Der neue Tourenwagen-Weltmeister Jose-Maria Lopez spricht im Interview über seinen Weg in die WTCC, sein Leben in der Schweiz und seinen Status als Volksheld
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Jose-Maria Lopez (Citroen) lebt seinen großen Traum. Und jetzt ist er Weltmeister. In seiner ersten Saison in der WTCC hat er sie alle geschlagen - den großen Titelfavoriten Yvan Muller und auch den Star schlechthin, Sebastien Loeb. Beide sind sie 2014 auf gleichem Material wie Lopez angetreten, beide hat teilweise deutlich hinter sich gelassen. Im Interview spricht Lopez aber nicht nur über sein Auftreten an der Rennstrecke, sondern auch über sein Privatleben und die Aussichten für die Zukunft.
Frage: "Jose-Maria, du bist in deiner ersten kompletten Saison in der Tourenwagen-WM. Bist du überrascht, wie sich die Dinge in diesem Jahr für dich entwickelt haben?"
Jose-Maria Lopez: "Manche werden sagen, dass es keine wirkliche Überraschung ist, da ich in Argentinien bereits vergleichbare Autos mit viel Abtrieb und ausreichend Motorleistung gefahren bin."
"Für mich selbst jedoch ist es schon etwas überraschend, denn es ist mein erstes Jahr, das Auto ist neu und für das Team ist die WTCC ein neues Umfeld. Daher wussten wir am Anfang des Jahres auch nicht, wo wir als Team im Vergleich zur Konkurrenz stehen würden."
"Für mich als Fahrer gab es auch viele unbekannte Faktoren: Ich kam als Letzter zum Team dazu, ich hatte mit Seb und Yvan zwei starke Teamkollegen. Also war es für mich letztendlich eine Überraschung, aber ich bin froh, dass es so gut geklappt hat. Und ich werde alles dafür tun, dass es so weiterläuft."
Frage: "Inwiefern kommt dir deine Erfahrung von Tourenwagen in Argentinien zugute?"
Lopez: "Nach meiner Zeit in den Formelautos musste ich mich erst mal an die Tourenwagen gewöhnen. In den argentinischen Tourenwagen habe ich viel Erfahrung gesammelt. Der Wettbewerb dort ist recht stark, es gibt viele gute Teams."
"Natürlich war der Schritt in die WM schon eine Umstellung. Es ist auch nicht so, dass jeder, der aus Argentinien kommt, jetzt in der WM vorn mitfahren kann. Für mich war ein großer Vorteil, dass ich in meiner Formelzeit schon in Europa gewohnt habe. Ich spreche die Sprache, verstehe, wie europäische Teams arbeiten. Das war vielleicht noch hilfreicher als meine Erfahrung mit solchen Autos."
Frage:" Was sind aus deiner Sicht die größten Unterschiede zwischen dir und deinen Teamkollegen Yvan Muller und Sebastien Loeb?"
Lopez: "Das ist nicht so einfach zu beantworten. Generell hilft es natürlich, dass ich zehn Jahre jünger bin. Damit sage ich nicht, dass sie alt sind. Im Gegenteil: Ich kann mir nur wünschen, dass ich auch in zehn Jahren noch so gut bin wie sie. Oder vielleicht sogar in zwanzig Jahren, wie Tarquini."
"Aber man braucht auch etwas Glück. Es muss einfach alles zusammen passen. Für Yvan lief es zum Beispiel einige Male nicht so gut, während ich einen Weg gefunden habe, um recht konstant zu sein und fast in jedem Rennen Punkte zu holen. Das ist wohl der größte Unterschied, denn was Speed angeht, nehmen wir uns nicht viel."
Wie Citroen Lopez nach Europa holte
Frage: "Blicken wir etwas zurück: Als du im Vorjahr den Anruf von Citroen bekommen hast, welche Bedeutung hatte das für dich?"
Lopez: "Manchmal kommen im Leben Dinge einfach zum richtigen Moment. Argentinien hat mir immer sehr viel gegeben. Ich habe dort eine Menge gelernt, aber das Gefühl war nicht mehr so wie in den ersten Jahren. Daher war ich auf der Suche nach einer neuen Herausforderung."
"Dass die so schnell kommen würde, hatte ich nicht gedacht. Noch vor gut einem Jahr fuhr ich in Argentinien und hätte nicht im Traum gedacht, dass ich ein Jahr später schon in der WM fahren würde. Aber dann kam der Gaststart beim WM-Lauf in Argentinien, der Sieg, der Anruf von Citroen..."
"Zunächst war ich richtig aufgeregt, es war für mich sehr emotional. Aber es waren noch mehr Fahrer, die getestet wurden. Vielleicht betrug meine Chance nur zehn Prozent. Also habe ich den Test gemacht. Der war in Monza, an einem Montag und einem Dienstag. Und am Mittwoch musste ich schon wieder zurück, weil ich in Argentinien fahren musste."
"Es war stressig, aber ich wollte es unbedingt. Und das hilft. Der Test war gut, speziell am zweiten Tag. Ich hatte ein recht gutes Gefühl, aber musste sehr, sehr lange warten. Das hat mich fast umgebracht! In der Zwischenzeit hatte ich schon viele Anfragen von Teams aus Argentinien, aber denen habe ich alle abgesagt. Ich wollte unbedingt in Europa, oder in der WM fahren."
"Und dann kam im Dezember der Anruf von Yves (Matton, Citroen-Sportchef; Anm. d. Red.): 'Alles ist ok.' Am Sonntag fuhr ich noch ein Rennen in Argentinien, stieg gleich in den Flieger und am Montag war die Präsentation in Versailles."
Von Argentinien in die Schweiz
Frage: "Was hat sich verändert, seitdem du Citroen-Werksfahrer bist?"
Lopez: "Zunächst einmal bedeutete das für mich: zurück nach Europa, weg aus Argentinien, weg von meiner Familie. Aber es gefällt mir. Ich bin sehr oft beim Team, oft in der Werkstatt. Viele Testfahrten. Ich lebe in der Schweiz. Seb wohnt in der Nähe, Yvan ist nicht weit weg. Dort wohnen relativ viele Fahrer."
"Zusammen trainieren ist nicht so einfach, denn jeder hat unterschiedliche Termine und Verpflichtungen. Ich kann gut mit Loic Duval. Mit ihm mache ich schon mal Sachen zusammen, wenn es terminlich klappt. Aber einmal im Monat versuchen wir, uns mit mehreren Fahrern zu treffen und uns auszutauschen. Dann sind auch die Frauen mit dabei, wir essen gemeinsam. Das ist ganz toll."
Frage: "Was vermisst du aus Argentinien?"
Lopez: "Also, was mir auffällt, ist, dass die Menschen in der Schweiz oder in Europa eher früh ins Bett gehen. Ein Nachtleben gibt es nicht. Klubs, wo du nach Mitternacht mal hingehst, kenne ich nicht. In Argentinien essen wir vielleicht abends um zehn, und danach geht auf den Straßen die Post ab! Das gibt es hier nicht."
"Ich wohne zusammen mit meiner Freundin, eine Französin, und fühle mich generell recht wohl. Ansonsten vermisse ich natürlich meine Familie. Die Situation ist aber anders als vor zehn Jahren, als ich als junger Fahrer ganz alleine in Europa gelebt habe. Damals hatte ich kein Auto, konnte nirgendwo hin, nur mit dem Rad oder im Zug."
"Jetzt habe ich einen Citroen, mit dem ich ordentlich rumkomme. Aber so viel Freizeit habe ich ohnehin nicht: Es gibt Testfahren, Arbeit am Simulator, PR-Termine, Training... Sogar die Sommerpause von zwei Monaten war richtig schnell vorbei!"
Wie sich Lopez bei Citroen eingelebt hat
Frage: "Neben dem eigentlichen Fahren, mit Rennen und Testfahrten, gibt es für einen Werksfahrer natürlich auch viele PR-Termine. Wie gehst du damit um?"
Lopez: "Das habe ich auch früher teilweise schon machen müssen, aber als junger Fahrer mochte ich solche Aufgaben nicht wirklich. Jetzt verstehe ich auch, warum solchen Auftritte notwendig sind, und ich versuche, das Beste daraus zu machen, auch solche Termine zu genießen."
"Kontakt mit den Menschen ist wichtig. Wir vertreten eine Marke, wir verkörpern die Ausstrahlung, die öffentliche Wirkung der Marke, also ist es auch wichtig, was wir tun und wie wir auftreten. Und wir hatten schon einige tolle Termine, die richtig Spaß gemacht haben!"
Frage: "Und wie steht es um deine Französischkenntnisse?"
Lopez: "Oh, die sind schon recht ordentlich. Ich nehme Unterricht und ich übe fleißig!"
Frage: "In der Sommerpause hast du die Formel-1-Grands-Prix in Spa-Francorchamps und in Monza besucht. Spielt das Thema Formel 1 für dich immer noch eine Rolle oder sind Formelautos ein abgeschlossenes Kapitel?"
Lopez: "Nein, das ist für mich erledigt. In Spa und in Monza war ich erstmals bei einem Grand Prix, ohne dass ich versucht habe, irgendwas zu erreichen."
"Ich bin einfach hingefahren, es hat mir Spaß gemacht. Ich habe einige Freunde besucht. Ich habe eine enge Beziehung zu Eric Boullier (McLaren-Rennleiter und früherer Lotus-Teamchef; Anm. d. Red.), der mir in der Vergangenheit viel geholfen hat. Ich kenne viele im Fahrerlager, bei DAMS in der GP2, bei Lotus... Ich habe es genossen! Vielleicht war dafür die lange Sommerpause recht gut."
Frage: "Wie groß ist das Interesse an deiner Person in deiner argentinischen Heimat? Bist du dort ein Vorbild?"
Lopez: "Das Interesse ist riesig! Das WTCC-Wochenende in Argentinien war doch der beste Beweis dafür: Es war vielleicht das am besten besuchte Rennen des Jahres! Natürlich berichten auch die Medien sehr ausführlich, sowohl die Print- und Onlinemedien als auch das Fernsehen. Und Citroen Argentinien ist in diesem Punkt auch recht aktiv."
"Ob ich dort ein Vorbild bin, kann ich nicht sagen. Viele Argentinier meinen immer noch, ich sollte in der Formel 1 fahren, aber dafür gibt es einen bestimmten Zeitpunkt, und ich glaube, dass der hinter mir liegt. Ich war sicherlich am nächsten dran, und nun kommt lange Zeit niemand aus Argentinien nach. Die wirtschaftliche Situation dort macht es auch nicht gerade einfach."
Vorfreude auf die Nordschleife
Frage: "Kannst du etwas über deine Hobbys erzählen?"
Lopez: "Ich fahre sehr gern Rad, aber auf der Straße. Mountainbiking ist nicht so mein Fall. Vor zwei Jahren habe ich einen Ironman-Triathlon bestritten, aber nur die halbe Distanz. Das hat mir schon gereicht (lacht; Anm. d. Red.). Triathlon ist für mich eine gute Trainingsmöglichkeit und damit beschäftige ich mich, wenn ich mal nicht im Auto sitze."
Frage: "Dann bist du unlängst mit Citroen in Issoire nahe Clermont-Ferrand auch erstmals den DS3-Rallyewagen gefahren. Wie war dein Eindruck vom Auto aus der Rallye-WM?"
Lopez: "Das war großartig! Ich bekomme das Grinsen gar nicht mehr aus meinem Gesicht! Ich mag den Rallyesport sehr: Seit 20 Jahren schaue ich mir in Argentinen immer wieder Rallyes als Besucher an."
"Bislang war es ein Traum, eines Tages ein solches Auto mal fahren zu können. Dank Citroen ist dieser Traum nun in Erfüllung gegangen. Zunächst konnte ich mich im DS3 R5 zusammen mit Sebastien Chardonnet mal rantasten, dann durfte ich zusammen mit Kris Meeke im richtigen WRC-Auto auf die Strecke. Es war der Wahnsinn! Als Beifahrer dachte ich fast in jeder Kurve, dass wir nun abfliegen würden! Als ich dann selber fahren durfte, wollte ich gar nicht mehr aufhören."
Frage: "Was sind die größten Unterschiede zum Tourenwagen?"
Lopez: "Das ist wohl das ganze Handling des Autos: Dass man zum Beispiel mit dem Gaspedal das Auto lenken kann, das Bremsverhalten, aber auch wie das Auto die ganzen Schläge auf den Kuppen und Unebenheiten wegsteckt. Es ist alles der gleiche Sport, aber der Unterschied zum Rundstreckensport ist gigantisch!"
Frage: "Im kommenden Jahr steht die Nordschleife auf dem Programm. Freust du dich darauf?"
Lopez: "Oh ja, das wird sicherlich etwas ganz Besonderes. Natürlich werden dort diejenigen einen Vorteil haben, die die Strecke schon kennen, die dort schon Rennen gefahren sind. Aber wir werden uns auch ordentlich vorbereiten, und dann werden wir sehen, wo wir stehen."
Frage: "Wie sieht es für das kommende Jahr aus? Wie lauten deine Pläne?"
Lopez: "Für dieses Jahr war mein wichtigstes Ziel, mich zu etablieren und so viel Erfahrung zu sammeln wie möglich. Rennen zu gewinnen war nicht auf Anhieb mein Ziel, geschweige denn, dass ich jemals an den Titelgewinn gedacht habe."
"Ich hatte mir zur Aufgabe gestellt, eine ordentliche Leistung abzuliefern, sodass mich Citroen auch für 2015 wieder an Bord nehmen möchte. Ich glaube, das hat ganz ordentlich geklappt. Ich möchte gern weitermachen, und ich schätze mal, dass das auch für Citroen gilt. Letztendlich muss Citroen entscheiden, aber ich habe nicht den Eindruck, dass sie dort unzufrieden sind..."