hersteller selbst entscheiden. Das wird in den nächsten zwei Monaten passieren, denke ich."

"Citroen hat Interesse daran, einzusteigen, wie wir wissen. Sie sind an der Arbeitsgruppe beteiligt. Übrigens gilt das auch für Renault und Subaru. Sie haben aber noch keine Position bezogen und sich nicht zu ihren Plänen geäußert. Sie arbeiten aber an der Regelgebung mit. Über diese Marken hinaus arbeiten wir auch noch mit zwei weiteren. Wir werden sehen. Wir sollten schon bald Antworten haben."

Und wer steigt denn nun 2014 zu?

Frage: "Und wann rechnest du mit Antworten?"

Lotti: "Noch vor Mai. Ich sage nicht, dass wir damit rechnen, dass die Hersteller zusagen. Ich konzentriere mich eher darauf, dass es Hersteller gibt, die ein Auto für die neuen Regeln homologieren."

"Und wenn das passiert, bedeutet es, es gibt ein Interesse. Sonst würden sie kein Geld in die Hand nehmen und ein Auto entwickeln. Das ist das Wichtigste. Danach geht es natürlich darum, eine gute Teilnahme an der Meisterschaft sicherzustellen. Das ist aber erst der zweite Schritt."

Frage: "Hast du die Sorge, dass 2014 zu wenige neue Autos in der Startaufstellung stehen könnten?"

Lotti: "Ich habe es dir wahrscheinlich schon ein paar Mal gesagt: Ich kam schon mit Sorgen auf die Welt, gehe jeden Abend mit Sorgen ins Bett und wache besorgt wieder auf. Und das ist erst der Anfang (lacht; Anm. d. Red.). Aber Spaß beiseite: Der Russland-Event im Juni 2013 könnte ein guter Zeitpunkt sein, um zu wissen, was 2014 passiert."

"Es geht ja auch darum, das Sportliche Reglement zu definieren. Im Juni sollten wir dann die Anzahl der Autos kennen, die neu homologiert werden, und wie viele Marken dabei sein werden. Dann sollten wir auch wissen, wann die einzelnen Autos bereit sein werden."

"Möglicherweise stehen manche Autos von Anfang an in der Boxengasse, andere vielleicht erst im Sommer. Das muss man bedenken. Klar ist: Mit nur zwölf Autos hast du keine Startaufstellung. Falls es doch so kommt, müssen wir das bei den sportlichen Regeln berücksichtigen und eine B-Klasse schaffen."

Wichtig ist Lotti vor allem die Regelstabilität

"Das kann man sich in etwa so vorstellen wie der Wechsel vom 2,0-Liter-Benzinmotor auf den 1,6-Liter-Turbomotor. Damals hatten wir eine ganz ähnliche Situation. Wir wussten nicht, wie viele Marken bereit sein würden. Deshalb hatten wir letztendlich beide Versionen in der Meisterschaft. 2014 könnte es ein ähnliches Szenario geben, falls es zum Saisonstart nicht genug Marken sind, die ein Auto haben."

"Man kann eben nicht immer Glück haben im Leben. Wir planen deshalb auch 'Fallschirme' ein. Das hier ist einer davon. Ich kann mich daran erinnern, wie wir damals über die Motorensituation gesprochen haben. Auch damals gab es Zweifel. Unterm Strich hatten aber 80 Prozent der Fahrzeuge schon zum Saisonstart den neuen Motor drin. Es war kein großes Problem."

Frage: "Was werden die neuen Fahrzeuge deiner Meinung nach kosten?"

Lotti: "Ich denke nicht, dass sie wesentlich mehr kosten werden als die aktuellen Autos. Vielleicht verschlingt die Entwicklung etwas mehr, aber letztendlich wird der Einsatz der Fahrzeuge an sich sogar billiger sein. Das hebt sich möglicherweise auf. Ein neues Auto wird sicher nicht mehr als 20 Prozent über dem Preis eines aktuellen Autos liegen."

"Wichtig sind mir aber weniger die reinen Autokosten als vielmehr eine Stabilität auf Seiten der Regeln. Die aktuellen Motoren können ja weiterverwendet werden. Die aktuellen Autos wurden aber schon 2002 gemäß der S2000-Regeln gebaut. Eine zehnjährige Regelstabilität ist nicht schlecht, würde ich meinen."

Die WTCC als Vorbild für nationale Serien

"Das bedeutet: Wir konzentrieren uns eher auf die Evolution der Regeln, um eine langfristige Stabilität zu haben. Also so, wie uns das schon in der ersten Phase der Meisterschaft gelungen ist. Es geht also nicht so sehr um den Kaufpreis, weil du ja weißt, du kannst das Auto für zehn Jahre oder dergleichen einsetzen. So lange sollen die Regeln Bestand haben."

Frage: "So weit, so gut. Was aber zum Beispiel BMW denkt, ist, dass es womöglich nicht genug Rennserien gibt, in denen die Fahrzeuge nach neuem WTCC-Reglement eingesetzt werden können. Das könnte sie davon abhalten, ein neues Auto zu bauen. Ist es daher dein Wunsch, dass andere Meisterschaften dieses neue Regelwerk übernehmen?"

Lotti: "Es kommt auf das Interesse der Hersteller an."

"In der Dominikanischen Republik fahren zum Beispiel vier Hondas, drei SEATs und zwei BMWs, die aus unserem Reglement stammen. In China findest du Autos von Ford und von SEAT, die den gleichen Hintergrund haben. Dort treten sicher auch bald BMWs und Hondas auf. In Argentinien wurde erst vor zwei Jahren die Einführung eines neuen Tourenwagen-Konzepts beschlossen."

"Wir stehen in Gesprächen mit ihnen, damit sie künftig unsere Regeln übernehmen. In Russland fahren viele unserer Autos. Und dann haben wir noch einen europäischen Tourenwagen-Cup, der es beim Saisonauftakt auf 35 Fahrzeuge brachte. Was ich damit sagen will: Rund um die Welt gibt es etwas mehr als nur DTM (lacht; Anm. d. Red.)."

Kehrt die WTCC nach Deutschland zurück?

Frage: "Apropos DTM: Macht es dir Sorgen, dass diese Rennserie darüber nachdenkt, international aktiv zu werden und andere Märkte zu erobern?"

Lotti: "Nein. Es gibt genug Platz für alle. Da mache ich mir keine Sorgen. Absolut nicht. Die Welt ist groß genug."

Frage: "Was den Fans im Hinblick auf 2014 unter den Nägeln brennt, ist natürlich auch die Frage nach den Rennen. Wenn Citroen oder andere Marken zusteigen, gibt es dann auch wieder eine Veranstaltung in Frankreich? Oder vielleicht ein Rennwochenende in Großbritannien, wo wir doch so viele britische Fahrer haben? Was ist mit Deutschland? Planst du etwas für das 'alte Europa'?"

Lotti: "Warum nicht? Alles ist möglich."

"Wenn wir über den Kalender entscheiden, schauen wir uns die Sache erst einmal aus Marketing-Sicht an. Wir wollen aber auch sicherstellen, dass wir in einem Land auch willkommen sind. Das hat Priorität für uns. Also warum nicht? Sollten wir in der Zukunft das Gefühl haben, in den genannten Ländern willkommen zu sein, dann können wir natürlich darüber nachdenken, wieder dorthin zurückzukehren."

Frage: "Gehen wir zum Schluss noch auf das aktuelle Renngeschehen ein: Es sieht ganz danach aus, dass die Chevrolet-Autos auch 2013 vorn sein werden. Und Honda liegt noch etwas zurück..."

Lotti: "Es ist noch etwas zu früh für eine Einschätzung. Klar: In Monza war Chevrolet souverän vorn. Doch warten wir erst einmal ab. Dann sehen wir, was los ist. Wir müssen Honda etwas Zeit geben, bis sie mit dem Auto und dem Team so weit sind. Es ist eine Frage der Zeit, meine ich. Honda weiß, was zu tun ist. Sie werden schon kommen."

Frage: "Gibt es noch irgendetwas, das du gern hinzufügen würdest?"

Lotti: "Wir arbeiten an ein paar netten Überraschungen. Es ist aber noch zu früh, um darüber zu sprechen. Viel zu früh. Ich weiß ja, dass wir uns fast bei allen Rennwochenenden miteinander unterhalten. Komm also einfach noch einmal auf mich zurück. Vielleicht kann ich dir beim nächsten Mal ja schon mehr erzählen..."

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